8. Die Untoten

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„Ey!", schrie Maève, wedelte mit den Armen. „Bo!" Sie rannte los und über den Platz, musste ihn einfangen, bevor er weg war.

Die Gestalt, welche in Begleitung eines Hundes vor einigen Geschäften entlang gezockelt war, blieb stehen und drehte sich um.

Auf der gegenüberliegenden Strassenseite rammte Maève die Fersen in den Boden. Irgendein bescheuerter kleiner Instinkt in ihrem Hinterkopf traute sich nicht näher heran. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, ein-, zweimal keuchend vom Sprint. Jetzt musste sie ruhig und sachlich vorgehen, denn alles, was sie wollte, waren schliesslich Informationen.

Sie taxierten sich.

Ein Auto fuhr zwischen ihnen hindurch und besprenkelte sie mit Schneematsch.

Bo schob seine Brauen so weit zusammen, dass sie fast in seinen Augen waren, weitete seinen Blick gleichzeitig enorm und rümpfte die Nase zu einem absurden Grad. Es sah aus, als hätte man einen gewöhnlichen entsetzten Gesichtsausdruck genommen und auf 200% hochgedreht. Vielleicht erkannte er sie. Vielleicht hatte er nicht mit ihr gerechnet. Vielleicht war er es auch nicht gewohnt, dass man hinter ihm herbrüllte. Mehrere Strähnen seiner Haare schlugen wilde Schleifen; es sah aus, als versuchten sie, gegen das Haargummi zu kämpfen. Im Tageslicht schimmerten sie bräunlich.

Maève hustete kurz. „Ähm." Sie hatte sich einen Wortlaut überlegt, durchaus. Offensichtlich aber hatte sie ihn beim Weisshaarigen hinter ihr gelassen. Ausserdem, gütiger Himmel, Bos Teint war blau. Nicht quietschblau, eher ein helles Blassblau, aber blau. Bei ihrer letzten Begegnung war das definitiv anders gewesen.

Mit einem Schlag sprang Bos Gesichtsausdruck zu einem belanglosen Grinsen über. Seine Eckzähne waren spitz wie bei einem Raubtiergebiss. Das war auch neu. „Ja?"

„Ich, äh... warst du schon die ganze Zeit...?", Maève wedelte sich mit einer Hand vor der Nase herum.

„Wunderhübsch? War ich." Es stimmte nicht. Er sah aus wie eine Kartoffel mit Augenbrauen. Oder - der Gedanke beschämte Maève, kaum dass er gedacht war - bei der Gesichtsfarbe wie ein Stück Seife. Irrelevant, eigentlich wollte sie doch etwas anderes wissen.

Maève räusperte sich. „Ich muss dich was fragen." In ihre Gedanken zwängte sich das Bild von dem Abend in ihrer Küche. Wie Maman gesagt hatte: So ein freundlicher junger Herr, Spatz, der mochte dich. Du hättest ihn nicht so böse anschauen müssen. Nun, jetzt war sie schon wieder auf bestem Wege, genau das zu tun. Nicht, weil sie es darauf anlegte, sondern weil es passierte, immer wieder, jeden Tag.


Er wartete auf den Vorwurf: Warum, Bo, Čert, ich? Warum ich? - Warum du? Haha, frag mich nicht. Warum schliesslich nicht, wir müssen alle sterben. Zufall nannte man das, ja? Aber der Vorwurf kam nicht. Stattdessen guckte sie, als ob sie gerade rechtzeitig an der Haltestelle angekommen wäre, um ihrem Bus beim Wegfahren zuzusehen.

Von hinten kam ein weisshaariger Junge angehoppelt, der reichlich Gepäck schleppte, und blieb neben ihr stehen. Sie warf ihm einen flüchtigen Seitenblick zu und machte ein Schrittchen zur Seite. Der Junge zog die Schultern hoch. Wahrscheinlich mochte oder kannte sie ihn nicht. Andernfalls hätte Čert geraten, dass sie zusammen trampen gingen. Man sollte schliesslich die neuen Freiheiten geniessen, nachdem man aus seinen Verpflichtungen herausgestorben war, nicht wahr? Und das musste sie sein: Untot. Es gab keine andere Erklärung. Es war die Erklärung für alles.

'Lass uns gehen', sagte Hexe und hoppelte ein paar Meter. 'Wo bleibst du? Jetzt sag nicht, du willst dir das wirklich anhören.'

„Also, ich muss dich was fragen", wiederholte das Mädchen. Ihr Blick driftete kurz ins Glasige, fassungslos über sich selbst. Am Anfang waren alle fassungslos. Natürlich musste sie ihn etwas fragen, aber er wollte das vielleicht gar nicht beantworten, Satan. Leider war er jetzt trotzdem neugierig.

Siebeneinhalb DämonenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt