20. Was Freunde so tun

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Ich hatte es tatsächlich geschafft. Ich hatte es geschafft, mit Leonard Moore befreundet zu sein. Eine Freundschaft, die mir gut tun würde, das wusste ich schon von Beginn an.
Und ich hatte es ebenfalls geschafft, den Plänen meines Vaters gerecht zu werden. Ich würde Ernest Wakefield heiraten und so mir und der Firma meines Vaters Gutes tun.
Inwiefern mir das gut tun wird, das wusste ich nicht, aber ein Anfang war es zumindest, mein Leben wieder zu ordnen.

Die nächsten Tage verliefen gut. Die Kosenahmen von Ernest an mich hörten nicht auf - nein sie wurden sogar mehr- „Liebes", „Liebste", „Meine Verlobte" und vieles mehr. Was man nicht alles tat, um den Anschein einer glücklichen Verlobung aufrecht zu erhalten....

Mit Leo lief es auch sehr gut. Wir verstanden uns tatsächlich noch besser, jetzt seitdem wir über die Sache mit der Verlobung geredet hatten, und amüsierten uns prächtig, wenn wir denn mal Zeit füreinander hatten.

Aufgrund der Hochzeit hatte mein Vater Leo nochmal angetrieben seiner neusten Spur zu folgen, denn, wenn es nach meinem Vater ging, wollte er bis zur Hochzeit den Täter geschnappt haben.
Die Bilder vor meiner Zimmertür kamen mir in den Sinn und mir lief ein Schauer über den Rücken.

Und ich hingegen... meine Aufgabe war es, mich zusammen mit Ernest jeden Tag mit verschiedenen Menschen in einen Raum zu begeben und bei Kaffee und Kuchen unsere „Traumhochzeit" zu planen.

Doch nicht heute. Heute war Sonntag und ich war mit Leo verabredet und mittlerweile ging mir das „Du" und „Leo" so leicht über die Lippen, als hätte ich ihn nie anders genannt.
Ich warf einen Blick auf die Uhr und erst jetzt bemerkte ich, dass es schon 8:40 Uhr war und ich seit 40 Minuten wach in meinem Bett lag und über mein Leben nachdachte. Ich stand auf und zog mich an, bevor Mrs Adams kam und mir half, meine Haare zu richten.
Dann ging ich in das Esszimmer, wo mich der herrliche Geruch von frischen Croissants begrüßte und dazu Leo, der gerade dabei war, mein Frühstück in einem Korb zu verstauen. Ich wünschte ihm einen guten Morgen und als er mich ansah, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus, welches ich automatisch erwidern musste.

„Wohin entführst du mich denn heute?", fragte ich mit einem Lächeln und deutete auf den Korb.

„Audrey, bitte, entführen klingt so unfreiwillig, dabei bin ich doch hier nicht der Einzige, der unsere Treffen sehr genießt, oder?", antwortete Leo und zwinkerte mir verschmitzt zu.

„Nein, nein.", platzte es vielleicht etwas zu schnell aus mir heraus, „ich genieße unsere gemeinsame Zeit auch immer sehr und ich bedauere es, dass es doch so wenig Zeit ist, die wir miteinander verbringen können."

Er zuckte mit den Schultern.
„Naja, du heiratest einen Anderen, da kannst du doch nicht mehr Zeit mit mir verbringen, als mit deinem Verlobten."

Die Worte fühlten sich plötzlich so real an wie eine kalte Dusche, und ich fühlte mich unwohl.
Klar, Leo wusste nichts von der wahren Sache zwischen Ernest und mir und vielleicht schuldete ich ihm langsam mal eine Erklärung, aber gleichzeitig fürchtete ich mich auch davor, es ihm zu sagen. Ich glaubte nämlich kaum, dass es irgendwas ändern würde.

Wir gingen zu Leos Auto und verstauten das Picknick im Kofferraum. Er hielt mir die Beifahrertür auf und reichte mir seine Hand, als ich mich hineinsetzte. Ich nahm sie und bemerkte verlegen, dass er meine dabei einen Moment länger festhielt als nötig. 
Er lief um das Auto herum und stieg auf der anderen Seite ein.

Ich erkannt den Weg. Wir befanden uns inmitten von London und nach 20 Minuten parkte Leo das Auto. Galant half er mir aus dem Auto und zusammen machten wir uns auf den Weg zum Hyde-Park.

Leo breitete eine große, karierte Decke auf dem Boden aus und platzierte zwei Sitzkissen darauf. Dazwischen stellte er den Korb. Wir setzten uns.

„Schön hier, so früh am Morgen", sagte ich munter und beobachtete die Natur rund um uns herum.

„Ich dachte, du willst vielleicht mal raus aus dem Haus deines Vaters, mal wieder frei sein, von den ganzen Sachen, die du so selbstlos für deinen Vater und Ernest tust", erklärte Leo.

Skeptisch verengte ich meine Augen.
„Wie kommt es eigentlich, dass du mich besser zu kennen scheinst als die beiden zusammen, obwohl wir uns erst einige Wochen kennen und Vater und Ernest mich mein ganzes Leben lang?"

„Ich kann gut beobachten und Schlüsse ziehen, ich bin ja schließlich Detektiv. Dich zu observieren ist mein Job. Und kein unangenehmer, muss ich dazu sagen", lachte er leise.

Ich lächelte über diese Antwort und Leo fing an, den Korb auszuräumen und ich beschloss, ihm zu helfen. Als sich unsere Hände in dem Korb zufällig berührten, bemerkte ich, wie er merklich einatmete und sie schnell zurückzog. Vermutlich hatte ich ihm einen Stromschlag gegeben, das konnte schließlich passieren.

Wir saßen zwei volle Stunden im Hyde-Park und frühstückten und redeten. Es fühlte sich gar nicht danach an. Aber das war nichts Neues, die Zeit, die ich mit Leo verbrachte, verging immer schneller, als mir lieb war.

Als uns nun ein wenig kalt wurde, beschlossen wir noch zu einem in der Nähe gelegenen Buchladen zu fahren.
Wir beide suchten dem Anderen jeweils zwei Bücher aus. Nachdem Leo mir vor einiger Zeit ein paar Bücher empfohlen hatte, hatten wir bemerkt, das wir einen sehr ähnlichen Buchgeschmack hatten.

Als ich ein Buch aus einem Regal nahm, welches ich schon mindestens dreimal gelesen hatte, bemerkte ich, dass Leo auf der anderen Seite des Regals stand. Ich hielt inne und beobachte ihn, wie er ein Buch in seinen Händen hielt und es anstarrte, während er über etwas grübelte.
Das glaubte ich zumindest, denn wenn er grübelte, bildete sich immer eine kleine Falte zwischen seinen Augenbrauen. Schon komisch, dass mir sowas auffällt, ich wäre bestimmt auch eine gute Detektivin. Bei diesem Gedanken musste ich selbst lächeln.

Ich beobachtete die Falte akribisch, bevor ich meinen Blick zu seinem Haar wandern ließ, das ihm ständig ins Gesicht fiel. Dann begutachtete ich seine wohlgeformten Schultern und-

Plötzlich wurde ich durch ein Räuspern aus meinen Gedanken gezogen. Ich schaute auf und bemerkte, dass Leo nun auch mich bemerkt hatte und mich schmunzelnd ansah. Seine blaugrauen Augen löcherten mich förmlich, aber keiner von uns beiden unterbrach den Augenkontakt.

Ich wusste nicht wie lang wir dort standen und uns dieses stumme Augenduell lieferten. Aber irgendwann kam der Besitzer des Ladens, um zu fragen, ob wir etwas gefunden hatten.
Ich fühlte mich irgendwie etwas ertappt und errötete leicht, aber Leo bejahte nur höflich und folgte ihm zum Tresen.
Wir liehen uns jeweils die Bücher aus und fuhren zurück zum Haus.

Wir setzten uns in die Bibliothek bei uns auf die Sessel, die sich gegenüber standen und begannen die Bücher zu lesen. Doch ich konnte mich kaum auf die Buchstaben konzentrieren, mein Blick wanderte stets zu Leo und ich schaute ihm beim Lesen zu.
Nach ein paar Minuten schaute er auf, sodass mein Blick auf seinen fragenden traf. Ich schaute schnell wieder in mein eigenes Buch. Doch ich spürte, wie seinen Blick noch etwas länger auf mir haftete.

So verbrachten wir nun weitere drei Stunden. Gegen 16 Uhr kam Mrs Adams dann herein, um mich zum Essen zu holen, welches ich heute mit Ernest noch durchleben musste.
Ich verabschiedete mich von Leo und er strich mir ein paar Strähnen hinters Ohr, um mich auf die Wange zu küssen, was ein leichtes Kribbeln auf meiner Haut verursachte.

Das ganze Essen und auch noch den ganzen Abend danach dachte ich über die Blicke heute zwischen Leo und mir nach. Seine schönen blaugrauen Augen und seinen verdammten Strähnen, die ihm einfach immer in sein Gesicht fielen. Und spätestens jetzt musste ich mir eingestehen, dass das, was ich ursprünglich zu verhindern versucht hatte, längst geschehen war.

Wie ernst es war konnte ich zwar noch nicht sagen aber eins stand fest: ich empfand etwas für Leonard Moore und ich konnte absolut nichts dagegen tun.

~Thannie~

Schwarz ist die Farbe der SeeleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt