15. In den finstersten Wald

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Čerts erster Impuls war, Anise von den Füssen zu pflücken und sich mit ihr im Kreis zu drehen, weil er sie mal gekannt hatte. Im nächsten Moment wollte er weglaufen und sich flennend verstecken, weil sie ihn mal gekannt hatte. Was schlussendlich aus dem Boden schoss, war eine Mauer aus Wut: Ihr eine reinhauen, wenigstens den Wein über ihrem Pullover auskippen. Tat er aber nicht, weil er ein braves Kind war. Zumindest an seinem Arbeitsplatz, ja? Satan, er wollte nicht mit Anise reden. Sie nicht hören, nicht sehen - ihr gar nicht erst begegnen. Und es war zweifellos sie: Mit viel Zwang auf fluffig gestylte Emofrise, dünne, gerade Brauen, graugrüne Augen wie Reptilienhaut, das sehr eckige Kinn, drahtige Statur, fast ein bisschen zu dünn.

Anise rutschte das widerliche Lächeln aus dem Gesicht, Rasputin erstarrte, Dunkelgold hob die Augenbrauen. Hexe unter dem Tisch gähnte. Maève war nirgends zu sehen.

Čert leerte sein Glas und grinste bitter. Immer schön dem Elend ins Gesicht lachen, so ging das doch. "Wollen wir nicht aufbrechen in diesen verfluchten Wald?" –

Sie sammelten ihre Jacken von der Garderobe, Maève aus der Seitengasse und wanderten nun durch das einsame, dunkle Gaulewin. Es schneite schon wieder. Satan in der Hölle, er war doch kalt GENUG. Auch jetzt konnte er schon seine Nase und seine Finger kaum mehr spüren, nichts war da als das beissende Kribbeln von Magie: Lass mich raus, lass mich raus. Lass mich jemanden kalt machen, auf die eine oder andere Art. Wie klingt das?

Čert hatte sich an den Schluss der Gruppe gehängt, neben ihm hoppelte Hexe her. Eigentlich hielt ihn nichts auf, von dieser verfluchten Geschichte einfach abzuspringen, er schuldete keinem irgendetwas – aber Rasputin hatte seinen Nashornkumpel verdient und verdammt, er sollte ihn bekommen, ja? Wenigstens ein Happy End. Wenigstens ein einzelnes Happy End, Satan. Ausserdem würde Hexe ihm sonst tagelang in den Ohren liegen, was er denn den armen, süssen Jungen allein liesse. Nein, egal, wie eifersüchtig und egoistisch Hexe vor seinen Füssen entlang rannte: Für ein Kind hatte sie immer ein Herz übrig, sobald sie entschied, dass es mehr Rücksicht verdiente als alle anderen.

'Ich bin überhaupt nicht eifersüchtig', maulte sie in seinen Kopf hinein.

'Du hast noch nie irgendjemanden meiner Freunde nicht angegrollt.'

'Ich will dich nur beschützen, mein Teufel. Aber du hältst Anise für ein Stück Scheisse, oder?'

'Oi Hexchen, sei einfach leise, ja?' Čert schnaubte. Satan, manchmal wünschte er, dieser Hund hätte nie angefangen zu reden.

‚Mein Teufel -'

Čert rammte einen Stiefelabsatz in den Boden und starrte auf Hexe hinunter. Sie hatte nicht mal den Anstand, sich zu ducken, legte nur den gelbgrauen Schädel schief. „Wenn du noch was sagst, stopf ich dich in die Mülltonne da drüben." Er knurrte.

Die anderen guckten irritiert über die Schulter, wahrscheinlich, weil sie ihn nicht verstanden. Sollten sie eben Tschechisch lernen. Satan.

Und was Anise anging, Hölle noch eins: Da lag der Pudel begraben. Mit ihr hatte das Unheil angefangen. Mit diesem dummen Streit. Mit ihrem idiotischen Verhalten davor. Ohne das hätte er in den Folgewochen diese Scheisslaune nicht gehabt, hätte niemals geheult vor Angst, dass sie petzen ging und ihn bald alle als Schwuchtel beschimpften. Ohne dieses Loch, in das Anise ihn ja oh so dringend einstampfen musste, hätte er sich nie derart heftig mit seiner Mutter wegen Domi gestritten - alle beide hatten sie ein Problem mit ihm und Domi gehabt, Anise und Máma -, dann wäre er nicht für eine mitternächtliche Runde zur Beruhigung nach draussen gestiefelt, dann wäre Hexe schlussendlich nicht auf die Strasse und er selbst nicht vor das Auto und - wenn Anise nicht gewesen wäre, dann wäre er jetzt nicht untot.

Siebeneinhalb DämonenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt