7. Rückkehr in geschlossene Arme

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Die Fahrt durchs nächtliche London verging schnell. Ich war in meinen Gedanken versunken und dachte über den zurückliegenden Tag nach. Vor allem die eigenartige aber dennoch irgendwie angenehme Bekanntschaft mit Leonard Moore kam darin vor. Wie er mich aus seinen unergründlichen Augen angesehen hatte. Wie ehrlich besorgt er schien, als er meinen Fuß verarztet hatte.
Doch dann kamen die Erinnerungen an Ernest hoch, wie er sich vor mir hinkniete, obwohl wir uns zehn Jahre lang nicht gesehen hatten. Und dann waren die Gedanken an Leonard vorerst vergessen.

Plötzlich hielt das Taxi an. Ich blickte aus dem Fenster und sah meinen Vater die Treppe vor unserer Eingangstür hinuntersteigen.
Als der Fahrer mir noch nicht einmal die Tür geöffnet hatte, hörte ich meinen Vater schon aufgeregt rufen.
"Audrey Louise McKeene wir haben uns solche Sorgen gemacht! Ernest war bis vor einer halben Stunde auch noch hier und wir haben zusammen auf dich gewartet."
"Hallo Vater. Es tut mir leid." In gewisser Weise auch nicht, dachte ich still.
"Als Ernest zurückkam, nur mit deinem Schuh, da dachten wir, dir wäre sonst was passiert!"
"Mir geht es gut, abgesehen von der Tatsache, dass du mich mit meinem Kindheitsfreund, den ich seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte, verheiraten willst."
"Es ist nur zu deinem besten, und wer weiß, wenn ihr jetzt erstmal mehr Kontakt habt, dann können wir hoffentlich dort weiter machen, wo wir vorhin bedauerlicherweise unterbrechen mussten."
"Vater, ich bitte dich. Ich habe jetzt nicht die Nerven für diese Diskussion. Nach einem wirklich anstrengenden Tag mit mehr, als nur einem überraschenden Ereignis, bitte ich um Ruhe. Ich bin ziemlich müde", sagte ich distanziert und ging an ihm vorbei ins Haus und in mein Zimmer.

Mrs Adams wartete bereits auf mich und war dabei, meinen Schuh zu putzen. Sie half mir, mich fertig zu machen, und ließ mich, nachdem ich mein Nachtkleid anhatte, in Frieden.
Als ich meine Augen schloss, kamen Erinnerungen von Blut, Blutgeruch und Leichen wieder hoch, alles, was ich heute Morgen vorgefunden hatte, durchlebte ich jetzt noch einmal in meinem Kopf, viel intensiver. Irgendwann erlöste mich der Schlaf.

Als ich von Mrs Adams geweckt wurde, hätte ich schwören können, es wäre mitten in der Nacht. So fühlte ich mich innerlich, aber ein Blick auf die Standuhr in meinem Zimmer zeigte mir, dass es schon kurz vor acht war.
"Guten Morgen, Miss Audrey, wie fühlen Sie sich?"
Das liebevolle Lächeln, mit dem sie mir jeden Morgen diese Frage stellte, schaffte eine Illusion von Normalität und Geborgenheit.
Ich lächelte, so gut wie es ging, murmelte ein "gut" und lief an ihr vorbei ins Badezimmer.
Ich wusch mein Gesicht in der Hoffnung, dass das kalte Wasser ein wenig Klarheit über mein derzeitiges Leben zbringen würde, was gefüllt von Leichen, Blut und einem Heiratsantrag war, doch als ich wieder in den Spiegel sah, war ich immer noch genauso verwirrt, wie vorher.
Mrs Adams kam mir hinterher und als ich mich auf den mit Samt überzogenen Hocker vor den Spiegel setzte, begann sie, an meinen Haaren herumzuspielen. Sie frischte meine Locken auf, die auf natürliche Weise nie wirklich gut aussehen, weshalb Mrs, Adams jeden Morgen viel zu tun hat. Währenddessen schminkte ich mich leicht. In dieser Zeit war es immer angenehm still im Badezimmer, da jede mit ihrer eigenen Aufgabe beschäftigt war.
Als wir beide fertig waren, gingen wir in das Ankleidezimmer, wo ein Kleid hing, das ich unter normalen Umständen nie angezogen hätte. Ein rosa gefärbtes, schon nicht mehr schlichtes, sondern langweiliges Kleid, das unter der Brust eine pinke Schleife hatte. Ich starrte Mrs. Adams an.
"Dies ist das Kleid, was Mrs. McKeene für Ihre Zeugenbefragung mit der Polizei ausgesucht hat", erklärte sie feierlich.
"Aber ich wollte heute doch einen Tag frei haben und mich erstmal von allem erholen!"
"Dieser Tag war gestern", sagte Mrs Adams streng.
"Nein, gestern war der Tag, an dem mein Vater mir meinen letzten Rest an Selbstbestimmung rauben wollte, indem er die Ehe mit einem mittlerweile völlig Fremden arrangiert."
"Miss Audrey, der Heiratsantrag von Ernest verdient einen sehr wohl durchdachte Entschluss finden sie nicht? Man bekommt nicht so oft die Chance, jemanden wie Mr. Wakefield zu ehelichen. "
Diese Worte waren zu viel. Nachdem ich mir wahllos ein Kleid und Schuhe angezogen hatte lief ich aus dem Ankleidezimmer und raus aus dem Haus. Ich lief quer durch das Viertel, wobei ein kühler Wind an meinem Kleid zerrte und mich frösteln ließ und ich ärgerte mich, dass ich keine Jacke mitgenommen hatte. Aber ich lief und lief und lief.
Nach einer Viertelstunde, die mir vorkam wie eine Ewigkeit, erreichte ich endlich mein Ziel. Nun stand ich schwer atmend vor dem Haus meiner besten Freundin Daisy Cartwright. Ich klingelte und ihr Mann Alan öffnete mir die Tür.
Er winkte mich mit einem irritierten, aber dennoch freundlichen Lächeln rein und ich fand Daisy im Wohnzimmer sitzen.
Hier war der Ort, an dem ich mich am wohlsten fühlte. Auch wenn es hier überall sehr luxuriös aussah, da Alan viel Geld, Erbe und Wohlhaben mit in die Ehe gebracht hatte, war die Atmosphäre angenehm und liebevoll.

Daisy fing, sobald ich durch dir Tür kam, zu reden an, doch ich hörte gar nicht hin. Sie redete viel und oft viel zu schnell. Als wir an der Couch angekommen waren und uns setzten, platzte es aus mir heraus. Es sprudelte einfach alles raus. Die Leichen, das viele Blut, das Ungewisse und schließlich der Antrag.Und das erste Mal sah ich Daisy völlig still.
Doch dann überkam es mich. Mein Leben war auf den Kopf gestellt, das einzige, was ich dagegen tun konnte, war, mit der Polizei zu sprechen, in der Hoffnung, dass die den Mörder fanden.
Als Alan und Daisy mich vor der Haustür absetzten, fielen mir diese Treppenstufen nie schwerer, aber es musste einfach das Richtige sein, jetzt mir der Polizei zu reden.

Ich kam in das Ankleidezimmer und fand Mrs. Adams und meine Stiefmutter Stephanie vor.
Ich räusperte mich und fing leise an zu sprechen.
„Ich bin jetzt bereit, glaube ich."
Stephanie blickte mich herabschauend an und sagte: „Na das wurde ja auch Zeit."
Sie ließ uns allein und Mrs Adams half mir in das Kleid.

Als nächstes fand ich mich an unserem riesigen Esstisch sitzend vor, mir gegenüber zwei Polizisten. Der eine musterte mich mit ernster Miene, der andere kritzelte irgendwas in eine Akte. Sie sahen tatsächlich etwas gestresst aus und ich fühlte mich zunehmend unwohler in diesem kalten, erdrückenden Raum...

-Thannie-

Schwarz ist die Farbe der SeeleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt