Kapitel 27

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° Emma °

Ich freute mich richtig auf meinen Job und so fiel es mir auch wirklich leicht im Café anzukommen. Dazu wurde es langsam aber sicher Frühling und wenn ich die Gäste draußen im Sonnenschein bedienen konnte, war ich gleich nochmal besser drauf. Wincent war ein paar Mal hier oben im Norden, aber meist sprang dabei für mich nie mehr als eine Nacht dabei raus. Aber das war okay, für beide von uns, er war eben sehr in seiner Arbeit eingespannt. 

Dafür hatte ich mich echt dazu entschlossen ihn auf der Tour zu begleiten. Linda hielt mich zwar für völlig verrückt, aber sie hatte schon längst aufgegeben etwas dagegen zu sagen. Ich musste gerade eben ausbrechen; ich musste machen, was mir mein Herz sagte. Viel zu lange hatte ich das getan, was andere von mir erwarteten. Was Simon von mir erwartete. In vier Wochen würde es losgehen und langsam aber sicher musste ich meine Chefin darüber in Kenntnis setzen. Sie war überrascht, schließlich war ich so zufrieden, aber irgendwo verstand sie mich auch. 

„Ich verspreche dir, nach dem Sommer fang ich wieder an", gab ich ihr mein Wort und verließ ihr Büro. Die letzten zwei Stunden meiner Schicht war unglaublich viel los. Es war richtig warm und unsere Tische voll. Ich weiß nicht wie viele Eiskaffee ich heute bei meinem Barkeeper bestellt hatte und nach draußen trug. 

„Hallo Emma", hörte ich plötzlich eine bekannte Stimme hinter mir, als ich den letzten Tisch abräumte. Ich atmete tief durch und drehte mich langsam um. 

„Das ist also aus deinem Vorhaben nach Hamburg zu gehen und Jura zu studieren geworden?", grinste Simon mich süffisant an. Mir war klar, dass er mich damit nur provozieren wollte. 

„Weißt du Simon, ich mache gerade das erste mal in meinem Leben etwas, das mir Spaß macht", konterte ich. „Es kommt nicht immer darauf an höher, schneller, weiter zu gehen. Manchmal ist es auch mehr wert, einfach nur glücklich zu sein". Ich wusste er würde das nie verstehen können. Es wurde ihm bereits in die Wiege gelegt, erfolgreich zu sein. Es ging in dieser Familie immer nur darum, wer die größte Gehaltserhöhung bekam, den teuersten Anzug trug oder das protzigere Auto fuhr. Niemals wäre ich in dieser Welt mitgekommen. 

„Deine Brötchen wirst du so nicht auf ewig verdienen können", grinste er, „irgendwann wirst du wieder jemanden brauchen, der dir was bieten kann". Ach, jetzt werden wir auch noch persönlich

„Ich krieg mein Leben schon ganz gut auf die Reihe, keine Sorge. Aber wenn es dich so brennend interessiert, hätte ich da schon jemanden, der mir was bieten kann", meinte ich. Er brachte mich echt dazu Dinge zu sagen, die ihn weder etwas angingen noch ganz zu hundert Prozent der Wahrheit entsprachen. 

„Ach, etwa dieser Wincent-Typ? Emma, ich bitte dich. Der wird genauso ein One-Hit-Wonder, wie die Meisten seiner Art. Ich meine, Deutschpop, ernsthaft?", spottete Simon. Ich lächelte. 

„Also er ist eigentlich ganz erfolgreich. Er spielt diesen Sommer seine eigene Tour", verteidigte ich Wincent. Ich könnte mir in den Arsch beißen, dass mich Simon so provozieren konnte. Er lächelte siegessicher. Ich wäre ihm am liebsten ins Gesicht gesprungen. Er ist und bleibt einfach ein Arschloch. 

„Du wirst nicht her gekommen sein, um mit mir über Wincent zu reden, also....was kann ich dir bringen?", wechselte ich das Thema. Simon bestellte wie immer einen doppelten Espresso und ich war froh zumindest kurz aus seinem Sichtfeld zu verschwinden. Ich eilte in unsere Garderobe und schrie einmal aus voller Brust in meine Jacke. Nicht dass mich jemand hörte. Dieses selbstgefällige Arschloch! 

Danach hatte ich mich etwas runtergebracht und fühlte mich in der Lage weiterzuarbeiten. Ich servierte Simon freundlich seinen Espresso und bediente die paar Gäste, die so kurz vor Feierabend noch bei uns saßen. Ich merkte genau, dass Simon mich beobachte, mich musterte und wenn ich ihn anschaute grinste er mich wieder so süffisant an. Ich hasste es, dass ich ihn weder anschreien noch eine knallen konnte. Und da blieb er doch tatsächlich noch sitzen, bis ich Feierabend hatte und alle Gäste verabschiedet hatte. Ich räumte also auch seinen Tisch ab und reichte ihm die Rechnung. 

„Der Rest ist für dich", meinte Simon und schob mir einen Zehner rüber. Das war natürlich viel zu viel. Und viel zu viel Trinkgeld. 

„Danke, aber das hab ich nicht nötig", zischte ich und gab ihm bis auf den letzten Cent raus. 

„Irgendwann wirst du es brauchen. Irgendwann wirst du mich brauchen", murmelte er. Mir fiel fast alles aus dem Gesicht. Ich trat nah an ihn heran, dass uns bloß niemand hören würde. 

„Niemals werde ich dich brauchen. Weder finanziell noch sonst irgendwie. Und erstrecht nicht körperlich. Du warst eine absolute Niete im Bett. Dass ausgerechnet du Jemanden gefunden hast, mit dem du mich betrügen konntest...", lachte ich und ließ ihn stehen. Ich knallte die Cafétür zu und schloss direkt ab. Und als ich mich von innen dagegen lehnte wurde mir erst klar, was ich da eben gesagt hatte. Grinsend schüttelte ich den Kopf. Aber es war ja nicht mal gelogen, was ich gesagt hatte. Simon war wirklich eine Niete im Bett. Dass mir das erst Wincent zeigen musste, war zwar schade, aber auch das Beste, was mir passieren konnte. Als ich mich das nächste Mal wieder umdrehte, war Simon weg. Der wird mich doch wohl jetzt hoffentlich endlich in Ruhe lassen. 

Als ich an diesem Abend Linda davon erzählte, fiel sie fast vom Stuhl. „Das hast du nicht gesagt, Emma", lachte sie und wischte sich die Tränen aus den Augenwinkel. Wieder prusteten wir los. Ich wusste, dass ich mich verändert hatte seit der Trennung von Simon. Und langsam aber sicher war ich glücklich damit. Die folgenden Wochen verbrachten wir fast jede freie Minute zusammen, wir gingen Joggen, wir gingen feiern und wir lagen auch mal einen ganzen Sonntag im Bett rum, aber wir genossen die Zeit zusammen. Die paar Wochen mit Wincent würden die längsten sein, die Linda und ich jemals getrennt sein werden. 

„Du wirst mir fehlen, Schatz, aber ich wünsch dir so viel Spaß", sagte Linda und umarmte mich bestimmt zum fünften Mal. 

„Du mir auch. Aber ich meld mich so oft es geht. Und danke dir, für Alles", sagte ich und gab ihr einen dicken Kuss auf die Wange. Dann schloss ich hinter ihr die Tür. Morgen würde es endlich losgehen und langsam wurde ich echt aufgeregt. Ich checkte zum zehnten Mal meinen Rucksack, räumte das letzte Chaos in meiner Wohnung auf und schaltete all meine Geräte aus. Carlos hatte Linda eben schon mitgenommen und so war ich ziemlich alleine in meiner Wohnung. Es wird komisch sein wochenlang nicht hier her zu kommen. Um mich abzulenken und irgendwie in den Schlaf zu finden, schaltete ich mal wieder Netflix ein. Mir waren gerade wohl die Augen zugefallen, als es an der Tür klingelte. Es war kurz nach Mitternacht, bestimmt war es nur ein blöder Klingelstreich. Ich drehte mich um und schloss wieder meine Augen. Bis es erneut klingelte. Stöhnend stand ich auf und lief zur Haustür. Ich blickte durch den Spion und musste augenblicklich lächeln.

Nicht mit dir und nicht ohne dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt