2.

109 11 18
                                    

In der Klasse herrschte, wie jeden Morgen, bevor unsere Lehrerin in den Raum kam, Unruhe. Die Mädchen sowie einige Jungs saßen an bestimmten Tischen in Grüppchen, und die Mädchen fingen an zu flüstern, als ich und Minsik reinkamen. Konnte auch sein, dass ich mich verhört habe, aber ein paar haben sogar leise aufgekreischt.
Minsiks Platz war neben mir, und das war auch gut so. Um mich herum saßen bis auf ihn nur introvertierte Leute, die mit keinem redeten, und wenn Minsik nicht gewesen wäre, müsste ich mit einem von denen Partnerarbeit machen. Nicht, dass ich sie nicht mochte, aber ich hätte schon gerne einen Partner, der gesprächsfähiger war.
Nach fünfzehn Minuten Wartezeit kam die Lehrkraft endlich herein, doch sie war nicht alleine.
Die Klasse wurde still und setzte sich auf ihre Plätze, nur der Klassensprecher stand von seinem Stuhl auf.
"Aufmerksamkeit.", befahl er, "Verbeugen."
Die Schüler verbeugten sich vor der Lehrerin im Sitzen, dann setzte sich auch der Klassensprecher hin und der Unterricht konnte beginnen.
"Wie letzte Stunde bereits angekündigt, haben wir einen neuen Schüler."
Alle begannen, miteinander zu flüstern, sogar Minsik lehnte sich zu mir rüber und murmelte mir was zu, ich jedoch war komplett auf den Schüler fixiert. Sobald er hereinkam, traf mich ein Gedankenblitz. Diesen Jungen hatte ich schonmal gesehen.
Und das war gar nicht so lange her. Um genau zu sein, es war letzte Nacht.
Das war der Junge, von dem ich geträumt hatte.
"Darf ich euch vorstellen: Lee Minho. Er wird ab sofort in dieser Klasse Unterricht nehmen, ich erwarte von euch, dass ihr euch ihm gegenüber angemessen verhaltet. Minho...da drüben hinter Minsik ist noch ein Platz frei, setz dich doch dort hin."
Minho. Lee Minho. Dieser Name kam mir bekannt vor. Wo hatte ich ihn schonmal gehört?
Minsik hob kurz seine Hand, um ihm klarzumachen, dass er die Person war, die gemeint war, und Minho ging zu dem leeren Tisch hinter ihm. Als er an meinem Tisch vorbei ging, sah er mich kurz an, und erneut traf mich dieser Blitz. Jedoch änderte sich diesmal die Umgebung für den Bruchteil einer Sekunde. Und das gleiche bei dieser Umgebung: ich war da schonmal. Mit Minho. Aber wann? Und was ist da passiert?
"Yo, Junho, ist alles in Ordnung?", fragte Minsik und tippte mich an. Als ich ihn jedoch ansah, passierte das Gleiche. Plötzlich änderte sich die Umgebung, doch diesmal änderte sich auch Minsiks Gesicht. So langsam überkam mich die Angst, und mir wurde etwas schwindelig.
"Ehm...ssaem? Darf ich kurz an die frische Luft? Mir geht's nicht so gut...", fragte ich vorsichtig, und so großzügig wie meine Lehrerin war, nickte sie mit einem besorgten Lächeln. Ich stand auf und ließ den verwirrten Minsik wie auch den Rest der Klasse zurück.
Wenn ich mal an die frische Luft musste, wie jetzt, ging ich aufs Dach. Dort war die Luft am frischsten, die Sonne wärmte am besten und man war weit, weit weg von den Menschen und dem Verkehr unten. Ich wünschte manchmal, ich könnte fliegen, dann könnte ich das jeden Tag genießen.
Ich stellte mich an das Geländer des Daches und schaute in die Ferne, von hier aus konnte man gefühlt ganz Seoul sehen. Eine wunderschöne Stadt, mein Zuhause. Es war hektisch, die Straßen im Stadtzentrum waren immer voll mit Menschen und auf den Märkten roch es immer nach leckerem Essen. Jedoch von oben sah es friedlich aus, still, man hörte nicht einmal die Autos und Busse, die durch die Straßen von Ampel zu Ampel fuhren.
Ich liebte es hier zu sein und die Aussicht zu genießen. Jedoch blieb dieses schöne Gefühl nur für ein paar Augenblicke, denn dann holte mich das, was eben gerade passiert war, rasch wieder ein.
Minho war der Junge aus meinem Traum, das war klar. Es gab ja öfter sowas, dass man einen Traum hatte, der am nächsten Tag wahr wurde. Dieser Augenblick, als Minho mich angesehen hatte, als sich die Umgebung verändert hatte...das hatte ich auch in meinem Traum gesehen. Aber Minsik? Was war mit ihm passiert? War er eigentlich gar nicht Minsik? Sondern eine Art Illusion? Eine Fälschung? Eine Vision, die jeder sehen konnte?
Oder gar ein Geist?
Ich wurde kurz von dem Geräusch eines Flugzeuges abgelenkt, die waren hier oben lauter als sonst. Dieses Geräusch klang etwas komisch, viel dachte ich mir dabei aber nicht, bevor ich hochsah. Das Geräusch war lauter als sonst, und ich kapierte auch gleich, wieso. Das Flugzeug flog sehr tief. Viel zu tief. Und es raste direkt auf mich zu.
Ich stolperte mehrere Schritte zurück, fiel auf den Hintern und merkte, wie alles begann, sich zu drehen. Als das Flugzeug fast beim Schulgebäude angekommen war, schrie ich auf, so laut es ging, als würde mir noch jemand helfen können, und verdeckte mir die Augen.
Ich wartete auf einen heftigen Ruck, auf Schmerz, darauf, dass das Flugzeug mich mit dem Schuldach in die Tiefe reißen würde. Aber es passierte nichts. Und die Geräusche waren weg. War ich tot?
Vorsichtig öffnete ich meine Augen und sah mich um, ich war scheinbar immer noch auf dem Schuldach. Alles war heil, und ich sah auch nirgendwo meine Leiche, sonst hätte ich vermutet, ich wäre ein Geist. Aber ich lebte noch.
Das Einzige was sich an dem Dach geändert hatte, war der Junge, der auf einmal am Eingang stand. Und es war Junghwan, einer der Introvertierten aus meiner Klasse.
"Du hast das Flugzeug also auch gesehen, was?", fragte er, und ich war überrascht davon, wie tief seine Stimme war. Ich nickte langsam und etwas schockiert, wie konnte er so ruhig bleiben, wenn er dieses Flugzeug eben auch gesehen hat??
"Und Minho. Hast du auch von ihm geträumt? Hast du ihn deshalb so verwundert angestarrt?", fuhr er mit dem Fragen fort, und als ich erneut überrascht nickte, fügte er noch hinzu: "Ich auch. Ich sehe diese Dinge schon seit der siebten Klasse, seitdem wir in einer Klasse sind. Minsik ist auch einer davon, nicht wahr?"
"Ja, aber...warum? Warum sehe ich das alles?", fragte ich verwirrt zurück, fast schon panisch, jedoch konnte er mir nicht weiterhelfen. "Ich bin selber noch dabei, es rauszufinden. Aber was ich sagen kann, ist, dass es von uns allen noch mehr gibt. Minsik wird das Gleiche wie uns passieren, wenn es ihm nicht schon passiert ist, und es gibt noch andere Leute, die wir kennenlernen werden, die so sind, wie wir. Ich hab von ihnen geträumt, sehr oft schon. Du warst auch mal dabei."
Kopfschüttelnd vergrub ich mein Gesicht in meinen Händen, ich kam überhaupt nicht mit dem Ganzen mit. Erstmal musste ich verarbeiten, dass ich gerade dachte, ich würde sterben. Dann das mit Minsik und Minho. Und dann, dass Junghwan angeblich genauso war. Nein, er war genauso. Er hatte gerade alles aufgelistet was ich gesehen hatte, ohne dass ich ihm was davon erzählt hatte.
"Junghwanssi...", begann ich, als ich meinen Kopf wieder gehoben hatte und ihn von unten ansah, "Warum das Flugzeug? Was hat es damit auf sich?"
Er seufzte, kam auf mich zu und setzte sich neben mich. Einen Moment lang sagte er nichts, dann beantwortete er mir endlich meine Frage, jedoch war es die Antwort, die ich am wenigsten hören wollte.
"Unser Tod. So werden wir sterben. Und das sehr bald."
Er schloss seine Augen und legte seinen Kopf in den Nacken, um die Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht zu genießen.
"Aber keine Sorge, es wird nicht zu bald passieren."
Dann drehte er den Kopf zu mir und schmunzelte mich ruhig an.
"Wir müssen noch jemanden kennenlernen."

our hellevator (fortsetzung my hellevator)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt