Man sagt doch, Eulen seien weise ✔ [Bokuto Kotaro, Haikyuu!]

Kapitel 4

Hast du Lust, laufen zu gehen?

Ich starte die Nachricht einige Sekunden lang an, bevor ich zu einer Antwort fähig war.

Wenn du dir darüber im Klaren bist, dass ich vermutlich nach 20 Metern ein Sauerstoffzelt brauche und du ohne mich weiterlaufen musst. Holst du mich ab?

Seine Antwort kam binnen weniger Sekunden.

Gib mir eine halbe Stunde.

Nachdenklich warf ich einen Blick aus dem Fenster, es war bereits früher Abend und die Hitze hatte sich zurückgezogen. Durch meine geöffneten Fenster drang erfrischend kühle Luft ins Zimmer.

Erleichtert darüber, dass es zumindest abends endlich angenehmer wurde, trat ich kurze Zeit später in Sportklamotten aus dem Haus. Bokuto hatte nicht geklingelt, sondern einen mittelgroßen Dreckklumpen gegen mein Fenster geworfen.

"Ich hätte fast einen Herzinfarkt gehabt. Weißt du, wir haben auch eine Klingel", sagte ich, während ich die Haustür hinter mir zuzog.

Den Haustürschlüssel ließ ich in meine Hosentasche gleiten. Als ich den Kopf hob, strahlte Bokuto mich so entwaffnend an, dass ich den Ärger darüber, dass jetzt ein fetter brauner Fleck auf meinem Fenster prangte, sofort vergaß. Seine gute Laune war ansteckend und so konnte ich nicht anders, als breit zurückzulächeln.

"Du siehst aus, als hättest du einen tollen Tag gehabt", stellte ich fest.

"Den hatte ich auch. Lucky du glaubst nicht, was ich für einen tollen Tag hatte."

Und dann erzählte er vom Volleyballtraining, in dem ihm heute irgendein neuer Angriff gelungen war und von dem ich leider überhaupt nichts verstand. Trotzdem konnte ich nicht aufhören, mit ihm um die Wette zu lächeln und die Zeit, in der wir nebeneinander zu dem ausgetretenen Feldweg gingen, auf dem die meisten Leute hier joggen gingen, verstrich wie im Flug.

Selbst als wir zu laufen begannen, hielt Bokuto keine Sekunde lang den Mund und ich war froh darum, dass er keine Erwiderung erwartete, denn dazu wäre ich kaum noch in der Lage gewesen. Obwohl ich mich regelmäßig bewegte, konnte ich nicht mal im Entferntesten mit ihm mithalten, das war mir vorher bereits klar gewesen. Trotzdem wurde mir mit jedem weiteren Schritt bei dem meine Seite unangenehm stach deutlicher bewusst, wie unerreichbar seine Kondition für mich war. Wir waren schon eine ganze Weile unterwegs, die Dämmerung hatte eingesetzt, als ich schließlich anhielt.

Ich stütze die Hände auf den Knien auf und rang verzweifelt nach Luft. Bokuto brauchte einige Sekundent um zu bemerken, dass ich nicht mehr neben ihm herlief.

Er hielt nun ebenfalls an und fragte mit ein wenig sorgenvollem Unterton: "Alles okay?"

Ich nickte, hob aber nicht den Kopf. Als ich meinen Atem soweit wieder unter Kontrolle hatte, sagte ich: "Du musste nicht extra auf mich warten. Das Training bringt dir ja gar nichts, wenn du nur neben mir herläufst."

"Bist du sicher?"

Ich hörte in seiner Stimme, wie zwiegespalten er war, aber weil ich spürte, wie er vor Energie fast platze und ich außerdem wirklich völlig fertig war, erwiderte ich: "Klar. Lauf ruhig voraus. Wir sehen uns ja morgen in der Schule."

Unruhig trat er von einem Fuß zum anderen, bevor ich ihn lachend mit einer Handbewegung davonscheuchte.

Als ich seine Schritte schon nicht mehr hören konnte, drehte er sich noch einmal um und rief: "Schreib mir, wenn du zu Hause bist, ja?"

Zur Bestätigung hob ich den Arm und winkte. Ich blickte ihm nach, bis er nur noch ein Schatten am Waldrand war. Ein Gefühl der Leere breitete sich in mir aus; ich hatte vorher gewusste, dass ich nicht mit ihm mithalten können würde, aber die Kluft zwischen uns war sehr viel größer, als ich gedacht hatte. Ich fragte mich, ob er mich jetzt für unsportlich hielt, oder vielleicht sogar enttäuscht war, dass ich so wenig auf dem Kasten hatte. Mit einer Hand fuhr ich mir über die Stirn, als könnte ich damit nicht nur einige lose Haarsträhnen, sondern auch die finsteren Gedanken wegwischen.