Sie liegt dort schon seit Wochen, vielleicht seit Monaten, sie liegt in der durchsichtigen Hülle, während nichts durchsichtig ist, alles nur voller klebrigem, nasskaltem Nebel, sie liegt dort weiß, ohne beschmutzt zu sein, sie liegt dort leise, ohne unauffällig zu sein, denn sie schreit jedes Mal, wenn ich sie sehe, wenn ich an sie denke, sie schreit, als ich schlafe und sie, die Bettdecke unberührt bleibt. Die Bettdecke. Sie ist aggressiv zusammengedrückt, reingestopft, mit Hintergedankem, mit Geste. Ich habe sie unberührt gelassen, wollte sie nicht beschmutzen, obwohl sie schon längst beschmutzt ist von meiner Präsenz. Ich starre sie an. Wie unschuldig, wie unbedeutend, wie voller Worte.
"Du kannst die Bettdecke mitnehmen. Du schläfst ja nicht mehr hier."
Ihren zerbrechlichen, alten Körper sehe ich noch vor meinen Augen, während ihre Worte in mir widerhallen. Dumpf. Ohne Klang. Nur mit Gefühl. Es schneidet mir ins Herz, dann in die Seele, die ohne Herz nicht leben kann. Ich sterbe nicht. Ich schlafe nur nicht mehr dort. Ich lebe nur nicht mehr dort. Ich habe dort noch nie gelebt. Ich war eine Fremde, mein ganzes Leben lang. Dort. Es spielt sich ab, immer wieder, während ich die Bettdecke anstarre und die zerbrechliche, alte Frau mich anstarrt, starre ich in ihre Worte. Ich nickte. Ich lächelte. Ich weinte, aber ich weinte nicht wirklich. In diesem Haus war nichts die Wirklichkeit.
"Ich bringe sie gleich zum Auto."
Ich weinte, indem ich lachte. Nicht lache, sondern lächle, nicht lächle, sondern sage, nicht sage, sondern einfach dort stehe. Ich weine, indem ich stehe. Ich stehe dort. Ich bin nicht gefallen.
"Nicht vergessen! Mach das doch lieber jetzt schonmal, sonst vergisst du sie noch."
Ich tat es jetzt. Ich nahm alles mit mir, was mich noch zu diesem Haus verband, zu ihr, denn so bin ich getrennt, getrennt von ihren Erinnerungen, ich trage sie nun allein, trage das Haus, bin vergessen. Vergissmeinnicht. Vergessen.
Ich packe die Bettdecke aus. Ich drücke sie an mich. Ich rieche an ihr. Nichts an ihr riecht so, wie es war. Sie ist mir fremd. Warum riecht sie nicht so, wie es war? Sie ist mir fremd. Ich drücke sie an mich. Bin vergessen. Vergissmeinnicht. Vergessen. Warum riecht sie nicht so, wie es war? Sie ist mir fremd. Noch in der gleichen Nacht schlafe ich in der Bettdecke. Es gibt nichts zu sagen. Sie ist mir fremd.April 2020
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Seelenseide
PoetryPOESIE Das ist die Seide meiner Seele, zart und warm, versuchend sich selbst zu heilen. ALL RIGHTS RESERVED! NO PUBLIC DOMAIN!