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Schulschluss. Wir standen alle auf, packten unsere Sachen und stürmten zusammen aus dem Raum raus, es war endlich Wochenende. Für mich normalerweise eine Erleichterung, diesmal jedoch nicht. Noch nie hatte ich so ein schweres Herz beim Rausgehen aus dem Klassenraum, beim Verlassen des Schulgebäudes. Minsik lief neben mir her und schaute manchmal zu mir rüber, das sah ich im Augenwinkel. Sonst war es still zwischen uns beiden.
Bis wir dann das Schulgelände verließen und wenig Leute um uns herum waren, da fing ich nämlich endlich an zu reden.
"Also. Ich hab dir ja gesagt, ich sags es dir nach der Schule."
Von vorne bis hinten, der Reihe nach, erzählte ich ihm jedes einzelne Detail, keine Kleinigkeit auslassend. Mir war es wichtig, dass er alles genau wusste und verstand, scheinbar war er nämlich einer von 'uns'. Die, die diese Sachen sahen, egal ob zum ersten oder zum hundertsten Mal.
Er nickte manchmal und machte ab und zu "Aha", "Ah okay" und "Echt?", aber wirklich überrascht sah er nicht aus. Er sah zwar nicht desinterresiert aus, aber definitiv nicht komplett aus den Socken gehauen wie ich es wäre.
Vielleicht glaubt er mir ja nichtmal.
"Sag mal...ist eigentlich irgendwas? Du bist so...abwesend.", fragte ich vorsichtig, worauf er leise lachend den Kopf schüttelte. "Ich bin bloß erleichtert."
Ich stutzte. "Erleichtert? Warum?"
"Weil ich dachte ich wäre der Einzige der das gesehen hatte. Das Flugzeug. Minho und Junghwan. Und...dich."
Für eine Sekunde schaltete mein Gehirn komplett ab. Minsik hatte es auch gesehen??
"Du hattest diese Visionen auch? Und hast mir nichts davon erzählt?? Warst du auch insgeheim mit diesem Junghwan befreundet ohne mir davon was zu sagen? Dann hab ich mich ja umsonst so gequält mit diesen Gedanken." Langsam aber stätig stieg in mir die Wut auf. Ich dachte immer, dass Minsik mir die Wahrheit erzählte, dass er mir alles anvertraute und dass er eine ehrliche Person war. Aber ich hatte mich wohl getäuscht.
"Junho, komm runter und denk mal nicht nur an dich. Weißt du wie schwer es für mich war das zu verarbeiten? Mir ist sowas noch nie zuvor passiert, und das hat mein Gehirn gefickt. Ich hatte erstmal paar Tage gebraucht um das zu verarbeiten, ich hatte noch geplant dir das zu erzählen, aber du warst einfach schneller."
Bleib ruhig, Junho, nicht ausflippen. "Ja natürlich war ich schneller, ich hab sehr wohl an dich gedacht und dass ich dir das erzählen musste. Du wolltest das doch auch wissen!"
"Woher sollte ich denn wissen dass es darum ging?", fragte Minsik, und er erhob hörbar seine Stimme. Langsam fing auch er an, zu brodeln. Hoffentlich realisierte er bald, dass er falsch lag.
"Du hättest es dir denken können, wenn es dir schon selber passiert ist! Du hast Minho gesehen, und du hast meinen Gesichtsausdruck gesehen. Du hast mitbekommen, dass ich kurz nachdem Minho hereinkam rausgegangen bin, weil mir 'schlecht' war. Und du hast mitbekommen, wie Junghwan ebenfalls rausgegangen ist, nachdem du das Gleiche bei ihm auch gesehen hattest. Du hättest es dir so einfach denken können!"
"Tut mir leid, ich bin nicht so ein Genie wie du!", rief er jetzt und ich blieb stehen. Hatte er das gerade wirklich gesagt?
"Man muss kein Genie sein um auf sowas zu kommen. Man muss kein verdammtes Genie sein um ein guter Freund zu sein! Junge, Junghwan ist mir sogar hinterher gelaufen, jemand, mit dem ich eigentlich nichts zutun habe!", rief ich zurück, ich war so kurz davor ihm eine zu fetzen. Aber ich musste ruhig bleiben. So ruhig wie möglich, zumindest.
"Du meinst also dass ich ein schlechter Freund bin, weil ich nicht bereit war dir von etwas traumatischen zu erzählen? Weil ich nicht bereit war dir zu erzählen dass ich gesehen habe wie ich sterben werde??"
"Also hast du zuvor mit Junghwan geredet.", stellte ich voller Enttäuschung fest, "Woher solltest du sonst wissen dass wir so sterben?"
Er machte seinen Mund auf, seufzte dann aber nur und sagte dann leise: "Tut mir leid."
Ich nickte einfach, dieses Gespräch war einfach mit Enttäuschungen gepackt, eine nach der anderen. Er erzählte also jemand fremdes sowas lieber als mir.
"Aber du hast es Junghwan auch zuerst erzählt.", fügte er noch hinzu, und gleich darauf antwortete ich energisch: "Weil er mir hinterher gelaufen ist. Er wusste, dass mir das passiert ist, und du auch. Und anstatt dessen dass du dir Sorgen um mich gemacht hattest, bist du einfach sitzen geblieben. Ganz ehrlich, lass mich einfach. Schreib mir nicht, ruf mich nicht an, komm nicht zu mir. Ich werd jetzt auch paar Tage brauchen, um mich daran zu gewöhnen, dass mein bester Freund zu sowas fähig ist." Ich ging los und ließ ihn einfach stehen, ignorierte ihn als er meinen Namen rief und beschleunigte einfach meine Schritte. Mein Gott, ich führte mich auf wie ein Weichei, aber Minsiks Aktion war einfach zum Kotzen. Ich hatte allen Grund dazu gehabt, mich so zu verhalten. Wenn Junghwan mir jetzt hinterherlaufen würde, würde ich ihm sagen, dass er ein echt guter Mensch war.
Aber ich würde Minsik niemals ersetzen wollen. Er war mir wichtig. Aber deshalb machte mich das auch so sauer. Er war einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben, und zeigte mir, dass ich für ihn einfach nur irgendein Freund war, der eigentlich nicht wirklich was bedeutete. Dieser Gedanke tat so sehr weh, dass ich mein Schritttempo verlangsamte und einmal durchatmen musste, weil es mir so sehr die Brust zusammen schnürte. Es fühlte sich an, als würde jemand einen Faden einmal um mein Herz legen und einmal kräftig daran ziehen. So fest, dass sich der Faden in das Fleisch schnitt und mein Herz anfing zu bluten.
Minsik war mein bester Freund. Einer der einzigen Menschen denen ich vertraute und auf die ich mich verlassen konnte.
Und genau deshalb tat das so weh.

our hellevator (fortsetzung my hellevator)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt