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Bereits als ich mein Fahrrad wütend über diesen scheiß, ersten Schultag nach den Ferien einfach nur auf die Auffahrt zu unserer Garage feuerte, sodass es einen gehörigen Krach machte, wusste ich, dass es ein Fehler war.

Meine Mum kam aus dem Haus gestürmt, um mir augenblicklich die Leviten zu lesen. Ich weiss noch, dass sie so etwas sagte wie, ich würde wohl nicht wissen was das kostet und ob ich gerne nur noch laufen wolle. Es war mir scheiß egal. In diesem Moment war ich im Badass-Teenager-Modus. Aber mit meiner Mutter wollte ich es mir dennoch nicht verscherzen. Ich nahm also mein Fahrrad und brachte es an den dafür vorgesehenen Ort. In der Hoffnung, dass so die Tiraden meiner Mutter über mein rücksichtsloses Verhalten aufhören würden. Damit sollte ich auch Recht behalten. Ich hatte den Drachen gezähmt. Nun bemerkte sie aber sofort mit ihren übernatürlich Mutterinstinkten, dass etwas mit mir nicht stimmte. In einem Bruchteil von Sekunden wechselte ihre Stimmung von gereizt zu fürsorglich. Sofort wollte sie mich in den Arm nehmen und an sich drücken. Das wollte ich zur damaligen Zeit allerdings auf keinen Fall.

„Mum lass mich los, ich bin kein kleiner Junge mehr", befahl ich ihr und wand mich aus ihrem Klammergriff.

Meine Mutter nahm es mir zum Glück nie übel, wenn ich unter dem Einfluss meiner Teenagerhormonen so ruppig zu ihr war.

„Du wirst aber immer mein kleiner Junge bleiben. Auch wenn du irgendwann erwachsen bist und deine eigene Familie gründest", antwortete sie völlig unbeeindruckt, entließ mich aber dennoch aus ihrer Umarmung.

„Was ist passiert?", hakte sie unbeeindruckt von meiner ablehnenden Haltung nach.

Ich gab die Standardantwort eines jeden Teeangers, der keine Lust hatte über seine Gefühle, seinen Tag, oder die Schule zu reden. Und das auch noch mit seiner Mutter.

„Nichts!"

Resigniert seufzte meine Mum nur, doch als gelernte Erzieherin wusste sie, dass es wenig Sinn machte, weiter nachzuforschen wenn ich mich so verhielt, wie zu diesem Zeitpunkt.

„Ich gehe in mein Zimmer und will meine Ruhe", teilte ich ihr noch höflich wie ich nun mal war mit. Um sogleich den schwierigen Aufstieg der alten Holztreppe ins erste Stockwerk zu meistern.

„Willst du einen Kakao?", rief sie mir zu und ich drehte mich lediglich in ihre Richtung, damit sie sehen konnte, wie ich ungläubig die Augen verdrehte.

Das Grinsen meiner Mum, zeigte mir direkt, dass sie sich einen Scherz mit mir erlaubt hatte. Entschuldigend zuckte sie mit den Schultern, um anschließend noch hinzuzufügen, dass sie ihrem kleinen Jungen, der schließlich noch minderjährig war, kein Bier anbieten konnte. Nun musste auch ich schmunzeln, dennoch ging ich ohne ein weiteres Wort die Stufen hinauf.

Oben angekommen schlug ich die Tür hinter mir zu, um noch einmal deutlich zu demonstrieren, dass ich wirklich schlechte Laune hatte. Wenige Sekunden später drehte ich das aktuelle Album von Linkin Park laut. Um genau zu sein, den einen Song, den ich an diesem Nachmittag hoch und runter spielen würde. Numb. Das Lied schien in diesem Moment nur für mich geschrieben worden zu sein. Für mich und dich. Und all das was zwischen uns schiefgelaufen war.

Ich war wirklich von Anfang an schwer verknallt in dich, wie ich mir in diesem Augenblick selbst eingestanden habe.

Laut grölte ich, gemeinsam mit dem Frontsänger Chester, die Textzeilen mit. Genauso wie er es immer getan hatte, gab auch ich alles. Ohne Rücksicht auf Verluste. War mir doch egal, ob meine Mutter mich unten hören konnte. Der Schmerz musste raus.

Every step that I take is another mistake to you...

Gott, wie recht er hatte. Alles was ich tat schien völlig falsch bei dir anzukommen. Du schienst mich für einen kompletten Volltrottel zu halten und das bereits nach einem Tag. Damals war ich der festen Überzeugung, dass es wohl auch immer so bleiben würde. Du sicherlich auf ältere Kerle stehen würdest, Jungs mit mehr Muskeln. Damals war ich eher schmächtig. Ich hatte es echt vermasselt. Dabei wollte ich dich doch einfach nur kennenlernen.

Nachdem ich den Song gute zwanzig Mal gehört und jedes einzelne Mal fieberhaft mitgesungen und performt hatte, fiel ich erschöpft auf mein Bett und starrte die Deckenschräge kurz über meinen Kopf an.

Wenn ich heute daran zurückdenke, muss ich immer noch laut lachen. Du ebenso, als ich es dir Jahre später mitten in der Nacht neben dir liegend erzählt habe. Am Morgen danach hast du den Song als Weck-Ton auf meinem Smartphone eingestellt und ich habe ihn bis heute nicht mehr geändert.

In diesem Moment einsam auf meinem Bett liegend fühlte ich mich absolut verloren. Die gesamte Situation, mein peinliches Auftreten in der Schule – vor allem in der Pause – schwirrten mir durch den Kopf. Zuletzt, als krönender Abschluss, das Drama mit Nadine am See. Der Gedanke, dir am nächsten Tag wieder unter die Augen treten zu müssen, ließ mich damals vor Scham im Erdboden versinken.

Der Standard-Nokia-Ton kündigte eine SMS an und riss mich somit aus meinen trüben Gedanken. Die guten alten Zeiten. Mein Nokia 6230 hatte bereits eine Kamera. Auch wenn man damit nur Fotos machen konnte, die aussahen als hätte man eine Kartoffel vor die Linse gehalten. Trotzdem war das für die damalige Zeit verdammt cool.

Ich griff also in meine Hosentaschen und sah auf das Display. Eine Nachricht von Ben. Wie immer hatte er seine 160 Zeichen, die für eine Textnachricht zur Verfügung standen, komplett verwendet. Für zwanzig Cent pro Nachricht wollte damals niemand auch nur ein einziges Zeichen ungenutzt lassen. Doch um es kurz zu machen, fragte er mich lediglich, was denn los gewesen sei und warum ich direkt wieder abgehauen sei.

Ich antworte nicht, da mein Guthaben nur noch fünf SMS zuließ. Dennoch hatte die Nachricht etwas Gutes. Wenn Ben keine Ahnung hatte, was ich mit Nadine besprochen habe, konnte dies nur bedeutet, dass sie dichthielt.

In diesem Augenblick war ich ihr unendlich dankbar für ihre Loyalität. Ich dachte zwar immer, sie könne kaum ein Geheimnis für sich bewahren, doch da hatte ich mich mächtig getäuscht.

Heute weiß ich natürlich, dass Nadine die beste Freundin ist, die man sich und vor allem du dir je hättest wünschen können.

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