Kapitel 29: Alec

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Wie in Zeitlupe sehe ich Lucius fallen. Der Geruch seines Blutes schwebt im Raum und doch kann ich es nicht wahrhaben.

Meine Seele schreit vor Schmerz.

Wachen stürmen in den Raum, doch es ist längst zu spät.

Blut breitet sich um sein Körper aus, tränkt seine Kleidung und den silbernen Schleier seiner Haare. Nichts kann das hier wieder gut machen.

Schluchzend falle ich neben ihm auf die Knie.

Seine Augen sind geschlossen, nur die Blutspritzer auf seiner Wange verraten, dass er nicht schläft.

Noch immer fallen Schneeflocken ins Zimmer, wie ein Leichentuch für ihn. Als würde auch die Natur um ihn trauern. Um meinen Elfen.

Meinen ewigen Prinzen.

Seit Tagen schneit es.

Und mit dem Schnee kommen immer mehr Briefe. Anteilnahmen aus dem ganzen Reich. Ich hätte nie gedacht, dass es so viele sein würden, doch das macht es auch nicht besser.

Regungslos liegt sein Körper in die dunkle Seide gehüllt. Silbern fallen seine Haare über das Kissen. Seine Haut weiß wie Porzellan, noch immer mit meinen Markierungen und doch so kalt.

Es bricht mir das Herz, ihn so zu sehen.

Nur der Dünne Schlauch, der von seinem Handgelenk ausgeht, verspricht noch Hoffnung.

Vielleicht wacht er wieder auf.

Vielleicht auch nicht.

Die Ärzte wissen es selber nicht.

Was soll ich hoffen? Dass er nicht mehr lange leiden soll oder alles tun, um aufzuwachen?

Sein sanfter Herzschlag ist kaum wahrzunehmen und doch weiß ich, er kämpft.

Manchmal streift sein Geist den meinen.

Und manchmal ist da ein anderer.

Ich weiß, was das heißt, doch ich weiß auch, dass es seinen Tod bedeuten könnte.

Und dann wäre ich schuld.

Weil ich ihn nicht gut genug beschützt habe.

Weil er mich retten wollte und jetzt selber hier liegt.

Weil unser Kind ihn nun umbringen könnte.

Worauf soll ich hoffen?

Ohne ihn will ich nicht leben, doch wenn dafür diese reine Seele sterben müsste, würde das uns für immer verändern.

So oder so wird nichts mehr sein wie zuvor. Niemals wieder.

Die leere Schale für den kleinen Geist unseres Kindes steht neben seinem Bett. Ein stilles Versprechen der Hoffnung und doch Symbol seiner Sterblichkeit. Wir beide wollten sie eines Tages sehen und unser Baby daraus schlüpfen sehen, doch nun ist dieser Plan in den dunklen Schleier des Todes gehüllt.

Schafft Lucius die Übertragung, werden ihn die Folgen wohl töten. Das erste Kind eines Drachens und eines Elfens war schon so ein Risiko. Niemand weiß, ob und wie gut es funktionieren wird. Und niemand weiß, was Lucius danach brauchen wird. Wie man ihm helfen kann. Also kann ihn auch niemand mehr retten.

Lucius´ Sicht

Es ist, als würde ich schweben. Es ist dunkel, doch neben mir schwebt ein kleines Licht.

Luan, wie die kleine Seele sich gewünscht hat.

Ab und an fliegen kleine Blitze zwischen uns hin und her. Gedanken, wie wir schnell herausgefunden haben.

Hätte mir jemand gesagt, ich würde mich einmal so mit einem Fötus unterhalten, hätte ich ihn wohl fassungslos angestarrt. Doch nun scheint es so natürlich zu sein.

Er ist der Mittelpunkt meiner Gedanken und ich seiner. Hier scheint keine Zeit zu vergehen. Es wird nie heller oder dunkler, kein Hunger oder Durst stört uns. Und doch fühle ich, wie wir langsam stärker werden. Es ist seltsam, weil wir keinen Körper haben, doch immer öfter schießen die Blitze zwischen uns, tragen Bilder, Melodien und Gedanken mit sich.

Ich weiß, wir müssen uns bald trennen, doch Zeit hat hier keine Bedeutung. Bald ist eine Ewigkeit.

Eine Ewigkeit, in der wir langsam auseinanderdriften. Seine Präsens entgleitet mir langsam.

Es wird schwieriger, Gedanken zu teilen. Er ist noch da, ich kann ihn fühlen und dann ist er weg.

Endgültig.

Wärme flutet mich.

Das laute Pochen meines Herzens.

Das Zischen meines Atems.

Das Schmatzen meiner Organe.

Das Rauschen meines Blutes.

Mein Körper ist zurück.

Und Alecs Stimme in meinem Bewusstsein.

Meine Hand in seiner. 

Sein Schluchzen und die Tränen des Glücks, die meine Haut treffen.

Dann öffne ich die Augen und im Licht sehe ich, wie sich das Licht in einer Glaskugel bricht.

Das Orange darin wabert, verbirgt den Blick auf das Innere. Doch ich weiß, was darin ist.

Oder eher, wer.

Luan. 

Mein Kleiner wartet bereits geduldig auf unser Wiedersehen. Denn das werden wir.

Gemeinsam sind wir stark.

Werden es immer sein.

Denn wir alle sind verbunden.

Der DrachenprinzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt