[6]

207 7 0
                                    

»no rain, no flowers«

»Wann kommt dein Bruder wieder nach Hause? Wo ist er überhaupt?«, fragt mein Vater mich, als wir zusammen am Frühstückstisch sitzen. Anni und Simon haben mich gestern noch nach Hause gefahren, bevor sie auch feiern gegangen sind. Anni hat mich nicht mal mehr gefragt ob ich mit möchte und als Simon gefragt hat, habe ich dann auch abgelehnt. Mein Bruder ist jedenfalls nicht mehr aufgetaucht und obwohl wir heute erste um Elf Uhr frühstücken, ist er nicht dabei.

»Er wollte gestern noch auf einen Party gehen. Ich weiß nicht wann er hier sein will. Vielleicht hat er wieder bei einem seiner Freunde übernachtet.« Ich versuchte es so freundlich wie möglich von mir zu geben, damit mein Vater zufrieden ist. Er lebt halt in seiner eigenen Welt, wo trotz allem, noch alles gut ist. Er nickt nur und stopft sich seinen Pfannkuchen weiter in den Mund. Männer.

Als Mark um ein Uhr endlich nach Hause kommt, sagt er kein Wort und verschwindet direkt in seinem Zimmer. Allerdings konnte er es nicht lassen, mir einen bösen Blick zu zuwerfen. Jedenfalls habe ich mich dann auch direkt in meinem Zimmer versteckt und angefangen auf voller Lautstärke Musik zu hören. Ich liege einfach nur auf meinem Bett und lausche den Tönen von Blinding Lights. Eigentlich muss ich noch Hausaufgaben machen und für einen Test in Physik üben. Nur kann ich mich irgendwie zu nichts aufraffen und kann nur an die Decke starren.

Luis hat mich bemerkt. Er ist freundlich zu mir und eigentlich ist alles ok. Aber es soll nicht nur ok sein. Mein Leben soll Hammer sein und spaßig. Irgendwie muss ich Luis in den nächsten Wochen dazu bringen, nicht nur freundlich zu sein, sonder richtig Interesse an mir zu entwickel. Wie ich das anstellen soll, ist wahrhaftig ein riesen großes Rätzel.

Mit einem lauten krachen wird meine Zimmertür aufgestoßen und Mark steht mit einem unfreundlichen Ausdruck auf dem Gesicht in der Tür. Kann der eigentlich auch mal freundlich gucken? »Wir sollen raus in den Garten kommen. Und zieh dir mal was vernünftiges an. Das sieht echt schäbig aus.«, mit diesen Worten verschwindet er wieder und lässt die Tür weit offen stehen. Ich sehe an mir runter und betrachte meine alte, schwarze Jogginghose, die bereits ein Loch am Knie hat und das rosa farbige Shirt, dass eigentlich mal weiß war. Mit einem seufzen richte ich mich auf und verfluche meinen Bruder. Wie kann ich eigentlich mit dem verwandt sein?

Als ich umgezogen durch die Tür in unseren Garten trete, stehe mein Vater und Mark bereits zusammen vor unserem Gartenhaus und bauen eine Stehleiter auf. »Was soll das werden?«, frage ich und sehe die beiden skeptisch an. Die wollen doch jetzt nicht wirklich im Garten arbeiten. Ich meine, wann hat denn überhaupt jemand von uns den Garten zuletzt betreten? Das ist doch bestimmt drei Jahre her.

»Unser lieber Vater hat sich überlegt, dass wir beide zusammen das Gartenhaus streichen. Tolle Idee, was?« Mark sieht mich genervt an und verdreht die Augen. Gartenhaus streichen, na super. Da habe ich an einem Sonntag auch wirklich nichts besseres zu tun. »Das ist wirklich eine schöne Idee Mark. Ihr könnt euch endlich mal nützlich machen und verbringt auch noch Zeit zusammen. Ich muss jetzt allerdings arbeiten gehen, da mein Chef mal wieder ein extra Meeting einberufen hat.« Unser Vater lächelt uns an und klopft Mark zwei Mal auf die Schulter. Als er an mir vorbei geht, streicht er einmal durch meine Haare und verschwindet im Haus. Und jetzt? Sitze ich mit Mark einen ganzen Nachmittag im Garten fest und darf mich mit Farbe bekleckern.

Ich sehe mich kurz um und kann sehen, dass bereits mehrere Pinsel und Eimer mit Farbe bereit stehen. Anscheinend ist meinem Vater wirklich wichtig, dass wir das heute erledigen. »Na dann wollen wir mal anfangen.«, sage ich seufzend und schnappe mir einen Pinsel. Ich öffne die Farbe, tauche den Pinsel ein und fange einfach irgendwo an das Gartenhaus braun zu streichen. Als Mark sich nach einigen Sekunden immer noch nicht bewegt und mich bloß blöd ansieht, deute ich ihm mit einem bösen Blick, dass er mir helfen soll. Ich werde diesen Mist sicher nicht alleine hinter mich bringen. Zum Glück bringt sich Mark schließlich auch dazu einen Pinsel zu nehmen und anzufangen.

»Und wie war die Party gestern?«, frage ich ihn, um die extreme Stille um uns zu beenden. Es kann doch nicht sein, dass wir als Geschwister kein richtiges Gespräch miteinander führen können.

»Ich war nicht da. Luis Fuß hat doch mehr wehgetan als er zugeben wollte. Nick und ich haben ihn dann noch ins Krankenhaus gefahren.«, antwortet er mir und sieht mich kurz von der Seite an, blickt aber schnell wieder weg.

»Oh, wie geht es ihm denn jetzt?«, frage ich ihn und versuche wirklich möglichst uninteressiert zu klingen. Natürlich interessiert mich das total und ich hoffe, dass Mark mir eine vernünftige Antwort gibt.

»War doch nur verstaucht, aber tat natürlich trotzdem weh. Was interessierst du dich eigentlich neuerdings so sehr für ihn?« Eigentor. Ich habe mir ein richtig bescheuertes Eigentor geschossen. War ja klar das Mark jetzt mehr darüber wissen wollte.

Was soll ich ihm denn jetzt darauf antworten? Ich stehe voll auf ihn und das schon echt lange. Kannst du mal ein Date für mich klar machen? Wenn ich ihm die Wahrheit sagen würde, könnte ich mir wahrscheinlich selbst eine Kugel in den Kopf schießen. Warum muss ich auch so einen bescheuerten Bruder haben?

»Also... ja... da gibt es keinen wirklichen Grund. Ich wollte nur freundlich Fragen, aber das ist dir ja auch ein Fremdwort.«, antworte ich ihm und bin echt stolz auf diese Antwort. Er soll sich mal lieber um seine eigenen Probleme kümmern.

»Ich bin immer freundlich. Und du solltest dich wirklich von Luis fernhalten. Er ist kein guter Umgang für dich und das würde ich immer wieder sagen. Er passt einfach nicht zu dir.« Mark sieht mich mit einem strengen Blick an und ich kann einfach nur die Augen verdrehen. Er kann freundlich sein, nur eben nicht zu mir.

»Zum Glück geht dich ja gar nicht an, wer zu mir passt und wer nicht.«, antworte ich ihm bloß und streiche mit einem ziehen im Bauch das Gartenhaus weiter an. Den restlichen Tag schweigen wir uns an.

BreathlessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt