Kapitel 14

49 5 0
                                    

Das Essen in der Farm schmeckte überraschend gut. Mein Problem war nur, dass ich den Teller mit Hühnerfleisch, Kartoffeln und Karotten dank meinem Gespräch mit Sam nicht wirklich geniessen konnte.
Um ehrlich zu sein schmeckte für mich alles nach altem Karton.
Ich bemerkte, dass Eddy, der mir gegenüber sass, mir einen besorgten Blick zuwarf, doch ich grinste und stopfte mir demonstrativ noch eine Gabel Karotten in den Mund.
Als ich aus dem Büro von Sam herausgekommen war, hatten Eddy und Joe schon auf mich gewartet und wir waren gemeinsam zu der grossen Halle gegangen, wo bereits etwa zwei Duzend hungrige Leute auf ihr Essen gewartet hatten.
Als Joe uns dann, als wir uns an einen der Tische gesetzt hatten, unser Essen holen ging, hatte Eddy gesagt: "Jane. Was wollte Sam mit dir besprechen? Und ist alles okay? Du siehst nervös aus." Doch ich hatte nur gesagt, dass alles in Ordnung sei und die Sache, die Sam mir erzählt hatte nicht so wichtig wäre.
Doch das war eine grosse Lüge.

Ich wollte es nicht zugeben, aber ich hatte eine wahnsinnsangst.
Eine so grosse Angst, wie ich sie zuletzt bei meinem Kampf mit Dad verspürt hatte, wenn nicht sogar grösser. Denn das war das erste mal in meinem Leben, dass ich Angst vor mir selber hatte. Ich meine; Wenn ich wirklich tot gewesen und wieder zurück ins Leben gekommen war, war ich dann überhaupt etwas besseres als diese Zombies? Oder war ich selbst einer von ihnen und gar kein Mensch mehr?
Diese Fragen liessen mir keine Ruhe, und ich wusste nicht, ob ich die Antwort überhaupt wissen wollte.
Ich sah auf und betrachtete Eddy's Gesicht. Ich wusste, dass ich es ihm sagen sollte und dass er mir bestimmt helfen würde. Ich wusste, dass ich ihm voll und ganz Vertrauen konnte. Doch ob ich es auch Joe sagen konnte? Einerseits wollte ich ihn so gut es ging aus allem raushalten und ihn beschützen, doch andererseits war dies nun mal unsere Welt. Eine grausame Welt, unter deren Gewicht wir Überlebenden beinahe zusammenzubrechen schienen. Ich wusste ganz genau, dass es die richtige Entscheidung sein würde, ihnen alles zu erzählen.
Aber genau so gut wusste ich auch, dass ich nicht den Mut aufbringen konnte, den Zweien zu erzählen, dass ich keinen Puls mehr gehabt habe. Dass ich möglicherweise eine von ihnen war.
Ich seufzte und fokussierte meinen Blick wieder auf meine Karotten, die ich nun lustlos in meinem Teller herum schob.
"Iss aus, Jane. Sonst wirst du uns hier noch verhungern!", meinte Joe neben mir feixend und ich zwang mich zu einem Lächeln. Wieder spürte ich Eddy's besorgten Blick auf mir, doch ich ignorierte ihn und ass meinen letzten Bissen Karotten, dann stand ich auf, unter der Begründung, müde zu sein und schlafen gehen zu wollen. Joe verabschiedete sich mit einem Nicken von mir (offenbar war ihm die Umarmung von neulich schrecklich peinlich vor seinen neuen Freunden, aber wozu hat man wohl eine nervige, ältere Schwester, nicht wahr?) und schlenderte betont cool zu dem Tisch, der von den 12 bis 15-jährigen belagert worden ist. Auch Eddy erhob sich, doch er machte keinerlei Anstalten, sich von mir zu verabschieden. Stattdessen kam er zu mir, nahm meine Hand und führte mich nach draussen. Mit schnellen, zielstrebigen Schritten zog er mich hinter sich her, bis wir hinter einer alten Scheune angekommen waren und liess meine Hand nun endlich wieder los. "Eddy? Was soll das?", fragte ich mein gegenüber etwas genervt, doch Eddy verschränkte nur seine Arme und sagte: "Jane. Wir waren eine Woche lang gemeinsam unterwegs und haben einander den Rücken gedeckt. Ich vertraue dir. Und ich weiss, dass Sam dir etwas erzählt hat, das dir Angst macht. Also bitte, bitte hab wenigstens ein bisschen Vertrauen zu mir und sag mir, was dich beschäftigt. Ich weiss, dass etwas auf dieser Farm ganz und gar nicht stimmt und ich wette, du spürst das auch. Wir müssen von hier verschwinden und-" Ich unterbrach Eddy, indem ich ihm um den Hals fiel. Er verstand mich. Irgendetwas sagte auch ihm, dass wir hier weg mussten und dass wir auf der Farm niemandem trauen konnten. Plötzlich spürte ich, wie eine grosse Last von mir abfiel und ich fühlte mich so schwach und zerbrechlich wie schon lange nicht mehr. Ich würde es Eddy erzählen. Ich vertraute ihm.
"Ja", sagte ich, "Ja, ich weiss."

The Cold WorldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt