Kapitel 1

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"Der fährt ja als hätte er sieben Bier intus. Komm, den holen wir uns!", Lars setzte den Blinker, um auf die linke Spur auszuscheren. Er beschleunigte den Wagen, überholte den dunklen Benz und setzte sich vor ihn. Ich betätigte den Knopf, der dem Fahrer hinter uns befahl, uns zu folgen.
Mein Kollege fuhr bei der nächsten Gelegenheit auf den Seitenstreifen und hielt den Wagen, das Auto hinter uns tat es uns gleich.
Ich schnappte mir meine Jacke vom Rücksitz, stieg aus und zog sie an.
Die Uniform war nach wie vor unbequem, aber nach 6 Jahren in diesem Beruf hatte ich mich daran gewöhnt.
Gemeinsam gingen Lars und ich auf den Benz zu, der Fahrer grinste uns nur selbstgefällig an.
Ich zeigte ihm an, den Wagen zu verlassen. Er kam meiner Aufforderung nach.
"Guten Tag. Führerschein und Fahrzeugpapiere, bitte.", Lars beäugte den großen Blonden kritisch.
Mir kam er irgendwie bekannt vor, wahrscheinlich war er öfter in Verkehrskontrollen verwickelt.
Ich beobachtete jeden seiner Schritte, er gab mir die angeforderten Papiere und ich sah sie mir aufmerksam durch.
Als ich den Führerschein genauer beäugte, rutschte mir mein Herz in die Hose.
Ich versuchte, die professionelle Mine aufrecht zu erhalten, aber der Name, den ich las, ließ mein Herz schneller schlagen.
Schnell drehte ich mich weg und ging ein paar Schritte in Richtung unseres Wagens, ehe ich die Personalien mit der Zentrale abglich.
Natürlich wusste ich, dass er es war. Er hatte schon immer eine Vorliebe für solche Autos gehabt, außerdem waren seine blonden Locken so unverkennbar.
Mein Kollege in der Zentrale bestätigte mir, dass außer einige kleinere Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz nichts gegen ihn vorlag.
Somit begab ich mich wieder auf den Weg zu Lars.
Ich drückte dem Riesen seine Dokumente zurück in die Hände, als seine Augen auf meine trafen, weiteten sich seine unmerklich.
Er suchte nach meinem Namensschild, als er es gefunden hatte, wurde er nur noch unruhiger.
"Sie wissen, warum wir Sie angehalten haben?", Lars sah ihn abwartend an.
Unser "Verdächtiger" schüttelte den Kopf, innerlich seufzte ich. Er wusste genau, was er bei einer Polizeikontrolle sagen durfte und was nicht.
Wieder ergriff Lars das Wort: "Herr Moser, kann es sein, dass sie etwas getrunken haben?"
John lachte, sein Blick schnellte aber wieder zu mir, ich wusste genau, dass er mich erkannt hatte.
"Nö, hab' ich nicht.", er verschränkte seine Arme vor der Brust.
Lars wurde langsam genervt, ließ es sich aber nicht anmerken: "Wären Sie mit einem Atemalkoholtest einverstanden?"
John nickte, Lars begab sich zu unserem Dienstfahrzeug, um den Tester zu holen.

John wartete kurz, bevor er das Wort ergriff: "Emma?"
Ich traute mich nicht, ihm in die Augen zu sehen, seine Stimme klang so vorwurfsvoll.
"Was machst du hier in Hamburg?"
Jetzt fand auch ich endlich meine Stimme wieder, wenn auch nur leise: "Arbeiten, nach was siehts aus?"
John schüttelte den Kopf: "Marten wird ausrasten, wenn er erfährt, dass du wieder hier bist."
Bei seinem Namen zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen, ein unwohles Gefühl breitete sich in meinem Magen aus.
Hamburg war wohl doch nicht so groß, wie ich erwartet hatte. Es hätte mir klar sein müssen, dass ich früher oder später einem von ihnen über den Weg lief.
Lars unterbrach diese eher unangenehme Konversation, indem er John erklärte, wie der Alkoholtester funktioniere, als hätte John das nicht schon öfter gemacht.

"0,0. Nochmal Glück gehabt.", Lars zeigte mir das Ergebnis, ich nickte.
Somit ließen wir John gehen, wir hatten nichts gegen ihn in der Hand, unter Drogen schien er auch nicht zu stehen.
Er warf mir, bevor er in seinen Benz stieg, noch einen eindringlichen Blick zu, der mich erschaudern ließ.
Jetzt war es wohl nur noch eine Frage der Zeit bis ich Marten wieder gegenüberstehen würde.

Wir führten noch ein paar weitere Verkehrskontrollen durch, die meisten waren jedoch unauffällig.
Als wir gegen Abend wieder zur Wache fuhren, ergriff Lars das Wort: "Hättest du Lust, noch was Trinken zu gehen? Dann lernen wir uns mal besser kennen."
Er warf mir ein charmantes Lächeln zu, Lars war wirklich attraktiv. Seine braunen Haare lockten sich leicht, er war groß und gut gebaut, seine grünen Augen passten zu seinen markanten Gesichtszügen. Auch sein Dreitagebart gefiel mir. Ich war gerne mit ihm in Dienst. Man hatte immer etwas zu lachen, außerdem nahm er seinen Job wirklich ernst.
Warum sollte ich also ablehnen? Ich war schon lange nicht mehr unterwegs gewesen. Da ich am nächsten Tag frei hatte, konnte ich meinen Abend auch in einer Bar verbringen.
Ich strich mir eine dunkelbraune Strähne hinters Ohr, die sich aus meinem Zopf gelöst hatte, erwiderte dann: "Klar, warum nicht? Ich würde mich gerne noch zuhause umziehen und duschen. Wie wäre es um 9?"
Lars stellte den Polizeiwagen in der dafür vorgesehenen Garage ab, aktivierte die Handbremse und zog den Schlüssel ab.
"Klingt gut. Ich kann mein Auto bei dir abstellen und dann gehen wir von dir aus zu Fuß?", er fuhr sich durch seine Haare, suchte meinen Blick.
Ich nickte: "Jap. So machen wir das."

Gemeinsam schlenderten wir in die Wache, erledigten dort noch einige Schreibarbeiten und machten dann Feierabend.
Ich legte meine Uniform ab, schlüpfte in meine Alltagskleidung und fuhr dann nach Hause.
Eigentlich war ich schon ziemlich müde, trotzdem freute ich mich, mal wieder rauszukommem.
Eine schnelle Dusche später, zog ich mir eine schwarze, enge Hose, eine weiße Bluse, darüber ein grauer Pullover und schwarze Boots an.
Ich schminkte mich nicht, das war mir immer viel zu aufwendig. Meine Haut entwickelte danach unzählige Unreinheiten, man musste mich also  ungeschminkt ertragen.

Als es an meiner Tür klingelte, Band ich gerade die Schnürsenkel meiner Boots. Ich betätigte den Türsummer und öffnete erwartungsvoll meine Haustüre.
Lars trat nach kurzer Zeit vor diese und grinste mich an, er hatte seine Haare ein wenig gestylt, was wirklich gut an ihm aussah.
"Hey, können wir los?", seine Hände steckten in den Taschen seiner Jeansjacke. Er trug eine schwarze Hose, so wie ich, ein weißes Hemd, darüber die Jeansjacke. Das Outfit stand ihm, schmeichelt seiner muskulösen Erscheinung.
Schnell griff ich nach meiner kleinen, schwarzen Umhängetasche, stopfte mein Portemonnaie und meine Schlüssel hinein.
"Jap, bin soweit.", ich schenkte meinem Gegenüber ein Lächeln.

Zusammen liefen wir durch die Straßen Hamburgs, Lars wollte mir unbedingt seine Lieblingsbar zeigen, die circa 20 Minuten Fußweg von meiner Wohnung entfernt war.
Ich erzählte Lars von meiner Vergangenheit in Stuttgart, auch davon, dass ich ursprünglich aus Hamburg kam.
Er hörte mir aufmerksam zu, machte immer wieder ein paar kleine Anmerkungen, vor seiner Lieblingsbar angekommen, hielt er mir die Tür auf.

Wir setzten uns an einen kleinen Tisch in der Ecke, ich zog meine Jacke aus und legte sie neben mir ab.
Wir bestellten bei der netten Kellnerin, welche hemmungslos mit Lars zu flirten schien, jeweils ein Bier.
"Steht auf dich, hm?", ich grinste Lars an, als sie uns unsere Bestellung gebracht hatte und nun wieder auf dem Weg hinter die Theke war.
Der Brünette zuckte mit den Schultern: "Ist nicht mein Typ."
Er hob seine Bierflasche, um sie an meiner mit einem klirrenden Geräusch zu stoßen.
"Auf uns.", sein Lächeln zauberte kleine Grübchen auf sein Gesicht.
Ich erwiderte es, nippte an dem kalten Bier und seufzte nach dem ersten Schluck genießerisch.
"Dazu komme ich wirklich viel zu selten, einfach mal rauskommen.", ich stellte die Flasche wieder auf dem Tisch ab.
Lars nickte mir zustimmend zu: "Der Job verlangt halt einfach viel ab, da ist man oft froh, wenn man überhaupt Schlaf abbekommt."
Da hatte er absolut Recht, ich lebte für diesen Job und hatte alles dafür getan, mich zur Polizistin ausbilden zu lassen, trotzdem wünschte ich mir manchmal mehr Freizeit und vorallem ein geregelteres Leben.
Durch die vielen verschiedenen Schichten und verschiedenen Einsätze war das jedoch schwer möglich.

Wir unterhielten uns über unser Privatleben, unsere Familie, alles in Allem war Lars absolut nett und zuvorkommend. Ich fand ihn sehr sympathisch und konnte mir vorstellen, noch einige Abende in dieser Art mit ihm zu verbringen.
Je später es wurde, desto mehr war in der Bar los.
Als ich gerade von meinem Stuhl aufstand, um mich auf den Weg zur Toilette zu machen, trat eine kleine Gruppe in die Bar.
Das schummrige Licht ließ mich nicht viel von ihren Gesichtern erkennen, jedoch entstand ein ehrfürchtiges Murmeln seitens der anderen Gäste.

Die Männer traten an die Theke, einer ergriff das Wort: "Layla, eine Runde Shots. Wobei, bring gleich zwei Runden."
Ich kannte die Stimme, ich kannte sie viel zu gut und sie ließ mein Herz schneller schlagen. Ich konnte nicht einordnen, ob auf eine gute oder negative Weise.
Jetzt konnte ich auch seine Silhouette ausmachen, er war noch so viel breiter und angsteinflößender geworden, als noch vor einigen Jahren. Tattoos schlängelten sich seinen Nacken, sogar seinen Hinterkopf hinauf.
Mein Mund war plötzlich staubtrocken, ich hoffte einfach nur, dass er mich nicht erkannte.
Die Schuldgefühle meinerseits saßen noch viel zu tief, um mich jetzt mit einer Unterhaltung auseinanderzusetzen.

So unauffällig wie möglich trottete ich zu den Toiletten, mein Herz raste. Um mich wieder etwas zu beruhigen, drehte ich den Wasserhahn auf und tupfte mir das kalte Wasser ins Gesicht.
Ich sah mein eigenes Gesicht im Spiegel, fühlte mich in unsere gemeinsame Zeit zurückversetzt.
So sah das Gesicht einer Verräterin aus, das einer Egoistin.
Ich hatte damals nur an mich gedacht, ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Rücksicht auf ihn, auf Marten.
Wie sollte ich ihm jemals wieder gegenübertreten und vorallem, wie entkam ich dieser Bar, ohne vom ihm erkannt zu werden?

Love Me Again | MartenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt