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Den restlichen Schultag wartete ich nur auf meine Gelegenheit, um mit Ben allein zu sein. Allerdings schien es das Universum wie gewohnt nicht gut mit mir zu meinen. Im Unterricht hatte ich ihn schlecht fragen können, woher er so genaue Informationen über dich hatte und in den Pausen dazwischen waren wir nie allein gewesen. Ich plante von vornherein mehr Zeit ein, da ich glaubte, dass es ein längeres Gespräch zwischen zwei Männern, oder sowas ähnliches, werden sollte.
Als es endlich zum Schulschluss klingelte, fragte ich meinen besten Freund, ob er nicht heute Nachmittag Zeit hätte, damit wir uns treffen könnten. Ich schlug ihm vor, dass wir gemeinsam an seinem PC zocken könnten, oder sonst was machen könnten. Solch ein Angebot hatte er bis dato noch nie abgelehnt. Doch an diesem Tag passierte etwas Merkwürdiges. Sein Blick wanderte nach vorne in die erste Reihe, in welcher du mit Nadine gerade dabei warst, deine Sachen zusammen zu packen. Augenblicklich bemerkte ich, wie es in meinem Magen vor Anspannung rumorte. Ich musste mir auf die Lippen beissen, als mein angeblich bester Freund mir eine Ausrede auftischte, die ihm niemand jemals abgekauft hätte.
„Ich muss meiner Ma im Garten helfen."
Dieser Feigling hatte nicht mal den Mumm in den Knochen mir in die Augen zu sehen, während er mich so dreist anlog. Ich kochte vor Wut und Eifersucht. Für mich war in diesem Moment klar, was hier gespielt wurde. Ben und du ihr wolltet euch heimlich treffen und das vermutlich nicht zum ersten Mal. Ich war stinksauer, doch Ben hatte davon nichts mehr mitbekommen. Blitzschnell hatte er seine Sachen gepackt und war verschwunden. Dieses verdächtige Verhalten bestätigte mich nur noch mehr in meiner Vermutung.
Wütend feuerte ich meinen Hefter in den Rucksack. Dafür erntete ich sogleich ein missbilligendes Zähneknirschen der alten Hexe hinter dem Lehrertisch. Ich wollte ihr fast schon den Mittelfinger entgegenstrecken, riss mich aber zusammen und stürmte ohne einen Abschiedsgruß aus dem Klassenzimmer.
Es war ein Freitag und ich war froh darüber, als ich zu Hause ankam, dass ich noch allein zu Hause war. Ich nahm mir eine kalte Cola aus dem Kühlschrank, um anschließend die Treppe hinauf in mein Zimmer zu gehen.
Ich war so wütend, dass ich am liebsten alles kurz und klein geschlagen hätte. Nein, ich hatte kein Aggressionsproblem, schließlich riss ich mich zusammen. Damals konnte ich mir nämlich noch keine eigene Wohnung leisten und aus diesem Grund ließ ich meinen Frust einfach nur an meinem Kopfkissen aus. Bei allen anderen Gegenständen in meinem Zimmer, wäre die Chance ansonsten recht hoch gewesen, dass meine Eltern mich auf die Straße gesetzt hätten.
Irgendwann hielt ich es in meinem kleinen Zimmer nicht mehr aus. Ich musste noch einmal an die Luft.
Auf dem Weg nach draußen traf ich meine Mutter. Augenblicklich hatte sie sich mir, vollbeladen mit den Wochenendeinkäufen, in den Weg gestellt. Dabei wollte ich doch eigentlich wütend und in düsterer Emo-Teenager-Version durch die Straßen ziehen.
„Hier, das kannst du gleich mal reintragen." Prompt hatte ich zwei vollbepackte Taschen in den Händen. Widerstand war zwecklos und so trug ich das Zeug noch schnell in die Küche.
Zu allem Überfluss war meine Mutter in Plauderlaune. „Wo wolltest du denn gerade hin?"
„Raus", antwortet ich kurz angebunden. Doch das hielt meine Mutter nicht davon ab weiter zu quasseln, während sie die mitgebrachten Lebensmittel in den Schränken verstaute.
„Papa und ich gehen nachher wieder zu Kerstin und Christian, willst du mitkommen?"
Ich stöhnte nur genervt auf. Meine Eltern waren in letzter Zeit ständig mit deinen Eltern unterwegs gewesen, oder trafen sich auf ein Gläschen Wein. Die hatten wohl ernsthaft vor, sowas wie eine Päärchenbeziehung zu führen. Doch viel schlimmer als das, war der immer wieder verzweifelte Versuch meiner Mutter mich zu überzeugen mit zu euch zu kommen. Doch nach dem katastrophalen ersten Mal bei dir zu Hause habe ich immer abgelehnt und du schienst es mir gleich zu tun. Schließlich bist du bis dato noch nie bei uns aufgetaucht.
Da meine Stimmung ohnehin bereits im Keller war, fiel meine Antwort dementsprechend schroff aus.
„Hör auf, mich ständig zu fragen, ob ich mitkommen will. Ich habe keinen Bock auf Laura und ihre Eltern. Wenn ihr beste Freunde sein wollt, bitte, aber lasst mich mit dem Scheiß zufrieden."
Der Röntgenblick meiner Mutter traf mich und ich wünschte mir, dass ich eine Bleiweste getragen hätte. Da ich diese aber nicht besaß, blieb mir nur die Flucht anzutreten.
„Ich bin weg", rief ich meiner Mama noch zu, kurz bevor ich das Haus verließ.
An einem Freitag hatte ich von meinen Eltern damals keine wirkliche Sperrstunde auferlegt bekommen. Im Sommer galt, dass ich bis zum Sonnenuntergang zu Hause sein sollte. Andernfalls sollte ich Bescheid sagen, wo ich war. Das war ganz klar ein Vorteil, wenn man auf dem Land lebte. Ich glaube zu wissen, dass meine Eltern die Sache nicht so locker gesehen hätten, wenn wir in einer Großstadt gelebt hätten.
Zu Beginn lief ich einfach ziellos durch unser Dorf. Ich war froh darüber, dass mir niemand über den Weg lief, den ich kannte. Bis ich schlussendlich vor dem Haus meines besten Freundes landete.
Ohne weiter nachzudenken klingelte ich und seine Mutter öffnete mir. Freundlich begrüßte mich die kleine, rundliche Frau.
„Hallo Julian. Wie geht's deinen Eltern? Ben ist noch nicht wieder zu Hause. Willst du oben warten, oder hast du vielleicht Hunger?"
Mich hatte es natürlich nicht gewundert, dass er nicht da war, dennoch wollte ich auf ihn warten. Ich lehnte das Essen ab und begab mich direkt in Bens Zimmer. Seit ich ein kleiner Junge war ging ich hier ein und aus. So war es mir nicht unangenehm mich in diesem Haus frei zu bewegen. Sobald ich das Zimmer betreten hatte, trottete der alte Malteser von Ben auf mich zu. Ich wuschelte ihm durch das weiße Fell und nahm ihn anschließend auf den Schoß, während ich mich auf den bequemen Bürostuhl meines besten Freundes niederließ.
„Wie geht's dir Rudi?"
Als Antwort gähnte der kleine Hund nur ausgiebig und machte es sich auf meinen Oberschenkeln richtig bequem. Gedankenverloren kraulte ich seinen Kopf und sah mich im Zimmer etwas um. Bens Bett war wie immer nicht gemacht und dank des Computers, der Tag und Nacht lief, herrschte eine unheimliche Hitze in seinen vier Wänden. Die Fenster waren geschlossen und ich beließ es dabei, da ich Rudi nicht wecken wollte. Ben bewohnte damals eine typische Jungenbude. Inklusive leeren Flaschen im ganzen Zimmer verteilt. Seine Mutter hatte damals kapituliert und lediglich gefordert, dass Essensreste den Weg aus dieser Höhle fanden.
Es waren etwa zehn Minuten vergangen, als ich hörte wie Ben nach Hause kam. Für den besseren Überraschungsmoment drehte ich mich samt Schreibtischstuhl so, dass ich mit dem Rücken zum Eingang saß. Als ich vernahm, wie mein Kumpel die Tür öffnete drehte ich mich langsam in seine Richtung. Während ich weiterhin den schlafenden Malteser streichelte.
„Endlich sehen wir uns wieder", begrüßte ich ihn mit unheilvoller Stimme.
Ich fühlte mich in diesem Augenblick wie ein waschechter Mafiaboss und Ben hatte bestimmt eine Scheißangst – jede Wette!
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How We Love
RomanceDie Geschichte einer Liebe, welche ein gesamtes Leben überdauern sollte. Eine Liebe die durch Höhen und Tiefen geht. Eine Liebe die glücklich macht und Narben hinterlässt. Die Geschichte von Laura und Julian. Cover von @little_ophelia Betaleserin @S...