Draußen wurde es hell. Man konnte die Fußstapfen und Stimmen der Frühaufsteher hören, die durch die Straßen von Cielon gingen und ihre tägliche Arbeit erledigten. Die ersten Vögel sangen im Schein der ersten Sonnenstrahlen und kündeten von einem baldigen erwachen der Natur. Ein warmer Wind kam aus dem Süden und wirbelte die letzten Schneeflocken noch einmal empor, dass sie durch die Luft flattern und sich des Himmels erfreuen durften, bevor sie endgültig auf dem Boden zu Wasser zerliefen.
Alles war voller Tatendrang und freudiger Erwartung. Bis auf zwei Personen, die zusammengekauert auf dem Boden einer Holzhütte saßen und versuchten sich gegenseitig Trost zuzusprechen. Dafür waren keine Worte nötig, weder gesprochen noch gesungen. Für Cassandra hatte das Märtyrium erneut begonnen, von welchem sie gehofft hatte, ihm entflohen zu sein. Nun war sie wieder hier, hielt einen, ihr kostbaren Menschen im Arm und verfluchte sich selbst dafür, nicht aufmerksamer gewesen zu sein. Tausend Gedanken gingen ihr durch den Kopf, aber sie linderten nicht die Trauer, um die Gewalt die Syth erfahren musste. Das Mädchen wurde übel zusammengeschlagen und brutal vergewaltigt. Ihre Oberschenkel waren mit Blut verschmiert.
Sie sollte so etwas nicht erleben müssen. Syth verdiente eine glückliche Kindheit, eine Familie, die immer für sie da wäre, wenn sie sie bräuchte. Cassandra hatte ihr dies versprochen und versagt. Es war ihr nicht möglich gewesen ihre kleine Schwester zu beschützen. Sie betrachtete Syth als ihr eigen Fleisch und Blut. Egal was andere sagten oder behaupteten, Syth war ihre Schwester!
Cassandra löste vorsichtig ihre Arme von Syth und legte sie in ihr Bett. Nachdem sie sie zugedeckt hatte, begann sie den Zuber herbeizuschaffen und Wasser aufzusetzen. Als der letzte Schwung Wasser bereit war, trat sie zu Syth und weckte sie leise. Sie schreckte sofort auf.
"Cassandra..."
Ihre Stimme klang heiser, mehr wie Schmörgelpapier. Sie hatte viel geweint, aber der Schock in ihren Augen erklärte alles. Syth schob sich von ihr Weg, wollte nicht in ihrer Nähe sein.
"Komm, ich habe dir ein Bad vorbereitet."
"Nein... ich will nicht!"
Tränen traten in ihre Augen.
"Du wirst dich dann besser fühlen. Ich habe habe Lavendel, Ringelblume und noch andere Kräuter hineingegeben. Weißt du noch wofür man sie verwendet?"
Ihre Frage war als Ablenkung gedacht, sie wusste nicht, ob Syth darauf ansprach oder sich noch mehr nach innen verkroch. Es verging eine gefühlte Ewigkeit bis Syth sich bewegte. Sie trug noch immer das zerfetzte Kleid, welches Cassandra in mühevoller Handarbeit für sie genäht hatte. Cassandra gab sich die größte Mühe, dass sie das Mädchen so wenig wie möglich berührte, sie aber jede Mal fragte, ob sie sie berühren durfte.
Syth schaute sich bei jedem fremden Geräusch ängstlich um. Ihre schönen Augen wurden nur noch von Furcht beherrscht. Es tat ihr in der Seele weh, sie so zu sehen. Als sie Syth endlich die zerfetzte Kleidung abnahm, konnte sie gar nicht anders als zu weinen. Ihr zierlicher Körper war von zahllosen Hämatomen und Blutergüssen übersät. Es war ein Bild des Grauens, was sie da sah. Bei ihrer ersten Begegnung war sie bereits ein Opfer von körperlicher Gewalt geworden, aber das sprengte alle Grenzen.
Vorsichtig nahm sie Syths Hand und half ihr beim Einsteigen. Cassandra hatte darauf geachtet, dass das Wasser nicht allzu heiß wäre, sonst würde es Syth nur weitere Schmerzen verursachen. Mit einem besonders weichen Tuch begann sie Syth zu waschen, nicht ohne sie vorher zu fragen, ob sie es dürfe. Behutsam tupfte sie das geronnene Blut von ihrem Gesicht. Es musste zum Glück nichts genäht werden, aber Cassandra würde trotzdem eine Salbe herstellen mit der sie ihre Blessuren einreiben würde. Es würde lange dauern bis alles verheilt wäre, aber es war eine ganz andere Frage, ob Syth sich jemals wieder von den psychischen Qualen erholen würde.
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Northern Legends
Ficción históricaFür Cassandra sollte es eine entspannende Urlaubsreise in die weite, unberührte Wildnis Schottlands sein. Aber durch einen schrecklichen Unfall wird sie in eine weit, entfernte Welt geführt. Von der ungewohnten Umgebung fasziniert, dauert es nicht l...