Kapitel 37

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Eine sanfte Melodie erhellte das Wohngemach von Lady Enid und Jarl Gunnar Jörikson. Weder die Mutter noch die Amme summten leise vor sich hin. Cassandra hielt den kleinen Wulfric in den Armen und sang ihm leise ein Schlaflied vor. Das kleine Kerlchen wollte einfach nicht so brav wie sein Bruder sein und hatte die armen Eltern die ganze Nacht wachgehalten. Enid war unendlich dankbar für Cassandras Vorschlag ein paar Stunden auf die Babys aufzupassen, damit sie sich ausruhen konnte. Während Wulfgar in seiner Wiege schlief, fand der kleine Wulfric nun auch langsam ins Land der Träume.

Cassandra sang von duftenden Blumenwiesen und malerischen Landschaften mit tosenden Wasserfällen und tiefblauen Ozeanen. Ihre Mutter hatte es ihr und Caiden immer vorgesungen, als sie noch klein waren. Und später hatte Cassandra diese Tradition fortgeführt, als sie ihrer kleinen Schwester Cherry vorsang.

Cassandra war dankbar für die Ablenkung, die sie nicht mehr an Hraerek denken ließ. Noch immer spürte sie die Wärme seiner Hände und seinen Atem auf ihrer Haut. Der Kuss war so sanft gewesen, dass sie ihn kaum wiedererkannt hätte. Beim ersten Mal war es so hemmungslos und feurig, eine verzehrende Flamme aus Leidenschaft und Begierde. Dieses Mal hatte er sie unendlich zart berührt, als könne sie jeden Moment zerbrechen. Überraschend gefiel ihr diese Seite von Hraerek sehr. Sonst zeigte er sich als unerbittlicher Jarl, mächtig, gefährlich und unantastbar. Diese ruhige Eigenschaft an ihm brachte sie zum Nachdenken.

Während sie gar nicht merkte, dass sie nicht mehr der Melodie folgte, gähnte Wulfric noch einmal kräftig und schloss dann die Äuglein. Zufrieden legte Cassandra den Säugling wieder in die gemeinsame Wiege, wo er gleich nach dem Händchen seines Bruders griff. Wie süß konnten Babys eigentlich sein?, fragte sie sich. Wie die Kleinen sich gegenseitig festhielten war ein Bild für Götter.

Cassandra gab der frei hängenden Wiege einen sanften Stoß. Ein leises Knarzen hallte im großen Hauptraum wieder, während sie sich einen Becher Met einschenkte. Enid und Gunnar hatten die Zwillinge in ihrer Obhut gelassen, nachdem Cassandra Hildas Rat gefolgt war und nach ihnen geschaut hatte. Die zufriedene Mutter schlief nur einen Raum weiter und bekam von dem Schlaf ihrer Kinder nichts mit. Gunnar hatte sich nach Cassandras Ankunft verabschiedet, um ein Gespräch mit Hraerek zu führen. Er hatte ihr einen seltsamen Blick zugeworfen, eine Mischung aus Misstrauen und Dankbarkeit.

Enid hatte ihr damals bei ihrem Bad versichert, dass das für Gunnar nicht unüblich sei. Bei Fremden zeigte er jedem von ihnen bis zu einem bestimmten Grad Zweifel, aber wenn sie erst mal sein volles Vertrauen genossen, war das auch Geschichte.

Sie konnte Gunnars Zweifel an ihr gut nachvollziehen. Wäre sie in seiner Situation hätte sie vermutlich genauso gehandelt. Ihr Auftritt in der Großen Halle, wo sie Fen hinterher gerannt war, war auch äußerst... komisch, im nach hinein. Cassandra nahm einen Schluck vom Met und grinste in sich hinein. Die beiden verdutzten Gesichter der Jarls würden ihr noch lange im Gedächtnis bleiben.

Unweigerlich glitten ihre Gedanken zu Erienthes zurück. Das Zeremonienschwert hatte sie nach dem Kampf in der Hütte unter ihrem Bett versteckt. Dort war es sicher. So glücklich sie auch war es endlich wiederzusehen, so stark musste sie auch seinem Ruf widerstehen. Es war ein täglicher Kampf gegen ihr Inneres anzukämpfen.

Nach den Lehren ihrer Familie trug jeder von sich eine Bestie in sich, dass er annehmen musste um seine volle Stärke auszuschöpfen. Früher war ihr das nicht schwer gefallen. Cassandra erinnerte sich noch ganz genau an das Gefühl, wie sie zum ersten Mal mit ihrem Inneren im Gleichgewicht war und durch den Wald rannte. Mit einem Sprung konnte sie eine Entfernung von zehn Metern überwinden, ohne Mühe auf die höchsten Bäume klettern und sich schnell wie ein Fisch unter Wasser fortbewegen. Es waren glückliche Jahre, schöne Jahre. Vergangene Jahre.

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