16 - Die Wahrheit

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Eigentlich hatte ich keine Lust auf Schule, schon recht nicht auf diese Lena, aber Ausreden würden jetzt auch nichts bringen. Außerdem hatte ich in der letzten Woche, in der ich mich krankgeschrieben zu Hause langweilte, wohl schon genügend verpasst. Phil bot mir gestern Abend noch an, mich heute nach der Schule abzuholen. Wir wollten uns bei Ikea nach einem Schreibtisch umschauen, da ich ja nicht für immer meine Schulsachen am Esstisch machen konnte.

Im Klassenzimmer angekommen war - wie immer - Frau Peukmann schon dabei, ihre Materialien für ihre Deutschstunden rauszuholen. Warum mussten unsere Lehrer immer so unglaublich pünktlich und genau sein? Denn alle Lehrer breiteten ihre Sachen auf dem Pult aus, als ob sie einen Preis für Ordnung anstrebten. Alles auf den Zentimeter genau abgemessen.

Der Schultag ging zum Glück schnell rum, ohne dass ich Lena aus der letzten Reihe hören musste. Doch als ich nach der 6. Stunde meine Geschichtsbücher im Schließfach verstauen wollte, konnte ich nicht fassen, was ich sah. An der Pinnwand neben den Schließfächern hing ein Plakat:

Das ist unser Elefant der Schule
Isabella, 16, aus der 10b

Darunter ein Bild von mir. Sogar noch eins von den letzten Bundesjugendspielen. Dort konnte natürlich jeder meine Ohren betrachten. In mir kochte eine Wut auf. Es tat so weh. Ich bemerkte, wie ich immer heißer wurde. Wenn ich diese Lena in die Finger kriege!

Ich riss das Plakat von der Wand und verstaute meine Bücher im Spind. Naja, eher schmiss ich sie in das Fach, sodass ich nicht glaubte, sie würden das ausgehalten haben. Die waren doch eh schon alt.
Wutentbrannt ging ich schnellen Schrittes über den Hof. Dabei vergaß ich total, dass Phil bereits auf mich wartete, bis ich sein Auto auf dem Parkplatz bemerkte.

Ich riss die Beifahrertür auf. „Hey, na, wie war die Schule?", fragte mich ein übermotivierter Phil. Doch er merkte mein vor Wut kochendes Gesicht und schaute mich nun besorgt an. „Sag nichts, bitte!", antwortete ich wütender als ich eigentlich klingen wollte. Und auch jetzt bemerkte ich die ersten Tränen auf meinem warmen Gesicht. „He süße, was ist denn los?" Er nahm mich in den Arm und ich heulte mich erstmal an seiner Schulter aus. „Okay, Planänderung. Weißt du was? Wir holen uns jetzt mal Nervennahrung und dann reden wir mal." Ich nickte nur und schaute aus dem Fenster. Der Himmel war bereits dunkelgrau geworden und die ersten Tropfen landeten auf der Scheibe.

Nachdem wir uns bei McDonald's eine ordentliche Portion Fast Food geholt hatten, parkte Phil sein Auto schließlich auf einem Parkhausdach eines Kaufhauses, wo uns ein Ausblick erwartete, der mich staunen ließ.
„So, jetzt erzähl mal, was ist denn passiert?" Ich erzählte ihm von meiner Beobachtung an den Schließfächern und auch von Lena. Als ich immer noch ein Fragezeichen in seinem Gesicht erkannte, erklärte ich ihm nun noch den Auslöser für meinen Unfall letzte Woche. Doch er blickte mich nur mit großen Augen an. „Ich verstehe nur noch nicht ganz, warum. Warum hat sie all das gemacht?" „Ja, meine Ohren! Siehst du es nicht?" Ich hielt meine Haare nach oben. Er schaute mich nur verständnislos an. „Ich verstehe nicht, wo das Problem liegt." „Mann Phil! Meine Ohren stehen so offensichtlich ab. Anscheinend waren die OPs ja für'n Arsch", zischte ich ihn an. „Welche OPs denn?", fragte er nun neugierig. Ich erzählte ihm die ganze Geschichte aus der Grundschulzeit - eine harte Zeit, die ich so schnell nicht vergessen kann, und von der ich befürchtete, dass sie wieder in die Gegenwart kommt. Ich erzählte von den Hänseleien, die mich zu einer Ohren-OP brachten, die keinen Erfolg erbrachte. Ich erzählte von dem Jungen in der fünften Klasse, dem auch nichts besseres einfiel. Ich erzählte von der zweiten OP, die einen deutlicheren Unterschied zeigte. Aber ich war nie so ganz zufrieden. Ich akzeptierte, dass ich eben nicht so schön war, wie alle anderen, die mich zum Verzweifeln brachten.

Jetzt war Phil baff. Während meinen Erzählungen traten mir Tränen in die Augen, die ich aber selbstbewusst hinunterschluckte. Wir sahen über die Häuser der Stadt, auf denen die Regentropfen niederprasselten. Phil traute sich nicht irgendwas zu sagen, ich auch nicht, alles war ausgesprochen. So aßen wir schweigend unsere Burger und genossen den Ausblick.

„Isa. Ich will, dass du weißt, dass wir dich so lieben wie du bist. Und du solltest dich auch akzeptieren, so wie du bist." Es regnete bereits in Strömen, als wir zu Hause ankamen. „Phil, es ist schwierig." „Ich weiß. Ich weiß, Isa. Aber versuch es bitte." Und so lagen wir Arm in Arm auf der Couch und hörten dem Regen zu.

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Hallöchen! Ich denke, ich werde demnächst auch mal einen Sichtwechsel mit einbauen. Seid gespannt!
Schönen Tag euch noch! 😘

Du hast mir gezeigt, wie wertvoll mein Leben istWo Geschichten leben. Entdecke jetzt