~Deflection~

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Ich hatte Christian bereits eine kurze Nachricht geschickt, ob er heute Zeit hatte, aber bisher kam noch keine Antwort.

„Keviiiinnnnn", schrie oder eher kreischte plötzlich jemand im Haus. So laut, dass nun sicherlich auch Helmut aufwachte. Das konnte nur Pip sein.

„Och nö, hätte der nicht noch schlafen können?", murmelte Andre beinahe bedrückt. „Ich geh spazieren", nuschelte Kieran leise mit gesenkten Kopf. Christian und Hoyt schlossen sich sofort an und sprangen beinahe von ihren Stühlen auf.

Ich sah im Augenwinkel, wie Jamie beinahe ängstlich seinen Kopf senkte, als Pip die Terrasse betrat.

„Was fällt dir ein, nicht bei mir zu sein, wenn ich aufwache!"„Vielleicht weil wir uns bloß ein Zimmer teilen", murmelte Kevin unbeeindruckt.Ich hörte Pips entsetztes Aufkeuchen.

„Wir spielen ein Paar! Das heißt, du hast bei mir zu sein, wenn ich aufwache."„Den Arsch abwischen und auf Toilette gehen schaffst du aber alleine oder soll er dich da auch noch begleiten", fragte Adam ziemlich gehässig. „Am Besten auch noch füttern, damit es das volle rundum Baby-Paket ergibt", nuschelte Basti auf seinen Teller.

Automatisch verzogen sich meine Lippen zu einem verräterischen Grinsen. Die Vorstellung war einfach zu witzig.

„Kevin!"Pip trat beinahe bedrohlich auf Kevin zu. Nach außenhin wirkte Kevin so, als ob es ihm vollkommen egal wäre. Aber ich wusste, dass es ihn ziemlich mitnahm. Vor allem die Tatsache, dass Pip offenbar alles daran setzte, das Kevin und Andre keine Zeit miteinander verbringen konnten.

Unbeeindruckt schob Kevin seinen Stuhl zurück und stand auf.

„Ich muss jetzt los", erwiderte er kühl und griff nach Andre's Hand. Zusammen mit Jerome und Felix liefen sie beinahe aus dem Gartentor.

Ich schaute den vieren nach. Auf einmal war nichts mehr mit einem gemütlichen Frühstück. Adam und Basti beeilten sich mit dem Essen. Jamie verschwand in seinem Stuhl so tief, dass beinahe nur noch sein Kopf hervorschaute. 

Und ich fühlte mich mehr als unwohl. Von Pip's herum kommandierenden Art brauchte ich ja gar nicht erst anfangen.

Mein Morgen hatte so gut angefangen, musste er jetzt so enden? „Warum hast du mich nicht geweckt, Jamie?", fragte Pip vorwurfsvoll und starrte ihn mit Blicken nieder.

Ich warf einen Blick zu Jamie, der ziemlich ergeben wirkte. Schüchtern. So hatte ich ihn noch nie erlebt.

„Ich hab's vergessen...", flüsterte er. Pip redete mit ihm nicht einmal auf Augenhöhe, sondern stellte sich mit durchgedrücktem Kreuz schräg hinter ihn, sodass es beinahe so wirkte, als sei Pip ein König.

Er schüchterte den armen Jamie damit nur noch mehr ein. „Genau und deshalb sitzt du hier gemütlich mit allen anderen beim Frühstück?! Hast du vergessen, was sie dir angetan haben? Was dein bester Freund dir angetan hat?"Mir wurde wortwörtlich schlecht, bei Pip's großkotziger Art und der Art und Weise, wie er über meine Freunde sprach.

Als ich einen Blick zu Adam und Basti sah, sah ich das es ihnen ähnlich erging. „Kieran hat nichts getan", murmelte Jamie leise, aber Pip lachte bloß freudlos. „Kieran hat eine Menge getan."

„Nein... Kieran hätte sich entschuldigt", erwiderte Jamie. Ich sah an seiner Haltung, dass er nicht mehr lange brauchte, um aufzugeben.

„Kieran interessiert sich einen Scheiß für dich. Geht das nicht in deinen Kopf rein? Wärst du ihm in irgendeiner Art wichtig, wäre er in Hawaii für dich da gewesen, aber er war es nicht-"„Jetzt fahr mal ein Gang runter und lass Jamie in Frieden", entgegnete Adam plötzlich ziemlich laut und wütend. „Mag sein, dass du ihn vielleicht manipulierst, aber wir anderen wissen genau von deinen hinterhältigen Machtspielchen."

Adam trat bedrohlich auf Pip zu, der sich wenig beeindruckt davon zeigte. „Was weißt du schon? Du warst nichtmal dabei", entgegnete Pip unbeeindruckt.

Auch mir wurde es langsam zu viel. Vor allem, da ich inzwischen wusste, woher der Wind wehte. Langsam stand ich auf und schob meinen Stuhl zurück.

„Jamie?" fragte ich und blickte zu ihm. Er blickte auf und wirkte für einen kurzen Moment, wie ein scheues Reh. „Komm mit, wir gehen ein wenig spazieren."

Ich sah die Erleichterung in seinen braunen Augen. Es dauerte nicht einmal eine Sekunde, da war Jamie auf den Beinen. Gemeinsam verließen wir das Grundstück. Ich war mir nicht einmal sicher, ob Pip oder Adam das überhaupt mitbekamen, da beide in einer lautstarken Diskussion versunken waren. Ich führte Jamie den Weg in Richtung des Cafè's entlang. Auf halben Weg tauchte Basti plötzlich neben uns auf und warf uns einen entschuldigenden Blick zu. „Sorry... ich habs da nicht mehr ausgehalten", murmelte der braunhaarige.

Ich reagierte bloß mit einem Lächeln. Schweigend gingen wir nebeneinander her. Keiner traute sich etwas zu sagen, am allerwenigsten Jamie. 

Er tat mir wirklich leid. Noch heute Morgen erzählte er mir, dass Kieran irgendetwas getan hätte, aber nach Pip's Auftritt gerade glaubte ich nicht, dass Kieran daran schuld war. Ich glaubte, dass Pip Jamie und Kieran manipuliert hatte und sein Finger dort im Spiel hatte. Er hatte Jamie einen Grund gegeben, damit dieser sich von allen anderen abwandte. Mit dem Abwenden hatte auch Kieran ein Grund sauer und enttäuscht zu sein.

„Jamie, du darfst dir das nicht gefallen lassen. Der behandelt dich, wie seinen Schoßhund."„Was soll ich denn sonst tun? Ich hab doch niemanden mehr..."

„Bullshit! Du hast uns alle. Chris und Hoyt sind mit dir in einem Zimmer. Kieran. Und alle anderen. Wir sind auf deiner Seite", erklärte ich vorsichtig, aber er schüttelte bloß den Kopf. „Kieran will nichts von mir wissen... er redet ja nicht mal mit mir."

„Er redet nicht mit dir, weil du dich abgewandt hast", murmelte ich.

„Ich rede nicht mit ihm, weil er mir die ganze Zeit etwas vorgespielt hatte."„Jamie... ich glaube ja, dass Pip sich zwischen euch drängt und Kieran gar nichts getan hat. Deine Reaktion unterstreicht bloß meine Vermutung. Wie du schon vor Pip gesagt hattest, hätte Kieran sich entschuldigt."

Ich warf Jamie einen vorsichtigen Blick von der Seite zu. Er senkte seinen Blick und wirkte ziemlich nachdenklich. Basti, der auf der anderen Seite neben Jamie ging schwieg, was für ihn wirklich ungewöhnlich war.

Schweigend führte ich die beiden den Weg hinunter. Bei dem kleinen Kreisel bogen wir rechts ab und folgte dem kleinen Pfad zum Strand. Es war derselbe Weg, den Christian mir gestern gezeigt hatte.

„Irgendwo hier lag ein Elefantenhaufen...", murmelte ich. „Elefanten?", fragte Jamie plötzlich und blieb stehen, ebenso Basti. „Hier gibt es doch keine Elefanten!"

„Doch. Also... keine Ahnung, aber da vorne an dem Kreisel hab ich schon zweimal einen Typ gesehen, der einen Ritt auf einem Elefanten verkauft", erwiderte ich.

Jamie blickte mich an. Er wirkte plötzlich nicht mehr so bedrückt. Es schien, als würde es ihm ganz guttun, von Pip wegzukommen. Wenn wir jetzt auch noch Kieran und die anderen finden würden. Vielleicht würden die beiden sogar miteinander sprechen und es würde so einiges aufklären.

Wir erreichten die Lichtung, an der die Strandbar war, an der ich gestern mit Christian gefrühstückt hatte. „Wollt ihr einen Kaffee oder etwas essen?"„Kaffee?", fragte Jamie leise, ich nickte und sah dann Basti abwartend an. Dieser schüttelte jedoch seinen Kopf.

Ich trat an die Theke und besorgte mir und Jamie einen Kaffee. Warten musste ich zum Glück nicht lange und so kehrte ich kaum fünf Minuten später mit zwei vollen Kaffeebechern zu meinen beiden Freunden zurück. Jamie nahm seinen dankend entgegen, warf mir dabei ein schwaches Lächeln zu.

Da ich jetzt mit den beiden unterwegs war, war der Tag mit Christian auch schon wieder gelaufen. Allerdings hatte er meine Frage gelesen, aber nicht geantwortet. Auch auf Instagram war keine Benachrichtigung, dass er mir folgte. Seufzend schob ich mein Handy wieder in meine Hosentasche. Ich verstand es nicht. Gestern war noch alles super. Er hatte mich geküsst und zur Verabschiedung hatten wir uns umarmt. Jetzt beantwortete er nicht einmal meine Nachrichten. Vielleicht war er beschäftigt. Ehrlich gesagt, glaubte ich das aber nicht, schließlich hatte er mir die letzten Tage zwischendrin auch immer Nachrichten geschickt und wenn es nur ein Emoji war.

Ich seufzte auf und ging ein paar Schritte weiter zu der Palme. Dort setzte ich mich in den lauwarmen Sand und blickte auf das kristallklare Wasser des Meeres hinaus. Natürlich kamen Jamie und Basti hinterher. Sie stellten jedoch keine Fragen, sondern ließen sich schweigend neben mich sinken.

„Ich bin euch wirklich dankbar, dass ihr mich nicht einfach bei Pip gelassen habt..."„Warum sollten wir das tun? Jamie, ich hab dir heute Morgen schon gesagt, dass du, egal was in Hawaii vorgefallen war, trotzdem mein Freund bist."

Ich sah ihn nicht an und wusste auch nicht, wie er darauf reagierte, da mein Blick weiterhin auf das Meer gerichtet war. Eine sanfte Berührung, ließ mich schließlich aufschauen. Jamie hatte mich sanft mit seinem angewinkelten Knie angestupst.

„Jackie ist verknallt", sagte Basti und als ich ihm einen beinahe wütenden Blick zuwarf, grinste er frech. „Aber sowas von", fügte er hinzu.

Ich machte mir nicht die Mühe, etwas darauf zu erwidern. Lieber starrte ich weiter auf das Meer hinaus und trank meinen Kaffee.



„Jack?!", fragte plötzlich jemand. Ein kurzer Hoffnungsschimmer huschte durch meinen Körper, dass es Christian sein könnte. Aber leider war es bloß Kieran, der mit Chris und Hoyt vor uns stand.

„Hey", murmelte ich. Ich hielt mir die Hand als improvisierten Sonnenschirm vor meine Augen und kniff meine Augen leicht zusammen, während ich leicht zu den dreien hochschaute. „Was tut der hier?"

Kieran ging gar nicht auf meine Begrüßung ein, sondern war direkt damit beschäftigt, Jamie wütende Blicke zuzuwerfen.

„Wir sind geflüchtet. Adam hat begonnen Pip zusammenzufalten. Lautstark, da haben wir die Flucht ergriffen. Oh... und Jamie ist hier, weil er ein Freund von mir ist."

Ein wütendes Knurren verließ Kieran's Kehle und es klang beinahe wie der Laut eines Tieres. „Kieran, du kannst auch gerne gehen. Jamie werde ich jetzt sicherlich nicht wegschicken, nur weil du hier bist."

Langsam ließ Kieran sich in den Sand vor uns sinken, blickte uns an und spielte mit dem Sand herum. „Passt schon... müssen halt zusammen auskommen", entgegnete er. „Aber das bedeutet nicht, dass wir befreundet sind", fügte er deutlich hinzu und sah dabei direkt Jamie an. „Schon klar", entgegnete dieser für seine heutige Laune ziemlich deutlich. Aber gut, seinen besten Freunden verhielt man sich öfter anders gegenüber. Ich selber kannte das von Kevin und inzwischen auch Andre.

Im Augenwinkel erkannte ich, dass Kieran überrascht blinzelte, jedoch schwieg. Chris ließ sich neben Jamie fallen und Hoyt neben Chris. Beide verwickelten Jamie in ein Gespräch, welches die angespannte Stimmung um einiges auflockerte. Kieran verfolgte die Unterhaltung schweigend und spielte an seinem Handy. Ich konnte jedoch genau erkennen, dass er dies nur als Vorwand tat, um sich nicht an dem Gespräch beteiligen zu müssen. 

Erneut nahm ich mein Handy zur Hand. Als ich es entsperrte und die aufblinkende Nachricht entdeckte, lächelte ich.

>>hey, sorry. Ich bin heute ziemlich beschäftigt und am anderen Ende der Insel. Aber wir können uns gerne gegen 21 Uhr auf ein Bier treffen :)<<

Always ProblemsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt