Kapitel 36

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Ich wünschte, er hätte mir nie vertraut. Drei Tage war ich schon hier. Begraben unter einem Haufen Decken und Kissen, die mir Geborgenheit spenden sollten. Es waren drei Tage, voller Selbsthass und Zweifel, die sich wie Nägel, in meinen Kopf bohrten. 

Die ganze Zeit über, dachte ich über seine letzten Worte nach. Schon wieder, hast du mir bewiesen, dass man niemandem trauen kann.

Ich hatte ihn erneut verletzt; hatte mit seinen Gefühlen gespielt und ihn glauben lassen, ein besserer Mensch geworden zu sein.

Je mehr Zeit ich in Denning verbrachte, desto mehr glaubte ich es sogar selber. Oder lag es an ihm?

Vor Everett hatte ich noch nie so eine Liebe gespürt. Früher, wie auch heute. Nicht einmal Henry, konnte sich mir so öffnen, wie es Everett getan hatte. Durch ihn fühlte ich etwas. Es war viel tiefgehender. Ehrlicher.

Und ich war wieder das Miststück, das ihm diese Gefühle raubte.

Vielleicht hatte Henry Recht gehabt. Er und ich waren gar nicht so unterschiedlich. Für Menschen, wie uns, gab es keine ehrliche Liebe auf dieser Welt. Wir fügen Menschen, die uns etwas bedeuten, Schaden zu. Das war unsere Natur. Henry und ich verdienten einander. Fakt.

Es war so still, dass ich mein eigenes Atmen wahrnehmen konnte. Drei Tage hielt ich die Tür verriegelt und ließ niemanden herein.

Auch wenn sich Henry immer wieder daran versuchte einzutreten, blieb ich konsequent. Sobald es draußen raschelte, kam ich unter meiner Decke hervorgekrochen und lauschte. Manchmal erwischte ich mich dabei, wie ich mir Everett vorstellte. Aber es war immer Henry.

Er nahm es nicht wirklich ernst, mit seinen Überredungskünsten. Als ich mich damit einverstanden erklärte, mit ihm zurück nach New York zu fliegen, wurde er nicht mehr so aufdringlich. Stattdessen unternahm er hin und wieder den Versuch, an meiner Tür anzuklopfen und mir Druck zu machen.

„Ich muss am Dienstag im Atelier sein. Sonst werden meine Gemälde nicht rechtzeitig fertig. Hör auf, mit den Spielerein", sagte er immer.

Ich schloss die Augen und ließ mich nur noch von meinem Atmen leiten, bis mein Körper wieder in die dumpfe Welt des Schlafens abdriftete.

Als ich wieder aufwachte, bahnten sich kleine Sonnenstrahlen durch die Vorhänge. Langsam schob ich den Deckenhaufen von meinem ausgelaugten Körper und trat an das Fenster. Als hätte ich etwas geahnt, spähte ich vorsichtig aus dem Fenster. Um kurz darauf einen Wagen einfahren zu sehen.

Enttäuscht, zog ich die Vorhänge komplett zu und warf mich wieder ins Bett. Auf meine Mutter hatte ich jetzt am wenigsten Lust.
Wäre es nur Everett gewesen. Ich musste dringend mit ihm sprechen. Hätte er mich nicht blockiert.

Als es Klopfte, wischte ich die heißen Tränen von meinen Wangen. „Lasst mich in Ruhe!" rief ich laut genug, dass mich die Nachbarn hören konnten, wenn es welche gäbe.

„Oliva Lianne Parish, du machst jetzt augenblicklich die Tür auf oder ich benutze den Kleiderständer, deines Vaters, als Rammbock!" Mutter klopfte mehrmals an.

„Mutter, bitte. Ich will mit niemandem reden", ich benutzte ein Kopfkissen um das geräuschvolle Poltern, vor meinem Zimmer, abzudämpfen. Leider konnte meine Mutter eine ziemlich anstrengende Persönlichkeit sein. Als sie nach zehn Minuten nicht aufhörte, sprang ich auf. Sie ahnte wohl nicht, dass ich die Tür aufriss. Ihr schockierter Blick sprach Bände.

Mutter zog scharf Luft ein, während sich die Hand niederlegte. „Wie siehst du aus?"

Noch bevor ich mir eine Ausrede einfallen ließ, verdrehte ich die Augen. Dabei hoffte ich, dass sie es genau bemerkte. „Und wenn schon."

Out Loud - Wer immer du bistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt