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Unauffällig versuchte ich immer wieder an mir zu riechen. Hatte meine Mum wirklich recht? Hatte ich es übertrieben mit dem Deospray? Meine Hoffnung war eigentlich, dass der Duft irgendeinen positiven Effekt auf dich haben würde. Männlich, markant vielleicht. So, wie es einem in der Werbung immer versprochen wurde. Ach, wem machte ich damals was vor? Davon ein richtiger Mann zu sein, war ich noch Lichtjahre entfernt gewesen. Ganz abgesehen davon würde ich an solch durchtrainierter Womanizern, wie sie damals und auch heute in der Werbung gezeigt werden, nie ran reichen. Aber zu meinem Glück hast du noch nie auf solche Kerle gestanden. Nur damals wusste ich das natürlich noch nicht.
„Juli, hast du heute noch ein Date, oder warum wirkst du so nervös?"
Innerlich fluchte ich. Mein vermeintlich unauffälliges an mir schnuppern, schien doch nicht so unauffällig zu sein, wie ich gedacht hatte.
„Können wir jetzt einfach dieses Treffen hinter uns bringen?", entgegnete ich gereizt.
„Ist ja gut du kleiner Brummbär."
„Mum", gab ich genervt von mir und wollte mich schon umdrehen, um wieder nach Hause zu gehen. Auch wenn meine Mutter auf den ersten Blick nicht die Sportlichste war, hatte sie die Reflexe einer Raubkatze. Blitzschnell packte sie mich am Kragen meines Nirvana Shirts und zog mich erbarmungslos weiter in Richtung deines neuen zu Hause.
Ohne sie wirklich zu treffen, schlug ich ihre Hände weg. Einerseits, weil ich Angst hatte, dass mein Shirt ihrem Griff nicht standhalten würde. Andrerseits, weil ich wusste, dass sie mich knallhart bis in euer Wohnzimmer geschleift hätte und ich wollte dir nicht wie eine erlegte Beute vor die Füße geworfen werden.
Das Haus deiner Oma war alt, aber dennoch über all die Jahre gut in Schuss gehalten worden. Es hatte einen dunkelgrünen Anstrich, mit braunen Dachziegeln. Umringt war es von einem Garten, der zwar verwildert schien, aber auf den zweiten Blick, wenn man es genau betrachtete, schien jede Pflanze perfekt gepflanzt worden zu sein. Es war ein Haus mit Charakter. Dieses Heim strahlte Geborgenheit und Wärme aus. Damals wusste ich es noch nicht, aber dieses Haus sollte irgendwann auch für mich ein Zufluchtsort sein, den ich immer aufsuchen konnte.
Auf den Stufen vor eurer Eingangstür blieben meine Mutter und ich noch einmal kurz stehen. Sie, um ihre Kleidung glatt zu streichen und eine Packung Pralinen vorzuzaubern - mir war nicht einmal aufgefallen, dass sie welche dabeihatte. Ich, um zu überlegen, wie sehr es wohl wehtun würde, über die Mauer mit der Rosenhecke davor zu klettern, um zu flüchten.
Doch ehe ich meinen Plan weiter ausklügeln konnte, hatte meine Mum bereits geklingelt und deine Mutter die Tür geöffnet. Sie sah aus wie du, nur älter. Ein paar kleine Lachfältchen waren um ihre Augen, die eine andere Farbe als deine hatten, zu erkennen. Ihre Haarfarbe allerdings und die Gesichtszüge, das warst eindeutig du. Deine Mama hatte sich allem Anschein nach wirklich sehr über unseren spontanen Besuch gefreut. Mit einer einladenden Geste bat sie uns herein und wir fanden uns in einem Flur wieder, in welchen sich viele Kartons stapelten.
„Entschuldigen Sie das Chaos, aber es wird sicherlich noch eine Weile dauern, bis wir uns eingerichtet haben. Mein Mann Christian und ich müssen uns zuerst einig werden, welche Sachen wir von meiner Mutti noch behalten und welche wir spenden oder entsorgen wollen."
Deine Mum schien es ein wenig peinlich zu sein, wie es bei euch aussah. Doch meine Mutter störte sich nicht daran. Sie überreichte die Pralinen und hieß euch im Namen der gesamten Nachbarschaft willkommen.
Deine Mum, die sich in der ganzen Aufregung noch immer nicht vorgestellt hatte, rief nach ihrem Mann, welcher auch prompt aus einem der angrenzenden Zimmer kam. Er war kleiner als seine Frau und hatte den Ansatz eines Bauches, mit wenig Haaren auf dem Kopf. Auf den ersten Blick hätte man nicht geglaubt, dass deine Eltern ein Paar waren. Doch die liebevollen Blicke, welche sich die Beiden immer wieder zuwarfen, zeigten die Wahrheit.
Die Vorstellungsrunde wurde fortgesetzt. Dabei erfuhr ich, dass deine Mum Kerstin hieß, was ein witziger Zufall war, denn meine hieß Kathrin. Alle Erwachsenen lachten herzhaft über die Ähnlichkeit der Namen unserer Mütter, während ich versuchte mit der vergilbten Blümchentapete eins zu werden. Doch auch dieser Coup war nicht von Erfolg gekrönt.
„Das ist mein Sohn Julian. Er und eure Tochter sind im gleichen Jahrgang. Ich dachte, es wäre vielleicht nett, wenn die beiden sich ein bisschen unterhalten können. Eine neue Schule, neue Gesichter und so weiter, dass ist sicherlich nicht leicht für eure Tochter."
Sie waren direkt zum „Du" übergegangen. Ausserdem schienen es deine Eltern nicht merkwürdig zu finden, dass meine Mutter von dir wusste. Sie mussten wohl ein Buch mit dem Titel „Dorfleben für Dummies" gelesen haben und daher wissen, dass hier nichts lange geheim blieb. Anders konnte ich mir diesen Umstand zu diesem Zeitpunkt nicht erklären. Auf die Idee, dass deine Mutter als Kind hier aufgewachsen sein musste, bin ich gar nicht gekommen. Ich weiß, logisches Denken war in jungen Jahren nicht meine Stärke. Viel mehr schlug mir mein Herz mittlerweile bis zum Hals, wusste ich doch, dass mein letztes Stündlein bald geschlagen haben würde.
Dein Dad war hellauf begeistert von dieser Idee und rief direkt deinen Namen. Etwas erschrocken war ich über seine Begeisterung. Hätte er nicht dagegen sein müssen, dass du mit einem pubertierenden Jungen allein wärst? Er war schließlich dein Vater. Gottverdammt, ich hatte auf ihn, oder einen spontanen Blitzeinschlag als meine Rettung gesetzt.
„Ich hole mal eine Fläschchen Wein. Nehmt doch schon mal Platz im Wohnzimmer", flötete Kerstin und wuselte direkt davon.
Ja super, jetzt wollten sie auch noch Alkohol trinken. Wir lange musste ich denn noch in meiner persönlichen Hölle schmoren? Was hatte ich denn nur verbrochen, dass mir das Universum solch eine Last aufbürden wollte? War es, weil ich über Rosenstolz gelästert hatte. Die Musik ist nun mal schnulzig, da wird mir doch wohl niemand widersprechen wollen. Okay niemand außer du. Und Nadine.
„Was gibt's denn Dad?", erklang plötzlich deine Stimme hinter mir.
Fast wäre ich wie eine Katze alle Viere voraus an die Decke gesprungen, doch glücklicherweise befand ich mich in einer Art Schockstarre. Lautlos hattest du dich angeschlichen. Mich in deine Richtung zu drehen, dazu war ich mal wieder zu feige. Jede Sekunde, die ich es hinauszögern konnte, bis du mich erkennen würdest, war mir recht gewesen.
Jede Wette, dass du mein Herz hattest schlagen hören, so laut, wie es schon in meinen Ohren gedröhnt hatte.
„Ah Laura, wir haben Besuch." Dein Vater winkte dich zu sich. Jetzt konnte ich unsere erneute Begegnung nicht mehr verhindern, außer ich würde mich in James-Bond-Manier aus dem Fenster stürzen. Doch das schien selbst mir eine Schippe zu viel zu sein.
Unsere Blicke trafen sich und du hattest keine Miene verzogen. Perfekt erzogen, wie du warst, hattest du dein Bestes gegeben, die freundliche Gastgebertochter zu mimen. Du hast sogar fast so etwas wie einen kleinen Knicks angedeutet, während du dich höflich vorstelltest.
Erneut war ich durch dein Auftreten sprachlos. So sehr, dass meine Mutter schon wieder das Vorstellen für mich übernehmen musste.
Wie ein Reh im Scheinwerferlicht eines heranfahrenden Autos musste ich dich angesehen haben, während du einfach nur dagestanden hattest.
Scheiße, was war hier los? Warst du mit einem Gedächtniszauber wie einst Gilderoy Lockhart in Harry Potter belegt worden? Und wenn ja, wem musste ich dafür danken, dass du mich anscheinend vergessen hattest.
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How We Love
RomanceDie Geschichte einer Liebe, welche ein gesamtes Leben überdauern sollte. Eine Liebe die durch Höhen und Tiefen geht. Eine Liebe die glücklich macht und Narben hinterlässt. Die Geschichte von Laura und Julian. Cover von @little_ophelia Betaleserin @S...