Kapitel 1

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° Emma °

Es waren Wochen vergangen seit der Sache mit Simon. Ich hatte ihn aus meiner Wohnung geworfen und mir ein neues Bett zugelegt, schließlich wollte ich keine einzige Nacht in dem Bett verbringen, in dem er diese Tussi gevögelt hatte. Ich könnte immer noch kotzen! Ich hatte nichts mehr von ihm gehört, was auch unvermeidlich gewesen ist, nachdem ich ihn auf all meinen Kanälen blockiert hatte. Ich wollte nie wieder auch nur irgendetwas von ihm hören.

Am Anfang war ich noch so wütend, aber davon war mittlerweile kaum etwas übrig, langsam aber sicher versank ich in einer Depression. Jeder Tag lief gleich. Ich musste mich wirklich fast zwingen aufzustehen, um ins Büro zu fahren. Ich machte nach wie vor den Job in der Werbeagentur und er machte mir immer noch keinen Spaß- ganz im Gegenteil, er kotzte mich so richtig an. 

Nur wegen Simon war ich hier geblieben. Nur wegen Simon hatte ich diesen Job angefangen, damit wir keine Fernbeziehung führen mussten. Nur wegen Simon. Der mich letzten Endes eh nur verarschte. 

Und dennoch war ich bisher nicht in der Lage irgendwas an meiner beruflichen Situation zu verändern. Generell war ich nicht in der Lage irgendwas an meiner Lebenssituation zu ändern. Ich hing zwischen meinem alten Leben und meinem Neuen. 

Bis ich am frühen Abend das Büro wieder verließ, war es schon wieder fast dunkel. Trotzdem zog ich mir Zuhause Sportsachen an und machte mich auf meine übliche kurze Joggingrunde. Eigentlich war Joggen nie mein Ding gewesen, aber um nicht noch fetter zu werden, musste ich irgendetwas tun. Und ins Fitnessstudio konnte ich seit ein paar Wochen nicht mehr. Die Gefahr Simon zu treffen war einfach viel zu groß. Ich lief jeden Tag die gleiche Strecke, aber das war mir bei der Dunkelheit einfach lieber. Ich kannte jeden Winkel und jede versteckte Ecke und mein Pfefferspray war mein fester Trainingsbegleiter. Die kalte Luft brannte in meinen Lungen, als ich nach einer knappen Stunde wieder Zuhause ankam. 

Wie immer wartete dort niemand auf mich außer mein Kater Carlos. Aber der interessierte sich wie immer nur für mich, solange ich ihm pünktlich und dreimal täglich seinen Futternapf füllte. So auch heute. Er miaute mir die Ohren voll, bis ich ihm seinen Napf mit dem besten Thunfisch, den der Supermarkt zu bieten hatte, füllte. Als er Ruhe gab, stellte ich mich unter die Dusche und startete ein ausgiebiges Kosmetikprogramm mit Haarkur und Gesichtsmaske. Sogar eine Ganzkörperrasur nahm ich vor ohne genau zu wissen warum. Es war Winter und mein Bett teilte ich momentan auch nur mit Carlos. Und dem Professor. 

Mit meinem Bademantel bekleidet und einem Teller Nudeln auf dem Schoß machte ich es mir in meinem Bett bequem. Carlos lag auf meinen Füßen und war nach seiner ausgiebigen Putzrunde schnell eingeschlafen. Wie jeden Abend öffnete ich Netflix und startete meine neue Lieblingsserie. ‚Haus des Geldes' hatte eindeutig Suchtpotential. Ich traute mich kaum zu atmen, als könnte mein Atem irgendwie beeinflussen, ob Rio gleich eine Kugel in den Kopf bekam oder nicht. 

Das Klingeln meines Handy erschreckte mich so sehr, dass Carlos aus dem Bett flog und ich die Nudeln auf meiner kompletten Bettdecke verteilte. ‚Linda' stand auf dem Display. Linda war meine beste Freundin seit ich denken kann. Unsere Mütter waren schon beste Freundinnen und mit Linda teilte ich seit 24 Jahren alles. Trotzdem schaltete ich mein Handy lautlos und drehte das Display nach unten, um ungestört diese Folge beenden zu können. 

Aber Linda wäre nicht meine beste Freundin, wenn sie es nicht nach fünf Minuten erneut bei mir versuchen würde. Ich kapitulierte, sie würde nicht aufhören, bis ich antworten würde. Ich pausierte meine Serie und hob ab. 

„Emma-Schatz, was treibst du?", säuselte sie mir ins Ohr. Das muss man ihr wirklich lassen, sie hatte echt Ausdauer. Jeden Abend rief sie mich an, um mir genau diese Frage zu stellen. Obwohl sie wusste, dass ich immer die gleiche Antwort geben würde. 

„Ich habe ein Date mit dem Professor", antwortete ich auch heute. Ich sah sie schon vor mir wie sie mit den Augen rollte. 

„Emma, du kannst dich doch nicht jeden Abend in deine Serienwelt flüchten. Und erstrecht nicht am Tag vor Weihnachten", seufzte sie. Weihnachten! Warum erinnerte sie mich wieder daran? Die letzten vier Jahre hatte ich diesen Tag immer bei der Familie eines Typen verbracht, der mir letztendlich das Herz brach. 

„Simon ist es nicht wert, dass du dich so einigelst", sagte sie wieder. Seinen Namen zu hören versetzte mir wieder einen Stich ins Herz. 

Ich hatte Simon vor vier Jahren beim Feiern kennengelernt und es war Liebe auf den ersten Blick. Das mit uns ging ziemlich schnell, ich bin nach drei Monaten mit ihm zusammengezogen und blieb in meiner Heimatstadt, weil er die Firma seines Vaters übernahm. Obwohl ich eigentlich geplant hatte in Hamburg Jura zu studieren. Stattdessen suchte ich mir diesen Job in der Werbeagentur, der mir von Anfang an eigentlich nicht zusagte. Aber ich tat es für ihn. Niemals hätte ich gedacht, dass ich dank ihm erleben muss wie man sich fühlt, wenn man seinen Freund inflagranti mit einer Anderen erwischt. 

Schon wieder drehten sich meine Gedanken um diesen Arsch, während meine beste Freundin auf mich einredete. 

„Tu mir den Gefallen und komm mit auf den Weihnachtsmarkt. Du weißt unser Abijahrgang trifft sich jedes Jahr am 23. zum Weihnachtsvorglühen", erklärte sie ganz vorfreudig. Ohja, das war genau das, was ich jetzt brauchte. Nicht. 

„Linda, ich bin mit meinem Professor eigentlich ganz zufrieden", versuchte ich sie abzuwimmeln, aber sie ließ nicht locker. 

„Emma, du hast mir jetzt vier Wochen hintereinander abgesagt, jetzt ist Zeit, dass du etwas mit mir unternimmst", sagte sie und ich hasste sie dafür, dass sie mich so gut kannte. Sie schlug mich jetzt also mit meinen eigenen Waffen. Wie sollte ich dagegen ankommen? 

„Na gut", seufzte ich und gab mich geschlagen. Alles andere wäre zwecklos gewesen. 

„Perfekt! Ich hol dich in einer Stunde ab", säuselte sie freudig ins Telefon und dann legten wir auf. Ich schaute an mir runter. Ich trug immer noch nur einen rosafarbenen Teddy-Bademantel und hatte eine Stunde Zeit aus mir einen Menschen zu machen. Und meine Bettdecke von den Nudelresten zu befreien. 

Nicht mit dir und nicht ohne dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt