12

103 28 100
                                    


~*~

Von meinem unheilvollen Auftritt unbeeindruckt zog Ben sich sein Shirt aus, welches er den ganzen Tag getragen hatte und warf es auf einen Kleiderhaufen neben dem Bett. Dann griff er nach einem Deospray auf seinem Nachtschrank und sprühte sich minutenlang ein. Ich fand das überhaupt nicht merkwürdig. Damals hatte uns eben noch niemand erklärt, dass duschen viel effektiver ist, als sich mit einer Dose Spray einzuparfümieren. Und über Ozonwerte hat auch noch niemand gesprochen.

„Meine Mutter hat mir schon geschrieben, dass du da bist. Also was gibt's?"

Was ich wollte? Er traute sich ernsthaft mich zu fragen, was ich wollen würde. Am liebsten wäre ich theatralisch aufgesprungen und hätte ihn wie im Mittelalter zu einem Schwertkampf auf Leben und Tod herausgefordert. Es ging hier schließlich um dich. Doch Rudi, der noch immer friedlich auf meinem Schoß schlummerte, hielt mich davon ab. Ach ja, und die Tatsache, dass ich mit ziemlicher Sicherheit wusste, dass mein Kumpel keine Schwerter in seinem Zimmer versteckt hielt. Andernfalls hätte seine Mutter ihn auch mit eben diesen einen Kopf kürzer gemacht.

Ahnungslos über den Fakt, dass er soeben knapp dem Tod von der Schippe gesprungen war, ließ er sich mit einer Wasserflasche auf sein Bett fallen und leerte diese in einem Zug.

„Warum bist du eigentlich so aus der Puste? Ich dachte du bist bei Laura gewesen?"

Ben verschluckte sich an seinem Getränk, so dass er einen Teil davon wie ein Wasserspeier in meine Richtung spuckte. Damals ein klares Indiz für mich, dass ich voll ins Schwarze getroffen hatte. Jahrelanges „Die drei Fragezeichen" Hörspiele zum Einschlafen hören, hatte sich doch noch endlich ausgezahlt.

Ungeniert wischte sich Ben mit dem Handrücken das Wasser aus seinem Gesicht, bevor er mich ratlos fragte, wie ich denn darauf kommen würde, dass er bei dir gewesen sei.

„Was soll ich denn bei Laura? Ich bin so kaputt, weil ich mich beeilt habe, um hierher zu kommen, nachdem meine Mutter mir geschrieben hatte, um mir zu sagen, dass du plötzlich aufgetaucht bist."

Um seine Worte zu untermauern fischte er sein Handy aus der Hosentasche und hielt es demonstrativ in die Luft. Doch ich war noch immer nicht überzeugt. Ich glaubte weiterhin fest daran, dass er mich anlog. Wo sollte er sonst am Freitagabend gewesen sein? Hätte es eine Party gegeben, hätte auch ich Wind davon bekommen. Ausserdem hatte er mich offenbar wirklich dreist in der Schule angelogen. Seiner Mutter hatte er augenscheinlich nicht geholfen.

Noch immer nicht überzeugt zog ich die Augenbraue hoch und fixierte mein Gegenüber weiterhin. In der Hoffnung, dass er unter meinem strengen Blick einknicken und sofort mit der Wahrheit rausrücken würde. Doch dieses Talent besaß wohl nur Frau Schulze höchstpersönlich und bei der wollte ich mir unter keinen Umständen Ratschläge holen.

„Und wo bist du dann gewesen? Im Garten hast du deiner Mutter wohl nicht geholfen", rief ich ihm nochmal seine plumpe Lüge vom Nachmittag in den Sinn.

„Das geht dich einen scheiß Dreck an."

Ben verlor die Geduld mit mir. Doch anstatt mich rauszuwerfen, legte er sich rücklings auf sein Bett und schaltete den Fernseher mit der Fernbedienung an, die er unter seinem Kopfkissen vorzog. Eine Folge „Höllische Nachbarn" flimmerte über den Bildschirm. Mein Kumpel schenkte mir keine Beachtung mehr.

Ich wurde langsam richtig wütend. Wir waren doch Freunde und er hatte nichts Besseres zu tun, als sich an meinen Schwarm ranzumachen. Zu allem Überfluss schien er mich auch noch immer weiter anzulügen.

„Du weißt genau, dass ich auf Laura stehe. Warum lässt du sie dann nicht in Ruhe?", blaffte ich und machte ganz machomäßig klar, dass er sich an einen Kodex zu halten hatte.

Die Freundin des besten Freundes ist tabu. Das ist Gesetz. Ja ich weiß, damals warst du noch nicht meine Freundin. Aber ich glaubte daran, dass noch ein Wunder geschehen würde. Amor zum Beispiel, der dir eine ganze Ladung seiner magischen Pfeile entgegen ballern würde und du dich daraufhin sofort unsterblich in mich verliebt hättest. An irgendeinen Strohhalm musste ich mich ja schließlich klammern, um nicht in eine Spirale aus lauter Musik, fettigen Chips und Selbstmitleid zu versinken.

„Ich sagte doch ich will nichts von ihr und ich war auch nicht bei ihr."

Ein genervtes Stöhnen seinerseits bevor mein bester Freund noch hinzufügte: „Ausserdem, wenn du doch so auf Laura stehst, warum behandelst du sie dann die ganze Zeit wie Luft?"

Schmollend entgegnete ich, dass ihn das nichts angehen würde. Warum sollte ich ihm auch alles erzählen, wenn er ebenfalls Dinge für sich behielt.

Also verfielen wir in minutenlanges Schweigen. Bis Ben nachgab und leise sagte, dass ich anfangen sollte zu erklären was Sache ist. Gedanklich wog ich schnell das Für und Wider seines Vorschlags ab. Ich wusste, wenn ich Ben erzählen würde, was passiert war, dann hätte ich als Gegenleistung fordern können, dass auch er mir verriet, was los ist. Anderseits hätte ich ihm meine komplette Gefühlswelt darlegen müssen und mich bis auf die Haut nackig machen müssen. War es das wert? Verdammte Scheiße aber ja.

Selbst wenn wir uns damals etwas in den Haaren hatten, wusste ich, dass mein bester Freund nie ein Geheimnis, das ich ihm anvertraut hatte, verraten würde. Egal, was er davon hielt.

Beispielsweise hatte er meinen Eltern nie erzählt, dass ich in der neunten Klasse schon mal gekifft hatte, obwohl er davon absolut nichts hielt. Ich allerdings nach diesem einmaligen Versuch auch nicht mehr. Nach dem Joint wurde mir so übel, dass ich Marihuana nie wieder angerührt habe.

Mit einem Abklopfen unserer Fäuste hatten wir unseren Pakt, die Wahrheit zu sagen, schließlich besiegelt. Ich erzählte ihm was bei dir zu Hause passiert war. Ebenso vertraute ich ihm an, dass ich seither nur noch an dich denken konnte, aber nicht genug Mumm hatte, um mit dir zu sprechen. Ich mich stattdessen dazu entschieden hatte, dir aus dem Weg zu gehen, weil ich so verdammt enttäuscht von dir, aber auch von mir war.

Bis dato kannte ich es nicht, dass sich meine Gedanken ständig um ein und dasselbe Thema drehten. Ich mir eine Zukunft ausmalte mit dir, obwohl ich dich kaum kannte. Ich schon jetzt meine guten Vorsätze vernachlässigt hatte, obwohl ich ein Ziel vor Augen hatte. Ich mich also veränderte, obwohl ich es nicht wollte. Und irgendwie doch wollte, denn wenn es dazu führen würde, dass ich irgendwann mal in den Genuss kommen dürfte, dich auch nur zu küssen, dann war es jede Veränderung, die ich bis dahin durchmachen würde, wert gewesen.

„Das alles ist so eine Scheiße", fluchte ich.

Frustriert hatte ich mein Gesicht in den Händen vergraben. Während meiner lebhaften Erzählung schien Rudi sich bei seinem Nickerchen gestört gefühlt zu haben und hatte daraufhin die Flucht ergriffen. Ohne uns nochmal eines Blickes zu würdigen, war er hinaus getrottet. Okay, vielleicht hatte er auch einfach mein Gejammer nicht länger ertragen können. 

Ben hörte die ganze Zeit wortlos zu. Lediglich ein Nicken oder ein zustimmendes Brummen zeigten, dass er mir hatte folgen können.

„Ist auch vollkommen egal. Sie hat ohnehin einen Freund", endete ich schließlich.

„Mit dem ist bestimmt bald Schluss."

Völlig trocken packte Ben diese Tatsache auf den Tisch. Diese Tatsache stand plötzlich wie ein riesiger rosaroter Elefant mitten im Raum. Woher verdammt wusste er das, wenn er doch angeblich keinen engeren Kontakt zu dir hatte?

~*~

How We LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt