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»I'm choosing me.«

Ich suche meinen Schlüssel aus der Tasche und schließe die Haustür auf. Nach der Schule bin ich mit Samantha Eis essen gegangen und wir haben uns wirklich gut unterhalten. Ich habe ihr von dem Gespräch mit Annelie erzählt und sie hat nur böse geguckt. »Lass dich von so einer Kuh nicht runter ziehen. Die ist wirklich nur eifersüchtig, weil du so toll bist. Außerdem hat sie dich immer so schlecht und unsicher fühlen lassen, was wir noch ändern werde.«, hat Samantha gesagt und mich dann mit einem strahlenden Lächeln angesehen. Sie ist mir in der einen Woche schon so eine gute Freundin geworden, dass ich mich ärgere, vorher so blöd zu ihr gewesen zu sein. Sie hat es in den paar Stunden geschafft, den Schmerz in meinem Herz, um eine Menge zu verringern. Vielleicht habe ich wirklich jemanden gebraucht mit dem ich frei über meine Gefühle reden kann.

Ich betrete unser Haus und schmeiße die Tür hinter mir ins Schloss. Mit einer inneren Erleichterung endlich Zuhause zu sein, ziehe ich meine Schuhe von den Füßen und schmeiße sie in die Ecke neben der Tür. Der Tag hat mehr an meinen Nerven gezehrt, als ich mir zunächst eingestehen möchte. Am besten schnappe ich mir meinen Eistee aus dem Kühlschrank, bestelle mir eine Pizza und verbringe den restlichen Tag vor dem Fernseher. Ich ziehe mein Handy aus der Hosen Tasche, um meine Musik zu starten und mache mich auf den Weg in die Küche.

Als ich an der Tür zum Wohnzimmer vorbei gehe, sehe ich meinen Vater und Mark zusammen auf der Couch sitzen. Beide starren auf einen Zettel, der vor ihnen auf dem Tisch liegt und sehen abwesend aus. Ich ziehe leicht meine Augenbraun zusammen und bleibe an der Tür stehen. Was gucken die da bitte an?

»Was habt ihr da?«, frage ich und gehe auf die beiden zu. Mark schreckt aus seiner Starre auf, springt von dem Sofa hoch und sieht mich überrascht an. Mein Vater räuspert sich und streicht sich sein bereits leicht graues Haar aus dem Gesicht.

»Setz dich bitte Jasmin.«, sagt er und seine Stimme klingt so rau, dass ich selbst ein schreckliches Gefühl bekomme. Mein Magen zieht sich zusammen und ich gehe mit vorsichtigen Schritten auf sie zu und setze mich auf den roten Sessel, der eigentlich gar nicht zu unserer restlichen Einrichtung passt. Meine Mutter hat ihn geliebt und keiner hat sich getraut ihn weg zu tun, auch jetzt nicht.

»Wir haben einen Brief von eurer Mutter bekommen«, sagt mein Vater als ich sitze, lässt mit diesen Worten mein Herz schneller schlagen und meinen Körper erstarren.

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Sie hat sich halt verliebt. Sie war bei uns nicht mehr glücklich. Sie musste einfach ihren Traum erfüllen und konnte nicht länger für uns da sein, musste ihr eigenes Leben in die richtige Richtung bringen. Sie liebt uns natürlich über alles. Als ob. Sowas macht man nicht, wenn man jemanden wirklich liebt. Sie wird sich nicht mehr melden, da es besser für uns ist. Wohl eher besser für sie.

Ich liege in Marks Armen und merke wie mir die Tränen über die Wange laufen. Ich habe mit ihr abgeschlossen und dann schickt sie so einen unnötigen Brief. Darin stand nur, dass wir nie gut genug für sie waren und sie jetzt eine neue Familie hat. Die sie wirklich lieben kann, nicht wie uns. Ich drücke meine Gesicht stärker gegen sein Shirt und versuche irgendwie wieder die Kontrolle über die Situation zu erlangen. Ich habe so lange nicht mehr wegen dieser Frau geweint, doch als mir mein Vater den Brief gegeben hat und dabei so traurig ausgesehen hat, konnte ich mich nicht mehr halten. Sie hat unser aller Leben zerstört und schickt dann so einen lächerlichen Brief.

Als meine Tränen nach weiteren Minuten endlich versiegt sind, drücke ich mich von Mark weg. Am liebsten würde ich einfach etwas nehmen und durch die Gegend schmeißen. Wie konnte man so dreist sein und diesen Brief nach drei Jahren verschicken? Drei Jahre.

Mark scheint meinen Stimmungswechsel zu bemerken und sieht mich forschend an. Ich bin einfach nur noch wütend auf diese Frau und wenn ich immer wieder an den Gesichtsausdruck meines Vaters denke muss, wird es immer schlimmer. Ich habe erst heute verstanden, dass er sich die Schuld an ihrem Verschwinden gibt. Daran, dass sie sich nicht um uns gekümmert hat. Nur weil er sie nicht glücklich machen konnte. So ist es aber nicht und ich nehme mir fest vor ihm niemals die Schuld zu geben. Sie hätte alles klären können und wenn die Beziehung mit meinem Vater sie wirklich nicht zufrieden stimmt, hätte sie sich trotzdem bei uns melden können. Aber das möchte sie nicht und das werde ich akzeptieren müssen.

»Ich bin immer für dich da, vergiss das nicht.«, sagt mein Bruder und lächelt mich an, auch wenn es mehr wie ein trauriges Lächeln wirkt. Ich nicke und versuche ihm ein aufrichtiges, fröhliches Lächeln entgegenzubringen. Wir dürfen uns nur niemals unterkriegen lassen.

»Ich muss euch auch noch was sagen. Es ist bei weitem nicht der beste Moment, aber ihr beide habt einfach ein Recht darauf es zu erfahren.«, wirft unser Vater in die Runde und sieht und mit einem so neutralen Ausdruck an, dass ich kurz unsicher zu Mark sehen muss.

»Ich habe eine neue Frau kennengelernt. Sie arbeitet seit kurzen in meiner Firma und ich mag sie wirklich sehr gerne.«, erklärt er und sieht uns jetzt doch eher unsicher an. Mark sieht ihn nur an und scheint nichts antworten zu wollen. Eigentlich habe ich damit schon gerechnet, weswegen ich überraschend gut damit auskomme. Ich freue mich, dass mein Vater endlich von meiner Mutter loslassen kann und sich auf sich selbst konzentrieren kann.

»Das ist doch schön. Wie heißt sie denn?«, frage ich und stoße Mark mit dem Ellenbogen in die Seite. Dieser nickt unserem Vater zu und sieht mich dann böse an. Manchmal muss man Typen eben zu der richtigen Reaktion zwingen.

»Ihr Name ist Monika. Ich würde sie gerne einmal zum Essen einladen, damit ihr sie kennenlernen könnt.«, antwortet er und lächelt mich erleichtert an. Ich nicke, gehe auf ihn zu und ziehe ihn in eine feste Umarmung. Ich fühle eine angenehme wärme in meinem inneren aufsteigen und kann nur glücklich vor mich hin lächeln. Dabei kann ich nur an eins denken: ich werde den roten Sessel wegschmeißen.

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