Noch nie war mir der Weg nach Hause so lang vorgekommen. Zwar lag die Wohnung aus der ich gerade geflüchtet war gar nicht so weit von meiner entfernt, dennoch schien es mir als ob ich auf der Stelle laufen würde. Erst nach einiger Zeit fiel mir auf dass ich mein T-Shirt falsch herum trug und mein Zopf sich schon längst aufgelöst hatte, doch es war mir egal. Ich wollte einfach nur in meine Wohnung, in die Wärme und Sicherheit, wo ich mir keine Gedanken machen musste, was ich bloß in der restlichen Schulwoche machen sollte. Im Nachhinein wäre es mir lieber gewesen ich wäre einfach ganz lässig mit der Situation umgegangen, was ja auch meine eigentliche Art war. Dank meiner ach so tollen Reaktion war nun ein weiteres Gespräch mit Liam unvermeidlich geworden und ich nahm nicht an das es um meine Note gehen würde. Später würde ich bestimmt über das Ereignis lachen, doch jetzt war mir gar nicht zu Lachen zu Mute. Der Regen prasselte leise auf die Pflastersteine und es roch einfach himmlisch. Leider bemerkte ich das überhaupt nicht, sondern ärgerte mich nur über einen dummen Stein, der sich in meinen Schuh geschmuggelt hatte. Plötzlich tauchte ein junger Mann auf dem Gehsteig auf. Meine Augen waren so fasziniert vom Muster der Steine, dass ich ihn übersah und direkt in ihn hinein rannte. Mein Kopf bebte fürchterlich, doch trotzdem lief ich weiter ohne aufzusehen. Er rief mir etwas hinterher, doch ich war schon längst außer Hörweite. Schließlich war ich fast zuhause angekommen, als ich noch beschloss schnell in die kleine Bäckerei, die neben meiner Wohnung lag, zu gehen, da ich furchtbaren Hunger hatte. Ich bezahlte gerade meinen Kornspitz, als auf einmal mein Chemieprofessor das Geschäft betrat. Sosehr ich auch hoffte, er würde mich nicht ansprechen kam das gefürchtete „Hallo!“. Natürlich konnte ich ihn nicht einfach ignorieren und versuchte so normal wie möglich zu klingen als ich ebenfalls „Hallo...“ sagte. Das Resultat war ein erbärmliches Piepsen, welches seine gesamte Aufmerksamkeit geradewegs auf mich zog. „Stimmt etwas nicht mit dir? Du klingst so komisch!“, fragte er mich besorgt. An diesem Tag stellte sich heraus, dass ich sehr schlecht mit Druck, Fragen und wahrscheinlich der gesamten restlichen Welt umgehen konnte. „Alles ist Bestens!“, schrie ich fast durch die ganze Bäckerei, lief hinaus und ließ einen verwunderten Professor zurück. Ich war heilfroh, als ich endlich meinen Schlüssel im Schloss umdrehte und in meine Wohnung konnte. Dort wurde ich bereits freudig von meinem kleinem Kater Misha erwartet. Er war eines der wichtigsten und ganz sicher das einfachste Lebewesen in meinem Leben. Über ihn musste man nur drei Dinge wissen: Hunger ist Standard, Streicheln ist Pflicht, Schlechte Laune ist Voraussetzung. Also wie ich schon sagte, er war sehr unkompliziert, was in meiner Familie selten bis nie vorkam. Deshalb war er auch der einzige Mitbewohner den ich duldete. Vor zirka einem Jahr als ich noch sechzehn war hatte ich mir die Wohnung gekauft, weil ich es bei meinen Eltern nichtmehr ausgehalten hatte. Das darf man natürlich nicht falsch verstehen, denn ich liebte meine Eltern wahnsinnig, doch zusammen wohnen war keine gute Idee. Ich fühlte mich ohne sie freier, und ihnen ging es genauso. Die erste erfreuliche Entdeckung heute war zu sehen, dass mein Bett nicht gemacht war. Ich stürzte mich klarerweise gleich unter meine Decke, nachdem ich Misha gefüttert hatte. Sofort überrollte mich eine Woge der Sicherheit und Müdigkeit, denn ich hatte ja den Großteil der gestrigen Nacht nicht wirklich mit schlafen verbracht. Es dauerte keine fünf Minuten bis ich eingeschlafen war. Leider hielt mich der Schlaf nicht lange genug von der Realität fern.
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Auf dem Boden der Tatsachen
Fiksi RemajaJedes Leben ist einzigartig. Jedes Leben ist kostbar. Jedes Leben ist begrenzt. Clairedif ist 17 Jahre alt, überdurchschnittlich gut in der Schule und will ihr Leben in vollen Zügen genießen. Nach einem One-night-stand mit ihrem Geschichtsprofessor...