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O zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,
Der ersten Liebe goldne Zeit,
Das Auge sieht den Himmel offen,
Es schwelgt das Herz in Seligkeit;
O dass sie ewig grünen bliebe,
Die schöne Zeit der jungen Liebe!

(Friedrich Schiller)

~*~

Zum ersten Mal gesehen habe ich dich an einem warmen Spätsommermorgen im Jahr 2004. Es war der erste Tag nach unseren letzten Sommerferien. Das zehnte und für mich definitiv letzte Schuljahr. Es ging für mich um alles. Ich hatte mir geschworen, dass ich mich reinhängen würde, um eine Ausbildung zum Fachinformatiker machen zu können. Mein Wunsch, in diese Richtung zu gehen, wurde durch ein zweiwöchiges Praktikum in einer Behörde geweckt. Nichts sollte mich ablenken. Der Sport nicht, meine Freunde nicht und schon gar kein Mädchen. Ganz einfach.

Doch du hast meine guten Vorsätze bereits ab der ersten Sekunde ins Wanken gebracht. In deiner weiten Schlaghose mit einem Top, welches einen winzigen Teil deiner makellosen Haut am Bauch entblößte, sah ich dich das erste Mal. Gemeinsam mit der Rektorin hast du den Klassenraum betreten. Du hast es vermieden mich und meine Klassenkameraden auch nur anzusehen. Augenblicklich waren alle in dem engen Raum verstummt. Fünfundzwanzig Augenpaare waren auf dich gerichtet. Musterten dich von oben bis unten. Die Mädchen tuschelten, die Jungs tauschten vielsagende Blicke. Niemand wollte jetzt in deiner Haut stecken. Bestimmt fühlten sich für dich die wenigen Sekunden, in denen du uns vorgestellt wurdest, wie endlose Stunden an.

Ich kann dir versichern, dass es mir genauso ging. Mit dem kleinen Unterschied, dass ich nicht wollte, dass dieser Moment endete. Du hattest von Beginn an etwas an dir, das mich faszinierte. Deine dunklen Haare mit dem Pony, welcher dir bis über die Augenbrauen reichte. Die schönen, zarten Lippen, auf denen du nervös kautest. Und deine knallroten Chucks, die so etwas wie dein Markenzeichen wurden, da du sie in der Schule eigentlich jeden Tag getragen hast. All das und eine Aura die ich selbst heute, nach all den Jahren noch immer nicht in Worte fassen kann, sollte sich in meinen Kopf einbrennen.

Ich glaube, dass es in jedem Leben Momente, Erinnerungen, Erlebnisse und Erfahrungen gibt, die man nie vergisst. Manchmal mögen sie für Ausstehende vollkommen banal sein. Auch für einen selbst ist es hin und wieder unerklärlich, warum man sich ausgerechnet an diesen einen speziellen Augenblick so genau erinnern kann. Ein Beispiel dafür: als kleiner Junge habe ich mal alle meine Puzzles, die ich hatte, zusammengesetzt, um sie anschließend zwei Wochen in einer Art Ausstellung in meinem Zimmer zu präsentieren. Anderseits gibt es auch die Erinnerungen, bei denen jeder sofort versteht, warum man sie nie vergessen wird. Dieser Augenblick vor vielen Jahren war ein solcher Moment. Schließlich sollte dies der Beginn unserer gemeinsamen Geschichte werden.

Eine Geschichte, die ein ganzes Leben lang erzählt werden wird. Ein Leben, in dem wir oft Hand in Hand gingen, uns aber auch aus den Augen verlieren sollten. Wir uns dennoch immer lieben würden. Egal, ob wir die Welt daran teilhaben ließen, oder wir uns heimlich unseren Gefühlen hingaben. Gefühle, die große Fußspuren auf unseren Herzen hinterlassen sollten, gleichzeitig aber auch tiefe Narben in unsere Seelen kratzen würden. All die Höhen und Tiefen, die man manchmal durchmachen muss, um schlussendlich zu begreifen, dass man von Beginn an wie füreinander gemacht ist. Dass dieser eine Mensch deine bessere Hälfte ist und dir verzeihen kann, ohne nachtragend zu sein. Dich lieben kann, ohne Bedingungen zu stellen. Der dich durch deine dunklen Momente begleitet. In der einen Hand eine Taschenlampe hält und in der anderen deine eigene Hand liegt und sich genau das perfekt anfühlt.

Dieser Mensch solltest du für mich werden und ich für dich. Aber natürlich wusste ich das damals noch nicht.

Ich muss dir hinterher gestarrt haben, während du dich auf deinen neuen Platz neben Nadine - welche später deine beste Freundin werden würde - gesetzt hast. Erst ein schmerzhafter Hieb in die Seite durch meinen besten Kumpel Ben sollte mich schlagartig in die Realität zurückholen.

„Stehst du auf die Neue?", hatte er sich mit einem schadenfrohen Grinsen und eine Spur zu laut erkundigt.

Du hast nur eine Reihe vor mir gesessen. Ich kann mich daran erinnern, dass du unbehaglich auf deinem Stuhl hin und her gerutscht bist. Bestimmt hattest du den blöden Spruch meines Kumpels gehört. Ich bemerkte sofort, wie meine Ohren heiß und rot zur selben Zeit wurden. Ein klares Indiz dafür, dass wenn man mich ertappt hat und mir etwas unangenehm ist. Eine Eigenart, die mich einige Jahre später dazu veranlasst hat, meine Haare wachsen zu lassen.

Dennoch versuchte ich, so cool es mir eben möglich war, Ben zu versichern dass er nur Scheiße labern würde. Laut genug, damit du es ebenso hören konntest. Er glaubte mir natürlich nicht und ließ mich das auch mit einem sarkastischen Lachen wissen. Ben kannte mich viel zu lange. Bereits im Kindergarten schworen wir per Blutsbrüderschaft, dass wir für immer beste Freunde sein würden.

Ich hoffte allerdings, dass du es glauben würdest, denn schließlich hatte ich mir für dieses Schuljahr etwas vorgenommen. Ausserdem wäre es mir verdammt peinlich gewesen, wenn du von Beginn an gewusst hättest, wie toll ich dich fand.

Obwohl ich mir während der restlichen Unterrichtsstunde die größte Mühe gegeben hatte, dich nicht ständig anzustarren, hast du immer geschworen meine bohrenden Blicke in deinem Nacken gespürt zu haben.

„Du bist und bleibst ein schlechter Lügner, Julian", hatte mir Ben deutlich leiser als noch vor zehn Minuten zugeflüstert.

„Quatsch nicht", hatte ich erneut abgewiegelt und daraufhin versucht ihm zu erklären, dass ich nur so fixiert auf dich war, weil du eben neu und damit interessant warst.

„Das glaubt dir keiner", war seine Antwort darauf bloß gewesen.

„Wenn das Gelaber von Frau Müller nicht so langweilig wäre, müsste ich mich jetzt nicht mit anderen Dingen ablenken", hatte ich über unsere Klassenlehrerin hergezogen, welche vorne gestanden hatte, um uns über die Formalitäten, wie Stundenplan, Lehrräume und so weiter für das neue Schuljahr aufzuklären.

Zumindest hatte ich gedacht, dass sie noch immer vorne stehen würde. Doch da ich nur Augen für dich gehabt hatte, bemerkte ich nicht, wie sie sich in einem lehrertypischen Schleichen nach hinten bewegt hatte und plötzlich hinter mir und Ben stand.

„Wenn ich dich so sehr langweile Julian, dann solltest du vielleicht das Sprechen für mich übernehmen", hatte sie mir in einem pikierten Tonfall zu verstehen gegeben. Erschrocken war ich mit einem kleinen Aufschrei zusammengezuckt. Das wiederum veranlasst, unsere Mitschüler dazu sich in meine Richtung zu drehen und zu kichern.

Alle hatten mich angestarrt. Alle ausser du. Der kurze Aufruhr, welcher alle Anwesenden aus dem allgemeinen Tiefschlaf geweckt hatte, wurde sogleich von Frau Müller wieder runter gekocht. Kurz darauf verfiel sie erneut in ihren langweiligen Monolog.

Ein letzter verstohlener Blick von mir in deine Richtung in unserer ersten gemeinsamen Stunde ließ mich erkennen, dass du nicht mehr ganz so angespannt wie am Anfang dazusitzen schienst. Der Gedanke, dass mein peinlicher Auftritt dir geholfen hat, etwas lockerer zu werden, weil die ganze Aufmerksamkeit nicht mehr auf dir ruhte, hatte mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert.

Das erste Grinsen von unendlich vielen, die noch folgen sollten und alles nur wegen dir.

Ben musste mein verträumtes Grinsen bemerkt haben, denn ich hatte ihn nur höhnisch meine Worte, von wegen der Unterricht sei so langweilig, wiederholen hören.

~*~

How We LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt