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Die übrigen Unterrichtsstunden plätscherten nur noch vor sich hin. Wie ich es bereits am Vormittag geahnt hatte, fand der Unterricht ab der dritten Stunde nur noch in verkürzter Form statt. Das hieß also, dass wir frühzeitig nach Hause konnten. Ein Umstand der mich nicht sehr traurig stimmte. Ohnehin konnte ich mich an diesem Tag nicht mehr wirklich konzentrieren. Meine Gedanken kreisten immer wieder um das misslungene Gespräch mit dir. Zum Glück hatten die restlichen Lehrer mit Ausnahme der Hexe ebenfalls keine große Lust und beanspruchten unsere Aufmerksamkeit nur mäßig für sich.

Wie erwartet, war es ein heißer Tag geworden. Das Thermometer zeigte mehr als dreißig Grad an. Die Luft stand förmlich und über den Feldern, an denen ich mit meinem Rad vorbeifuhr, flimmerte die Hitze. Ich war auf dem Weg zum Mühlensee. Ein natürlicher See, welcher sich hinter einer alten Mühle zwischen hohem Gras und reichlich Bäumen, die Schatten spendeten, versteckt hielt. Diesen Ort kannten nur die Einheimischen. Ein großer Vorteil für uns, denn so hatte man seine Ruhe vor Großstädtern die einfach nur mal „aufs Land" wollten. Es gab mehrere Badestellen rund um den ganzen See verteilt, von denen aus man problemlos direkt ins kühle Nass springen konnte. Mittendrin war eine kleine dicht bewachsene Insel, zu der man nur hinüberschwimmen konnte, wenn man sie erkunden wollte.

Schon von weitem hatte ich meine Freunde grölen und Musik spielen gehört. Jemand hatte seinen MP3-Player an eine diese transportablen Boxen angeschlossen, damals eine absolutes Highlight, heute nur noch eine Plage. Jeder der Anwesenden konnte nun an der aktuellen Chartmusik teilhaben. Kaum hatte ich mein Rad achtlos in das hohe Grass fallen lassen, stand plötzlich Nadine vor mir. Sie hatte einen schwarzen Bikini an, welcher ihre tolle Figur, geformt durch den regelmäßigen Sport, in Szene setzte. Sie war kaum mehr als einen Meter groß, aber als sie sich ohne Vorwarnung plötzlich vor mir aufbaute, ging ich dennoch in Habachtstellung. Die Hände in die Hüften gestemmt und ihren bösen Blick aufgesetzt, der selbst einen Serienmörder in die Knie zwingen würde, bekam ich es doch etwas mit der Angst zu tun.

„Was ist los?", hatte ich sie unsicher gefragt. Da ich keine Idee hatte, was ich ihr getan haben könnte. Obwohl ich mir unsicher war, ob ich es wirklich wissen wollte angesichts der Tatsache, dass sie wirklich angefressen war.

Sie bohrte mir ihren Finger in die Brust. „Juli, du bist echt ein Arschloch."

Entschuldigend hob ich die Hände, so als wollte ich ihr beweisen, dass ich nicht bewaffnet war. Das böse Funkeln in ihren Augen ließ keine Zweifel daran, dass sie wirklich richtig wütend auf mich war.

„Wie konntest du nur so herzlos zu Laura sein?", fragte sie mich anklagend.

„Herzlos?", wiederholte ich ihre Worte und sah mich hilfesuchend um. Bis auf das Gespräch während der Frühstückspause, hatte ich keine Gelegenheit mehr gehabt auch nur in deine Nähe zu kommen. Bedauernd hatte ich feststellen müssen, dass du gemeinsam mit Ben in allen Erweiterungskursen warst. Das bedeutete, dass wir am Montag immer nur zwei Stunden zusammen haben würden. Ben hingegen hatte alle mit dir gemeinsam. Wie eifersüchtig ich schon von Beginn an über diesen Umstand war, muss ich heute wohl nicht mehr betonen.

In einiger Entfernung entdeckte ich Ben gemütlich auf einer Decke liegen. Neben ihm Oliver und Sandra ein Pärchen aus unserem Jahrgang, welches schwer mit sich selbst beschäftigt war. Mein bester Freund hatte seine Kopfhörer im Ohr, die Augen friedlich geschlossen und wippte mit seinen Füßen den Takt der Musik mit. Ben war schon immer schmerzfrei was das zügelloses Treiben neben ihm anging. Auf seine Hilfe konnte ich also nicht hoffen, da er vollkommen in seiner Welt versunken war. Ich hätte natürlich inbrünstig um Hilfe schreien können. Aber das wäre wohl ein bisschen zu weit gegangen. Ich war ja schließlich keine Mimose.

„Mehr hast du dazu nicht zu sagen? Ihr Typen seid echt alles Idioten", regte sich die kleine Blondine lautstark auf, sodass Martin ein warnendes „Ey" in ihre Richtung rief, welches sie nur mit einer lapidaren Handbewegung abtat, um sich dann wieder voll auf mich zu konzentrieren. In meinem Kopf lief der Song „Help" von den Beatles auf Dauerschleife, aber niemand der Anwesenden kam herbeigeeilt, um mir zu helfen.

„Laura war richtig sauer", wetterte sie weiter und wurde dabei immer lauter, sodass sich nun doch langsam alle Köpfe in unsere Richtung drehten. Alle ausser Ben, der wohl eingeschlafen sein musste, denn auch sein Fuß wippte nicht mehr den Takt der Musik mit.

Ich schnappte mir also Nadine und zog sie etwas abseits der Anderen. Ich hatte keine Lust am nächsten Tag das Gesprächsthema Nummer eins in der Schule zu sein.

Wir setzten uns auf einen alten Picknicktisch aus massivem, dunklem Holz, mit einem Dach darüber, der uns Schatten spenden sollte. Gebaut wurde dieser vor vielen Jahren für Wanderer, genutzt wurde er damals aber eigentlich nur von uns. Meine Füße platzierte ich auf der passenden Bank, während Nadine ihre ungeduldig hin und her schwingen konnte. Sie war wirklich klein.

Den Blick auf den See gerichtet schwieg ich einfach nur, weil ich nicht wusste, was ich zu der Anschuldigung, ich hätte dich mit Absicht wütend gemacht, sagen sollte. Ich war zu dem damaligen Zeitpunkt nicht bereit Nadine einzuweihen und ihr zu erklären, was für einen enormen Eindruck du bei mir hinterlassen hattest. Obwohl wir jahrelang befreundet waren und sie das eigentlich sogar zu meiner besten Freundin machte, war sie eben noch immer ein Mädchen und mit meinen damals fünfzehn Jahren wäre es mir verdammt peinlich gewesen, mit ihr über meine Gefühle zu reden.

„Also", Nadine zog das Wort neugierig in die Länge, „Was hast du dir dabei gedacht, ihr sowas vor den Kopf zu hauen?"

Ich wollte mich schon verteidigen, als sie noch hinzufügte, dass sie ja schon immer gewusst hätte, dass mein Musikgeschmack schrecklich wäre. Da wusste ich, dass sie unser kurzes Gespräch von heute Morgen gemeint hatte. Wobei man diese Peinlichkeit eigentlich kein Gespräch nennen konnte. Es war schlicht und ergreifend eine Katastrophe gewesen. Eigentlich hätte es in die Geschichtsbücher als der Moment eingehen müssen, in dem ich mit vollem Anlauf und dem Kopf voran in ein riesiges Fettnäpfchen gesprungen bin.

„Ich wusste nicht, dass ich sie mit meiner Aussage über Rosenstolz so wütend machen würde. Ich meine, es ist doch nur eine...", fast wollte ich „dumme" Musikband sagen, aber ich besann mich eines Besseren und schluckte dieses Adjektiv runter. Mein Bedauern allerdings war echt.

„Rosenstolz ist keine, ach lassen wir das", beruhigte sich Nadine selbst. „Weißt du Juli, sie hat mir erzählt, was ihr die Band bedeutet und du solltest dich echt schämen."

„Wofür schämen? Ich weiß doch nicht mal, was ich falsch gemacht habe." Langsam wurde ich wütend. Nadine machte mir Vorwürfe für etwas, das ich nicht beabsichtigt hatte.

„Solltest du nicht etwas mehr auf meiner Seite stehen? Du kennst doch Laura kaum, mich hingegen schon Jahre lang."

Nadine zuckte unbeeindruckt über mein, wie ich fand, überragendes Argument mit den Schultern.

„Es spielt keine Rolle wie lange ich sie kenne. Laura und mich verbindet etwas."

Der schlechte Musikgeschmack schoss es mir in den Kopf, aber wohlwissend, wie wütend Nadine werden konnte, behielt ich das lieber für mich.

„Sie wird meine beste Freundin werden und du Juli wirst dich bei ihr entschuldigen", stellte sie klipp und klar fest. 

„Entschuldigen, wenn ich nicht mal genau weiß, was ich eigentlich falsch gemacht habe. Sag mir wenigstens, was genau der Fehler war."

Nadine sprang mit einer schnellen Bewegung vom Tisch und machte sich daran, zu den anderen zurückzukehren. Doch zuvor drehte sie sich noch einmal mit den Worten um, dass ich dich das selbst fragen müsste, da sie nicht deine Geheimnisse ausplaudern würde.

Ich allerdings hatte für diesen Tag genug gehabt. Genervt schnappte ich mir nur noch mein Rad. Ohne mich von jemanden zu verabschieden, fuhr ich in Richtung nach Hause. Ich bekam lediglich am Rand mit, wie Ben nach mir rief.

Mein Plan war es gewesen, sobald ich in meinem Zimmer angekommen war, Linkin Park so laut aufzudrehen, wie es meine Anlage hergab, damit mein verdammter Schädel endlich aufhörte nur noch an dich zu denken.

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Nun nach 4 Kapiteln, was denkt ihr bis jetzt? :)

Anni

How We LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt