Prolog

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° Emma °

„Werbeagentur Jung2, Sie sprechen mit Emma van der Heide. Was kann ich für Sie tun?", säuselte ich zum bestimmt zehnten Mal an diesem Freitag ins Telefon. Um anschließend Termine zu vergeben, Angebote durchzusprechen oder- wie in den meisten Fällen- den Kunden an meinen Chef zu verbinden. Mittlerweile arbeitete ich seit vier Jahren hier und wenn ich ehrlich bin, war ich nie zufrieden. 

Eigentlich wollte ich nach dem Abitur vor fünf Jahren weg von hier und Jura studieren, aber dann kam irgendwie alles anders. Ich blieb in meiner Heimatstadt, lernte Simon kennen und fing hier eine Ausbildung im Marketing an. Wahrscheinlich sollte ich mich sogar glücklich schätzen, dass ich wegen guter Kontakt sogar die Ausbildung verkürzen und anschließend direkt als Assistentin der Geschäftsleitung arbeiten durfte. 

Aber trotzdem merkte ich in letzter Zeit immer wieder, dass mir das hier nicht reichen wird. Nicht für den Rest meines Lebens. Simon verstand mich nicht, aber er war ja auch erfolgreich in seinem Job, gut angesehen und viel unterwegs. Er kannte es nicht, dieses Gefühl seine Zeit zu vergeuden. 

„Emma, Liebes, kommst du mal in mein Büro?", hörte ich die Stimme meines Chefs über die Sprechanlage. Seufzend klappte ich meinen Laptop zu und strich nochmal meine Bluse glatt, bevor ich in sein Büro trat. Was er wohl wollen könnte? Er sah zu mir auf und deutete mit seinem Blick auf den Stuhl ihm gegenüber. Ich hatte plötzlich ein ungutes Gefühl. Zu oft hatte ich in Filmen diese Szene gesehen. Meistens wurden die Mitarbeiter dann gefeuert oder befördert. Für einen Moment wusste ich nicht, was mir lieber wäre. 

„Schau nicht so bedröppelt. Ich will dir einfach nur sagen, dass du nach Hause gehen kannst", meinte er und grinste mich an. Mir muss die Kinnlade herunter geklappt sein, denn er griff sofort nach meiner Hand und strich mir beruhigend darüber. 

„Nicht für immer. Nur für heute", lachte er, „das Wetter ist so schön, da dachte ich du hättest einen freien Nachmittag verdient". Erleichtert atmete ich auf. Fast musste ich ein bisschen lachen. 

„Mach das nie wieder", drohte ich gespielt und verließ sein Büro. 

Nach dem kurzen Schock freute ich mich auf einen früheren Start ins Wochenende. Ich packte meine Tasche und verließ gegen 13 Uhr die Agentur. Ich wusste, dass Simon heute Homeoffice machen würde und wollte ihn mit Sushi überraschen. Eine schlechte Idee, wie sich im Nachhinein herausstellte, denn als ich nach Hause kam, war ich diejenige, die überrascht wurde.

Schon im Flur hörte ich eindeutige Geräusche aus meiner Wohnung. Ich stellte das Mittagessen auf dem Tisch ab und ging wie in Trance in Richtung meines Schlafzimmers. Das kann nicht sein, dachte ich noch. Obwohl ich eigentlich genau wusste, was ich gleich sehen würde, schnürte es mir die Kehle ab. Gefühlt vergingen Stunden, die ich an der Schlafzimmertür stand, bis ich es endlich schaffte, sie zu öffnen. Und das Bild, was ich sah, würde ich für viele Wochen nicht mehr aus dem Kopf bekommen. 

„Was zur...", brachte ich dann doch hervor. Ertappt drehte sich Simon zu mir um, die blonde Tussi unter ihm versuchte noch sich zu verstecken. 

„Willst du mich eigentlich verarschen?", schrie ich noch, bevor ich aus der Wohnung stürmte. 

„Emma...warte", hörte ich ihn hinter mir. Oh bitte nicht. Ich beschleunigte meine Schritte, aber leider hatte Simon mich vor unserem Haus bereits eingeholt. Nur in Boxershorts bekleidet stand er mir gegenüber. 

„Es ist nicht...", begann er, aber ich unterbrach ihn direkt. 

„Was? Nicht das, wonach es aussieht?", gab ich sarkastisch von mir, „ich bitte dich". Simon seufzte. Er wusste, dass er mir nichts mehr vormachen konnte. 

„Seit wann?", fragte ich und wischte mir die Tränen von der Wange. Eindringlich sah ich ihn an, aber er sagte nichts. 

„Seit wann, Simon?", fragte ich nun energischer. Ich wusste, dass es weh tun wird, aber ich musste es wissen. 

„Seit vier Monaten", gab er kleinlaut zu und traf mich damit mitten ins Gesicht. Mein Herz raste und ich hatte das Gefühl zu ersticken. Wie konnte er mir sowas antun? 

„Ich will dich nie wiedersehen", schrie ich noch, bevor ich wieder loslief. Ich lief und lief bis ich vor dem Haus ankam, bei dem ich wusste, dass ich aufgefangen werden würde. Ich klingelte und brauchte nichts sagen. Ich ließ mich auf der Couch nieder und schluchzte nur vor mich hin. 

„Du hast ihn nicht verdient, Schatz. Er ist so ein Arsch", sagte meine beste Freundin und strich mir über den Rücken. Sie wusste nur Simon konnte für meine Verfassung verantwortlich sein. 

„Kann ich erstmal hier bleiben?", fragte ich, obwohl es eigentlich überflüssig war. 

„Natürlich", antwortete sie nur und strich mir die Tränen von den Wangen. 

„Danke Linda", schniefte ich. Wie ein kleines Mädchen schmiegte ich mich in den Arm meiner besten Freundin und lies mich trösten. Sie war meine Konstante seit ich denken konnte. Hier war ich Zuhause. Jetzt, wo ich mein eigenes Zuhause verloren hatte. 

Nicht mit dir und nicht ohne dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt