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Sicht des Readers:

Wie so oft ging ich meine Runde durch die Wohngegend, welche in der Nähe eines Waldes lag, um einen klaren Kopf zu bekommen- aber auch, um mich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war.

Im Haus der Walkers war alles ruhig, aber ich erkannte das Auto des Familienvaters am Straßenrand. Unweigerlich kamen mir alle möglichen Szenarien in den Kopf- nur die Wenigsten von ihnen waren gut. Auch Lou und Mrs. Walker kreuzten meine Gedanken. Die Mutter von den 9 und 16 jährigen Kindern hatte keine Ahnung, was vor sich ging, während sie sich in einer psychiatrischen Einrichtung befand. Warum genau sie dort war, wusste ich nicht; Theo und Louna hatten nie erzählt, warum- was ich jedoch wusste, war, dass sie nicht mehr in der Lage war, ihre Kinder zu erziehen.
Und Lou...
Seit einiger Zeit hatte niemand etwas von ihr gehört, aber ich hoffte, dass sie bei ihrem Onkel und ihrer Tante untergekommen war und es ihr gut ging. Der Gedanke, ihr könnte etwas zugestoßen sein, war unfassbar schmerzhaft; die Geschwister waren mir wichtig und ich würde alles in meiner Macht stehende tun, damit es den beiden gut ging.
Ich vertrieb die Gedanken schnell wieder und setzte meinen Weg fort, hielt währenddessen immer die Augen nach Theo offen. Zu sehen war er nirgendwo, was einerseits gut, andererseits beängstigend war.

Auf meinem Rückweg nahm ich wieder den Weg, der am Haus der Walkers entlangführte. Jedoch bereute ich meine Entscheidung sofort, als ich Jonathan Walker im Garten entdeckte.
"Na, (DNN), wieder am herumlungern?", höhnte er. "Ich weiß nicht, was Sie von mir- geschweige denn von meinem Sohn- wollen. Uns geht es bestens. Streitereien sind normal, jede Familie hat ab und zu Probleme- damit müssten besonders Sie sich auskennen, nicht wahr, (DN)? Wissen Sie, ich kann verstehen, warum der Adams abgehauen ist. War hier nicht gerade von Vorteil, wenn Sie verstehen, was ich meine."
"Wovon reden Sie?", fragte ich verwirrt.
"Oh, Kleine, ich weiß so einiges über Ethan Lewis Adams. Dinge, die Sie sich nicht in den kühnsten Träumen vorstellen könnten, weil sie so verdammt naiv sind. Und wenn Sie wirklich glauben, er hätte Sie tatsächlich geliebt, sind Sie tatsächlich noch dümmer, als ich befürchtet hatte. Sie haben ihm niemals etwas bedeutet", antwortete er.
"Mister Walker", entgegnete ich in einem Ton, der viel zu gefasst dafür war, dass ich innerlich durchdrehte; der Mann mischte sich in etwas ein, von dem er absolut keine Ahnung hatte. "Ich glaube, das ist etwas, das nur Ethan und mich angeht. Dieses Gespräch ist hiermit beendet, guten Tag."
"Ja, ja", rief er mir mit einem verächtlichen Lachen hinterher. "Lauf nur weiter vor den Problemen weg. Aber denk bloß nicht, dass das alles besser macht."
Nach diesen Worten beschleunigte ich meine Schritte und machte mich auf den Weg in Richtung Innenstadt, da ich sicher gehen wollte, dass der Junge auf irgendwelche Ideen kam und wegfuhr, denn gesehen hatte ich ihn beim Haus der Walkers nicht.

Ich war erleichtert, dass er sich in seinen regulären Verstecken nirgendwo aufhielt, denn auch wenn er es zu Hause nicht gut hatte, konnte man ihm hier helfen- dort draußen jedoch wäre er völlig auf sich alleine gestellt.

Ausgerechnet dann, als ich mich beruhigt hatte, rempelte mich jemand an und meine Gelassenheit verpuffte. Am liebsten wollte ich dem Unbekannten einen bissigen Kommentar hinterherrufen, doch dann drehte er sich um und mein Mund klappte schnell wieder zu.
"(DN)? Was machen Sie denn hier?", fragte der Psychologe.
"Ähm... nichts. Alles bestens", sagte ich schnell.
"Wenn Sie eben nicht so ausgesehen hätten, als wollten Sie gleich auf mich losgehen, wäre Ihre Lüge perfekt", antwortete Sweets nur.
"Ich bin ein bisschen durch den Wind, das ist alles", tat ich es ab und er sah mich skeptisch an.
"Ich mag Psychologie, es ist spannend und zugleich unheimlich, wie viel man über einen Menschen herausfinden kann, wenn man auf Kleinigkeiten achtet", erklärte ich nach einer Weile vorsichtig.
"Worauf wollen Sie hinaus, (DN)?", fragte Sweets.
"Nun ja, ich glaube nicht, dass es mir jetzt helfen würde, einen psychologischen Rat zu bekommen. Selbst wenn er noch so gut gemeint ist... Ich meine das definitiv nicht böse, wirklich, Sweets", erklärte ich schnell.
"Okay, dann erzählen Sie mir es als Kollege oder Freund- ich verspreche, ich werde es nicht aus der Sicht eines Psychologen sehen. Aber bitte reden Sie darüber, was Sie bedrückt, danach wird es Ihnen besser gehen und... Ja, verstanden, keine Psychologie." Ein schwaches Lächeln trat auf meine Lippen. "Es ist eigentlich wirklich nicht so wichtig. Ich mache mir zum einen Sorgen um zwei wichtige Menschen und dann denkt einer meiner Nachbarn auch noch, er wüsste, was passiert ist, zwischen mir und jemand anderem. Vielleicht stimmt das auch in gewisser Weise, aber er hat auch über Dinge gesprochen, von denen er keine Ahnung hat. Dass er damit angefangen hat, war jedoch meine Schuld, denn ich habe nachgehakt. Ehrlich gesagt mag ihn auch eigentlich nicht wirklich und ich hätte gleich gehen sollen."
"Trotzdem ist es nicht gerecht, dass er einfach urteilt", antwortete Sweets vorsichtig. "Danke", murmelte ich, sah jedoch weiterhin den Boden und nicht ihn an.
Dann herrschte Stille, ehe er fragte: "Also, ich möchte wirklich nicht nerven, aber ich glaube, Sie könnten einen Kaffee vertragen, oder nicht? Wie wär's mit einem Besuch im Royal Diner?" Überrascht blickte ich auf. "Klar, warum nicht?", meinte ich, nun etwas lächelnd. "Und übrigens können Sie mich duzen, wenn wir in der Freizeit etwas zusammen machen", fügte ich hinzu. "Dasselbe gilt auch für dich, okay?", antwortete er. "Okay, Doktor Sweets. Ich werde Sie nicht siezen", erklärte ich in einem gespielt ernsten Tonfall.
Der Psychologe verdrehte die Augen, musste jedoch grinsen, genau wie ich.

Dieses Treffen rettete mir den Tag.
Lance und ich blieben eine halbe Ewigkeit im Diner und vergaßen zwischendrin sogar unseren Kaffee.
Meiner war schlussendlich abgekühlt, doch das war mir egal.
Ich lernte ihn besser kennen und erfuhr, dass er Pate für ein Wasserbüffel auf den Philippinen war.
Zum Schluss fragte er mich, ob wir uns vielleicht irgendwann erneut treffen könnten, und gegen eine Wiederholung hatte ich absolut nichts einzuwenden.

Die nächsten Wochen verbrachten wir immer öfter im Royal Diner und ich genoss die Zeit mit Lance, in der ich mir mal nicht allzu viele Gedanken um Louna oder Theo machte. Doch es kam der Tag, an dem ich beides miteinander vermischen musste.
Ich war noch einmal zu Hause gewesen, bevor wir uns im Diner trafen, da Lance noch einen Termin hatte und ich die Zeit mit einem Spaziergang überbrücken wollte. Gerade schloss ich meine Haustür ab, da sah ich, wie Theo zu mir kam. Ich hatte ihn fast nicht erkannt, da er sich in seiner Jacke regelrecht versteckte.
"Teddy?", fragte ich vorsichtig und ging vor ihm in die Hocke.
Er war völlig durch den Wind und ich merkte sofort, dass etwas passiert war.
"Hey, was ist los?", fragte ich vorsichtig.
Statt einer Antwort schniefte er und Tränen liefen seine Wangen hinunter. Ich hakte nicht weiter nach, sondern nahm ihn in den Arm. Er zitterte am ganzen Körper.

Als es ihm etwas besser ging, setzten wir uns schweigend auf die Treppe, die zu meinem Haus führte. "Wir... wir haben uns wieder gestritten. Wegen nichts Wichtigem. Doch dann ist es eskaliert. Er war schon vorher gereizt und ich habe versucht, aufzupassen, aber dann habe ich doch alles falsch gemacht", erklärte er verzweifelt und ich sah, dass er wieder den Tränen nahe war.
"Du hast nichts falsch gemacht, Theo, hörst du? Das ist nicht deine Schuld." Er nickte, doch ich wusste, dass er mir nicht glaubte. Also nahm ich ihn wieder in die Arme und wiederholte die Worte. Teddy war sehr wichtig für mich und zu hören, wie es bei ihm zu Hause lief, zeriss mir das Herz.
Wir blieben noch eine ganze Weile auf der Treppe sitzen, dann löste er sich aus der Umarmung und bedankte sich leise.
"Immer wieder", antwortete ich.
"Was hälst du von einem Kakao, Ted?", fragte ich. Er hatte mir zwar versichert, dass ihm nicht wehgetan wurde, trotzdem war mir klar, dass ich ihn jetzt nicht einfach nach Hause schicken konnte.
Denn nur weil man Opfern von emotionaler Gewalt nicht so einfach ansehen konnte, was sie durchgemacht hatten, hieß es nicht, dass sie weniger litten.
Also beschloss ich, Theo einfach mitzubringen- Lance, der mit Sicherheit schon auf mich wartete, hätte bestimmt kein Problem damit. "Ich wollte mich mit einem Freund treffen, und ich könnte dich mitnehmen, wenn du möchtest", erklärte ich und Teddy nickte.

~wenig später~

"Lance, das ist Theo", erklärte ich, als wir im Royal Diner angekommen waren und uns zu ihm gesetzt hatten.
"Ich hoffe, es ist kein Problem, dass ich ihn mitgebracht habe. Ich kenne ihn schon sehr lange und passe manchmal auf ihn auf."
Auf der Fahrt hierher hatte ich Teddy- der nun nicht mehr allzu verweint aussah- erklärt, dass Lance natürlich nichts von dem eigentlichen Grund wusste und ihm von dieser Notlüge erzählt. Genauer gesagt hatte ich mich für eine Halbwahrheit entschieden, da Sweets ein unheimlich guter Psychologe war, und hoffte nur, es würden keine Fragen aufkommen.
"Natürlich ist das kein Problem", antwortete Lance und lächelte Teddy an, welcher die Geste nur vorsichtig erwiderte.
"Ist es okay, wenn ich die Getränke bestelle und du dich schon hinsetzt?", fragte ich den Neunjährigen.
Er nickte noch ein wenig schüchtern, rutschte aber gegenüber von Sweets auf die Bank.
Ich ging zum Bestellen nach vorne hörte, wie Lance anfing, mit Theo zu sprechen und während ich auf Kaffee und Kakao wartete, wanderte mein Blick wieder zurück zum Tisch und ich sah Teddy lachen.
Mir fiel ein Stein vom Herzen.
In kürzester Zeit war auch Lance mir sehr wichtig geworden. Zu sehen, dass sich auch Theo gut mit ihm verstand, erleichterte mich.

~einige Zeit später~

"(DN)?", murmelte Teddy, als wir in unserer Wohngegend angekommen waren.
"Lance ist cool. Ich mag ihn."
"Das freut mich", antwortete ich lächelnd. Und wie es das tat. Mehr, als Worte je beschreiben könnten. Noch vor wenigen Stunden war Theo total aufgelöst zu mir gekommen, jetzt lächelte er wieder.
Wir verabschiedeten uns und ihn gehen zu lassen, fühlte sich auf keinen Fall richtig an, doch es war das einzig Vernünftige, denn nicht ich war seine Erziehungsberechtigte, sondern Mister Walker. Und sein Sohn war sich sicher, dass es kein Problem wäre, sollte er nach Hause gehen.

Auch ich machte mich auf den Weg nach Hause und schaltete die Playlist mit meinen Lieblingssongs an, während ich Abendessen zubereitete. Danach setzte ich mit einem Buch in mein Schlafzimmer und las, bis der Schlaf über mich kam.

Lance Sweets x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt