Schwere Herzen

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Lennox

Im Feldlazarett hatte ich dem Sanitäter, bestimmend den Lappen aus der Hand genommen und mich daran gemacht, Neal das Blut aus dem Gesicht zu entfernen. Der General, unser Sarge und der Commander waren wieder zurück zum provisorischen Stützpunkt gegangen.

Der Sanitäter murmelte etwas von Blutvergiftung und lief mit der kaputten Beinprothese von Neal in den Händen auf und ab. Mein bester Freund dämmerte immer wieder weg, weil das Schmerzmittel das man ihm verabreicht hatte ziemlich stark war.
Ich beobachtete zufrieden, wie sich sein Brustkorb sachte hob und wieder senkte.
Das Gewusel um uns herum blendete ich vollkommen aus, nur Neal war für mich gerade das wichtigste. Ich strich vorsichtig über seinen Kiefer und sah wie seine Lieder flackerten. Aus müden Augen blinzelte er zu mir hoch und als er mich sah, verzog sich sein Mund zu einem leichten Lächeln.

»Du bist ja immer noch hier« flüsterte er und ich nickte nur. Ein warmes Gefühl machte sich in meiner Bauchgegend breit, während er mich so anschaute.

Man sollte meinen wir Klone hätten alle die selben Augen, doch das stimmte nicht. Besonders Neal tanzte aus der Reihe. Bekanntlich kann man durch die Augen in die Seele eines Lebewesens schauen und wir alle besaßen eine ganz individuelle Seele, da war ich mir ziemlich sicher.
Neals Seele stach für mich schon immer besonders zwischen all meinen anderen Brüdern hervor.

»Bist du gar nicht mit Ari und Lincoln zum Essen gegangen? Du musst doch Hunger haben« meinte Neal mit kehliger Stimme und anstatt ihm zu antworten, holte ich eine Wasserflasche.
Vorsichtig stütze ich seinen Kopf und setzte die Wasserflasche an seine Lippen an.
Er trank wie ein verdurstender, sodass ich ihn mahnend ansah aus Angst er könnte sich verschlucken.

»Hey, hey du verschluckst dich noch« schimpfte ich schließlich leise mit ihm.

Der Sanitäter von eben, trat neben mich und schaute mitleidig zu Neal.
»Dich hat es ganz schön erwischt. Auf die Prothese musst du ein Weilchen verzichten, weil dein Stumpf wund und entzündet ist« erklärte der Doc und Neal brummte daraufhin etwas unverständliches. Er drehte seinen Kopf zur Seite und vermied es mich anzusehen.
Der Sanitäter legte kurz eine Hand auf meine rechte Schulterplatte und gab mir mit seinem Blick zu verstehen, dass ich mit Neal reden sollte.

Er ging zu einem anderen Verwundeten und ich lief um die schwebende Trage herum. Ich hockte mich vor Neals Gesicht auf den Boden.
»Ich bin es so leid immer nur sowas wie ein Klotz am Bein zu sein. Der Sarge wird mich bestimmt zum Kreuzer zurück schicken, weil mich niemand durch die Gegend tragen kann« murrte er und presste seine Lippen zu einem dünnen Strich zusammen.
»Neal, du bist schwer verletzt. Das ist die logische Konsequenz. Du bist gerade nicht einsatzfähig« versuchte ich mit ihm zu reden und bemerkte wie sich seine unverletzte Hand zur Faust ballte.
»Verdammt Nox, du verstehst gar nichts« zischte er und starrte hinauf zum Zeltdach.
»Doch, ich glaube schon. Du wolltest dich wegen Wolffe beweisen und ihm zeigen, dass du immer noch stark genug bist für den Job« entgegnete ich und er seufzte vernehmlich.

Ich sah wie seine Lippen zu zittern begannen und das war mir Antwort genug. Vorsichtig streichelte ich ihm über die Wange.
»Ich will dir was verraten, Bruder. Du bist der stärkste hier, im gesamten Wolfsrudel und du musst dich nicht vor irgendjemanden beweisen« machte ich ihm klar und er blickte gerührt zu mir.

»Danke« flüsterte er und in seinen Augen lag ein Funkeln.
Ich legte meine behandschuhte Hand auf seinen Arm und sah dabei zu, wie er erneut gegen die Müdigkeit kämpfte.
Ein Räuspern hinter mir ließ mich über die Schulter schauen und ich musste Schmunzeln.
Lincoln hielt einen Teller mit Essen in der Hand und Ari trat von einem Bein auf das andere.

»Wie geht es ihm?« wollte er wissen und versuchte einen Blick auf Neal zu werfen.
»Er wird wieder« meinte ich und blickte kurz zu meinem besten Freund, den die Müdigkeit schlussendlich doch übermannt hatte.

Ich nahm den Teller von Lincoln entgegen und setzte mich in voller Montur auf den erdigen Boden.
Zufrieden kaute ich auf einem weißen Würfel herum und sah dabei zu, wie Ari mit den Füßen ein wenig Erde zu einem Haufen zusammenschob. Eine seltsame Angewohnheit von ihm.
»Ich habe vom Sarge gehört, dass sich die Sepis zurückgezogen haben. Vielleicht um ihren Stützpunkt besser sichern zu können oder wahrscheinlich eher, um einen weiteren Angriff zu planen« gab Lincoln mit gerunzelter Stirn preis.
Ich drehte mich kurz zu Neal um und atmete aus. Wir müssen die Verletzten vorher, unbedingt von hier wegbringen. Neal in Sicherheit bringen.
Lincoln blickte wissend zu mir und ich steckte mir einen weiteren, gut schmeckenden Würfel in den Mund.
»Ich denke, dass der General bald den Befehl dazu erteilt, die Verwundeten zu evakuieren« meinte er und Ari nickte zustimmend.

»Asher, haben wir gerade kurz gesehen. Er hatte echt verdammtes Glück« beendete Ari die entstandene Gesprächspause zwischen uns.
»Ja, ich weiß. Er hat mich sofort nach euch und den anderen gefragt« meinte ich und bemerkte, wie die Miene von Lincoln sich trübte.

»Miko und Veit haben es nicht geschafft« brachte er stockend hervor und ich verschluckte mich fast.
»Weiß Asher schon davon? Er und Miko waren immer ziemlich dicke miteinander« murmelte ich und bemerkte, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete. Auch der Appetit war mir plötzlich vergangen und ich stellte den Teller neben mir ab.
Ari nickte und ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
»Er ist ziemlich fertig mit der Welt« schob er nach und mir entging nicht, das Lincoln zu Neal hinüber blickte.

»Was ist mit  Iyan und Nikas?« wollte ich wissen und Ari zuckte nur mit den Schultern.
»Die beiden haben sich beim Sarge, als lebend gemeldet« erklärte Lincoln und ich atmete erleichtert auf.
Trotzdem wogen die Verluste von unseren Brüdern, schwer auf unsere Herzen.

Hoping tomorrow, tomorrow is better than todayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt