Kapitel 3

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Ich hatte keine Lust auf ein Taxi zu warten, also lief ich orientierungslos durch die Stadt. Zurück zu Gwen konnte ich nicht und in meinem Hotelzimmer fühlte ich mich, ohne meine Malutensilien, eingeengt. Zwar wollte ich meine Zeit in Denning auf das Mindeste reduzieren, aber es sprach immerhin nichts dagegen, seine alte Heimat zu begutachten. Zudem musste ich meine Gedanken an Henry verdrängen, der sich gerade durch halb New York vögelte. Bis sich die Situation beruhigen würde, müsste ich mich wohl hiermit arrangieren. Mein Kreditkartenlimit war noch ganz passabel, ein paar Wochen würde es mich über Wasser halten. Falls es überhaupt darauf hinauslaufen sollte.

Dennoch hinterließ ich eine Notiz auf meinem Smartphone, Pinsel und Farbe zu besorgen, damit ich mich irgendwie beschäftigen konnte. Dann könnte ich mich in aller Ruhe in das Motelzimmer verkriechen und den ganzen Tag damit verbringen, meine Kreativität auf Papier zu bringen. Besser gesagt, Leinwand. Sofort schrieb ich mir auch dazu einen Vermerk. Dabei ignorierte ich, den kleinen Telefonhörer, der mir mehrere unbeantwortete Anrufe präsentierte. Vielleicht, dachte ich mir, könnte ich die Zeit auch nutzen, ein eigenes Apartment irgendwo Downtown, zu suchen. Ein kleines, nur für mich alleine.

Ich war mir nicht mehr sicher, ob die Adresse stimmte, als ich vor dem kleinen Haus stand, dessen Garten über und über mit Lavendel bepflanzt war. Nervös wippte ich von einem Fuß auf den anderen. Die Fußmatte hieß mich willkommen, ob es die Person im Haus auch tat, konnte ich nur hoffen.

Vorsichtig wurde die Tür aufgezogen. Das Gesicht meiner besten Freundin, blickte mir verwirrt entgegen. Sie sah ganz und gar nicht glücklich aus. Sie vergrößerte den Türspalt und musterte mich eine gefühlte Ewigkeit, bevor sie letztlich nach meinem Handgelenk griff und mich fest an sich zog. „Wurde auch mal langsam Zeit, dass du deinen knochigen Arsch hier her bewegst, Süße." Während wir uns umarmten, hauchte sie mir höchst liebevolle Beschimpfungen ins Ohr. Jede einzelne verdiente ich. Farren war, nach Gwen, die warmherzigste Person in Denning mit dem Manko, sich gerne aufzuregen. Ich hinderte sie nicht daran.

Sie löste sich von mir, die Hände echauffiert an die Hüften gestemmt, musterte sie mich gespielt abschätzig. „Ach, was soll's. Komm rein."

Ich folgte ihr ins Haus, das von außen hin kleiner erschien als es tatsächlich war. Die Inneneinrichtung war schlicht und einfach gehalten. Unwillkürlich ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass wir nicht alleine sein konnten. Aber sie beruhigte mich, als hätte sie meine Angst gespürt. Während wir ins Wohnzimmer liefen, warf sie ihren Kopf nach hinten. „Er ist nicht hier, mit ein paar Freunden Angeln oder sowas in der Art. Sonst kommt er auch selten vorbei, nachdem er ausgezogen ist, sehen wir uns viel seltener." Übelkeit stieg in mir auf. Farren ließ sich auf das mattgraue Sofa fallen und klopfte neben sich. „Wo waren wir stehen geblieben, Süße? Ach ja. Wo hast du gesteckt? Wir hatten einen Deal, schon vergessen?"

„Du weißt, dass es nicht geplant war." Entgegnete ich ihr beherrscht ruhig. Sie wusste, von den vorgefallenen Ereignissen am besten Bescheid, weswegen sie mir für den Bruchteil einer Sekunde, einen traurigen Blick zuwarf, ehe sie ihren aufgeweckten Charakter wiederfand.

„Oh, Süße. Vergessen wir den ganzen Scheiß einfach. Was zählt, ist, dass du jetzt wieder da bist. Und dich ganz schön verändert hast, verdammt." Wie die anderen, interessierte sie sich äußerst stark, für meine Frisur. „Das schreit nach einer Party!" Ich liebte sie dafür, sie machte mir die Stadt erträglich, aber Feiern konnte ich nicht. Noch nicht.

Ich schilderte ihr ein paar Details aus meinem Großstadtleben, von meiner Karriere und irgendwann auch von Henry, wobei ich auch seine guten Seiten mitteilte. Als ich fertig gesprochen hatte, sah sie mich eine Weile bloß stumm an.

"Dieser verlogene, dreckige, hinterhältige Scheißkerl."

Ich biss mir auf die Zunge. "Es ist meine Schuld. Er hat mir Welten eröffnet, von denen ich nur träumen konnte, deswegen habe ich nicht darauf geachtet, wie er in Wahrheit ist. Wie dumm, dass ich die Glückliche war, der er einen Ring an den Finger stecken wollte." Es gelang mir, völlig ruhig zu bleiben. Meine Stimme brach kein einziges Mal und meine Augen füllten sich auch nicht mit Tränen. Warum sollte ich ihm auch nachtrauern? Ich war es gewohnt von Männern enttäuscht zu werden, warum sollte es also bei Henry anders gewesen sein? Es war alles eine Frage der Gewohnheit.

„Ich werde seine Gemälde anzünden oder warte, noch besser! Alle aufkaufen und sie auf dem Hills Creek in Flammen aufgehen lassen." Sie war unersetzlich. Meine beste Freundin war schon immer ein Fels in der Brandung gewesen. Sie wusste, was sie zu sagen hatte, dennoch stieg mir die Galle hoch, als ich sie so über Henry reden hörte. Sie hätte den treuen Henry gemocht und es tat weh, ihn nie wieder so haben zu können.

„Dann hoffe ich, dass du ein paar Tausend Dollar auftreiben kannst. Seine Kunstwerke sind nicht gerade Lowbudget." Scherzte ich, darum bemüht mein Lächeln aufrecht zu erhalten.

„Hm, das wird vielleicht ein teurer Spaß. Wenn ich es so recht überlege, kann ich ihn ja auch von hier aus einfach hassen. Solidarisch mit meinem besten Mädchen." Ihre Loyalität war schon immer bemerkenswert. Es tat gut, jemanden wie Farren um sich zu haben. Sie war die Art von bester Freundin, die einen ohne große Worte verstand und stets für einen da war, was immer auch geschah. Sie war das Gute an Denning.

Sie verließ das Zimmer, um mit einer Kanne Tee zurückzukehren, wobei sie eigentlich für Wein gestimmt hatte. Ich war dagegen.

Wir wechselten von mir, auf ihr Leben. „Ich arbeite jetzt bei Warrens, nicht weit von hier entfernt und am Wochenende helfe ich Shawn, in seinem schnuckeligen Café an der Ecke Westfield. Er hat den Laden vor zwei Jahren komplett renoviert. Würde dir gefallen übrigens. Du kennst doch Shawn?" Diese Farren war mir fremd. Sie erzählte mir, ausschweifend über ihr Leben, wobei jedes Wort so viel Liebe und Zufriedenheit ausstrahlte, sodass ich mich fragte, wann sie sich zu so einem gutbürgerlichen Mitglied der Gesellschaft etablieren konnte. Als wir jünger waren, träumten wir gemeinsam davon, hier zu entkommen, während wir den Weinschrank ihrer Eltern plünderten.

„Naja, aufjedenfall", sprach sie ohne Umschweife weiter. „Der Chef ist natürlich tabu! Aber sein, Bruder, Derek und ich haben, wie soll ich das sagen?"

„Etwas am Laufen?" beendete ich. 

„Bingo, Süße!" Sie reckte stolz das Kinn. Ich erinnerte mich vage an ihn, er war zumindest etwas älter als wir. Derek musste mittlerweile um die 25 sein. In der High School war er ein hübscher Typ mit dunklen Haaren, die seine weichen Gesichtszüge kantiger wirken ließen.

„Du musst ihn unbedingt kennenlernen." Sie zwinkerte mir kokett zu. Ich verdrehte die Augen. Farren machte das immer, weil sie wusste, dass ich davon nicht begeistert war. Für sie hatten Liebe und Gefühle noch eine Bedeutung. „Du wirst Derek mögen, ich schwöre es."

„Würde es dir etwas ausmachen, wenn wir uns einem anderen Thema widmen, bitte." Natürlich wollte ich Farrens Glück teilen und an ihrem Leben teilnehmen, aber je mehr sie sprach desto eher erinnerte ich mich schmerzhaft daran, wie viel doch in meinem eigenen Leben schief lief.

„Mich würde es, zum Beispiel wahnsinnig interessieren, warum du Oma-Platzdeckchen besitzt." Ich hob eines der hübschen, zartrosa Stoffe in die Luft. Farren versuchte es mir aus den Händen zu reißen, doch ich hielt es dadurch umso höher.

„Die sind sehr praktisch, okay?" Nach einem weiteren Versuch, das Platzdeckchen zu greifen, riss sie mich  zu Boden. „Meins!" Knurrte sie gespielt. Ich streckte ihr die Zunge entgegen, da setzte sie erneut zum Angriff über. 

Nachdem sie ihr Platzdeckchen erfolgreich zurückerobert hatte, warfen wir uns auf das Sofa und redeten den restlichen Tag über dies und jenes, bis es Zeit war zu gehen.

Am frühen Abend, fuhr sie mich zurück zum Motel. Es war noch nicht ganz so dunkel draußen, sodass ich mich kurzerhand dazu entschloss, eine Runde joggen zu gehen.

Meine Sportjacke um die Hüfte gebunden, lief ich in langsamen Tempo, die Straße auf und ab. Mit jedem Schritt, den ich hinter mir ließ, drängten sich meine Gedanken immer weiter in den Hintergrund. Ich lief immer weiter, immer schneller. Mein Körper war auf Flucht gedrillt.

So schön es auch bei Farren war, durfte ich mich nicht an Denning gewöhnen. Als ich wieder in meinem Hotelzimmer ankam, warf ich mich ausgepowert auf die Bettlaken. Vollkommen aus der Puste, schloss ich die Augen und konzentrierte mich nur noch auf meine Atmung.

Nein, ich durfte mich nicht an Denning gewöhnen. Niemals wieder. 

Out Loud - Wer immer du bistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt