Kapitel 5.3

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Kapitel 5.3

Zustimmend nickte Stella und entließ ihr Dienstmädchen mit der Anweisung, nach dem Mittag wieder hierherzukommen, um den Rundgang zu beginnen. Heute wollte Stella in die Näherei gehen, um nach den Stoffen für den kommenden Winter zu sehen. Gegebenenfalls musste sie bestellen. Wenn Draakon sie erst dann sehen wollte, konnte sie in Ruhe ihre Arbeit fertig machen. Sollte sie vielleicht in der Mittagspause zu ihm oder doch erst nachdem sie völlig fertig war? Sicherlich wollte er mit dem Training fortfahren, was ihr entgegenkam.

"Nach dem Ihr mit dieser Arbeit fertig seid", konkretisierte Ria, die scheinbar genau Anweisungen hatte. "Also im Grunde so schnell, wie möglich."

Stella brauchte ihre ganze Beherrschung, um nicht zu seufzen oder mit den Augen zu rollen. Da ihr Mann jedoch nach ihr schicken ließ, bat sie Niska und Taik, die Erklärungen kurz zu machen.

Kurze Zeit später befand sich Stella auf dem Weg zum Arbeitszimmer ihres Mannes und versuchte, mit Hilfe der frischen Luft ihre nagenden Kopfschmerzen zu beseitigen. Den warmen Mantel trug sie über ihrem Kleid, das aus einem dicken, aber weichen Stoff gemacht worden war. Deshalb, und auch wegen den Schmerzen in den Beinen, lief sie langsam neben Ria auf der Brücke her und sie erreichten gerade noch die Eingangstür zum königlichen Flügel, als der Himmel seine Schleusen öffnete. Hart prallten die Regentropfen an den Fenstern und auf dem Dach nieder, sodass es sich anhörte, als würde es hageln.

Bevor sie Draakons Tür erreichte, atmete sie noch einmal tief durch, fuhr sich über ihre Gesicht und glättete es ein wenig. Dann knipste sie ihr Lächeln an und klopfte an.

Es erklangen leise Worte von drinnen, die sie kaum verstand, aber als Aufforderung nahm, einzutreten.

Drinnen empfing sie Dunkelheit. Nur durch die Fenster drang etwas Licht und Stella fand ihren Mann vor diesem wieder. Er starrte hinaus in den Regen.

Das überraschte Stella wirklich. Bisher war es noch nie vorgekommen, dass er sein Arbeitszimmer verdunkelte. "Du hast mich rufen lassen?", fragte sie und bemühte sich, ihn nicht mit Fragen zu überhäufen und sich ihr Erstaunen anmerken zu lassen.

"Komm her", bat er und klang irgendwie traurig.

Gehorsam, aber langsam trat sie näher, da sie in der Dunkelheit nicht sehr gut sehen konnte und sie Angst hatte, über etwas zu fallen. Deshalb fixierte sie Draakons schemenhaften Schatten und legte dann eine Hand auf seinen Rücken. "Was ist los?"

Er drehte sich herum und nahm sie fest in den Arm, bevor er seinen Kopf an ihrem Nacken vergrub.

Stella schloss ihre Augen und legte ihre Arme um ihren Ehemann. Minutenlang standen sie schweigend da. Sie wusste nicht, was passiert war, doch wenn Draakon darüber reden wollte, konnte er das tun.

"Meine Kindheitsfreundin ist gestorben", flüsterte er leise an ihre Haut und klang tief traurig.

Seine Frau keuchte leise und sie drückte ihn fest an sich. Eine Kindheitsfreundin bedeutete, dass sie sich schon seit Jahrhunderten, wenn nicht gar Jahrtausenden, kannten. "Das tut mir leid", flüsterte sie und fuhr sanft durch seine silberblauen Haare. Wie sehr ein Verlust schmerzen konnte, hatte sie am eigenen Leib erfahren müssen, weshalb sie wusste, wie er sich fühlte.

"Sie ist im Kindbett gestorben", flüsterte er. "Ich habe heute Morgen die Nachricht bekommen, dass die Geburt ansteht."

"Sie hat ein Kind zur Welt gebracht? Oder ist es ebenfalls gestorben?", fragte Stella tonlos und mit zitternder Stimme. So etwas kam bei ihnen häufiger vor, wenn die medizinischen Umstände sehr schlecht waren.

"Sie haben es beide nicht überstanden", flüsterte Draakon traurig. "Das ist bei Drachen sehr oft der Fall und sie wollte nie ein Kind haben, weil sie solche Angst davor hatte."

Die Arme seiner Frau schlangen sich fester um Draakons Körper und sie zog ihn nah an sich. "Es tut mir so leid", hauchte sie an seinem Nacken. Tränen der Trauer brannten in ihren Augen, doch sie blinzelte sie weg. Der Kloß in ihrem Hals drohte, ihr den Atem zu nehmen, weshalb sie mehrmals schlucken musste.

Draakon bewegte sich und nahm sie hoch. "Bleib bitte eine Weile bei mir", bat er. "Deine Gegenwart beruhigt mich."

Er spürte, wie sie nickte und seinen Nacken kraulte. "Natürlich, wenn du es möchtest", flüsterte sie, obwohl sie noch so viel Arbeit zu erledigen hatte. Doch das vorzubringen, war im Moment nicht angebracht.

Draakon nickte an ihrem Nacken und sog ihren Duft tief ein. "Es kam unerwartet", gestand er und hielt sie eng an sich gedrückt.

Dabei entging Stella nicht, dass er leicht zitterte. Wohl vor Trauer oder Erschöpfung. So genau konnte sie es nicht sagen. "Es kommt oft unerwartet", flüsterte Stella und biss sich auf die Lippen. Das ganze Leben hatte sehr viele unerwartete Wendungen, mit denen man irgendwie zurechtkommen musste. "Wie viele Drachenfrauen gibt es jetzt noch?", fragte sie leise. Draakon hatte erzählt, dass es immer weniger wurden und die meisten Frauen bei der Geburt starben. Wahrscheinlich war seine Kindheitsfreundin deshalb gestorben und Stella sah ein, dass es immer schwieriger wurde, Kinder auf die Welt zu bringen, wenn die Drachenfrauen starben.

"Nicht sonderlich viele", murmelte Draakon. "Etwa fünfzig."

In Gedanken rechnete Stella nach und sie wusste auf Anhieb, dass die Zahl sehr gering war, denn die Männer waren eindeutig in der Überzahl. Wenn es nur noch so wenig Drachenfrauen gab, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie ausgestorben waren. Stellas Griff um ihren Mann verfestigte sich noch ein bisschen mehr und sie hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn. "Warum sterben die Frauen bei der Geburt so schnell? Ich meine, ihr habt wesentlich bessere, medizinische Versorgung als die meisten Menschen."

Draakon zuckte die Schultern. "Ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Drachen sterben eigentlich nicht so schnell", gestand er.

Seine Frau machte ein nachdenkliches Geräusch. Ob es genetisch vererbt worden war? Oder waren sie von einer Krankheit befallen, sobald sie ein Kind erwarteten? Es konnte auch sein, dass der Körper der Frauen das nicht mehr mitmachte. "Lässt du mich bitte herunter?", fragte Stella leise, denn ihr Rücken begann durch die gekrümmte Haltung zu schmerzen.

Nur widerwillig setzte Draakon sie ab und brummte leise, ließ sie aber nicht los.

Sobald sie stand, zog Stella ihren Mann in die Richtung des Sofas, in der sie glaubte, dass es dort war. Ihre Augen waren nicht gut an die Dunkelheit gewöhnt, aber das war egal. Sie wollte sich hinsetzen und ihn in ihre Arme ziehen. Die Trauer, die Draakon gepackt hatte, war deutlich spürbar und berührte auch Stella, die sowieso nah am Wasser gebaut war, wenn es um solche Dinge ging.

Draakon setzte sich und zog sie auf seinen Schoß, um seinen Kopf wieder an ihrem Körper zu vergraben.

Das passte ihr nicht ganz, denn sie war wieder in einer unbequemen Position. Früher hätte ihr das nichts ausgemacht, doch jetzt wollte sie lieber normal sitzen und ihn zu sich ziehen. Jedoch protestierte sie nicht, sondern legte seine Arme um ihn. "Kann ich etwas für dich tun?", fragte sie leise, obwohl sie wusste, dass in solchen Trauerfällen nichts helfen konnte. Nicht die schönsten Worte der Welt konnte jemanden aus der Trauer ziehen.

"Einfach nur bei mir sein", bat er mit rauer Stimme.

Also kam sie seinem Wunsch nach und verharrte in dieser Position für mehrere Stunden. In dieser kraulte sie sanft seinen Nacken, hauchte ihm hin und wieder einen Kuss auf seinen Kopf und war einfach nur für ihn da. Mehr konnte sie nicht tun.

Dragons of Avalon - Drachenhand (Band 2) [Leseprobe]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt