Kapitel 21

3.6K 98 11
                                    

Martens Sicht

Seine kleine Hand schloss sich um meine großen, schwieligen Finger.
Es war für mich immernoch unbegreiflich, dass dieses viel zu kleine Wesen wirklich mein Sohn war, mein Fleisch und Blut. Und es war eines der schönsten Gefühle, seine kleinen Fingerchen in meiner Hand zu halten, in seine großen blauen Augen zu sehen, jedes Geräusch, dass er von sich gab erfüllte mein Herz mit Liebe.

Trotz dem schweren Start, den mein Sohn in sein Leben hatte, war ich jetzt umso froher, ihn in meinen Händen halten zu dürfen.
Er raubte mir nachts oft den letzten Nerv, ich hatte mich noch nie so sehr nach Schlaf gesehnt. Auch die Jungs gaben ihn gerne wieder ab, wenn er weinte oder schrie. Trotzdem war Emil das größte Geschenk, dass man mir gemacht hatte und ich genoss jede Sekunde, die ich mit ihm verbringen konnte.

"Bro, gehen wir?", John riss mich aus meinen Gedanken, er stand im Türrahmen des Kinderzimmers, welches viel zu kahl eingerichtet war, aber ich konnte nicht gut mit Deko umgehen. Als Antwort nickte ich nur, John unterstützte mich immer, wenn ich Hilfe brauchte, wenn ich mal wieder komplett fertig war und tagelang nicht schlafen konnte. Ich konnte dankbar sein, für ihn, für solche Freunde, die auch in diesen Zeiten für mich da waren.

"Kommst du klar?"
Ich schob den dunkelblauen Kinderwagen vor mir her und fragte mich, was das wohl für ein Bild geben musste. Zwei fast zwei Meter große Typen, ein Kinderwagen und ein Hund.
Ich zuckte mit den Schultern: "Mal so, mal so. Die Nächte werden besser, er schläft länger, weckt mich nicht mehr jede Stunde.", ich sah auf meine Finger, die schwarze Tinte darauf zog sich über meinen ganzen Körper und ich hoffte, dass ich meinem Sohn trotz meiner Vergangenheit ein guter Vater sein würde.
"Wenigstens haben die dich doch noch freigesprochen.", aufmunternd klopfte mir mein Cousin auf die Schulter, pfiff dann nach Chopper, der schon einige Meter nach vorn gerannt war.
"Das wärs ja noch gewesen, wenn ihr auf Emil hättet aufpassen müssen, ihr hättet dem direkt Drogen gegeben.", ein kleines Schmunzeln schlich sich auf meine Lippen und es tat gut, viel zu lange hatte ich nicht mehr lächeln können.

"Ey! Wir haben auch schon auf Joes Kinder aufgepasst, da hätten wir den kleinen Kämpfer hier auch noch gut hinbekommen.", John zog sich seine Cap tiefer ins Gesicht, als einige Jugendliche an uns vorbeigingen. Auch ich hatte nicht wirklich Lust, angesprochen zu werden. Das hier war privat, nicht umsonst hatte ich mich fast gänzlich aus dem öffentlichen Leben gezogen.

Der leichte Wind, der hier an der Elbe wehte, zwang mich dazu, meine Jacke zu schließen. Immer wieder sah ich zu dem kleinen Wesen im Kinderwagen, er schlief seelenruhig und mein Herz füllte sich mit Wärme und Liebe.
"Denkst du, ich bin ein guter Vater?", stellte ich die Frage, die mir schon lange auf dem Herzen und im Kopf brannte.
Mein Cousin blieb abrupt stehen und sah mich entgeistert an.
"Ich glaube, du bist der beste Vater, den sich Emil wünschen könnte. Und auch Emma wäre stolz darauf, dich so zu sehen.", er legte seine Hand fest auf meine Schulter, ihr Name löste einen Sturm in meinem Inneren aus.
Fast schon schmerzhaft zog sich alles in mir zusammen, besonders mein Herz.

"Ich hab' Angst, vor dem Moment, in dem er nach seiner Mutter fragt.", brachte ich hervor, meine Stimme glich einem Flüstern, so sehr fehlte sie mir.
"Was wirst du ihm sagen?", inzwischen hatten wir auf einer Bank Platz genommen und genossen den Blick auf das Wasser, welches in kleinen Wellen ans Ufer schwappte.
"Dass er die schönste Mutter der Welt hatte, die alles für ihn und sein Leben getan hätte und auch hat. Dass sie Träume hatte, viele Träume und das jeder Traum ihn beinhaltet hat.", fast schon krampfhaft schloss sich meine Hand zu einer Faust.
Der Schmerz, der ihr Tod mit sich gebracht hatte, war noch immer allgegenwärtig. Wir wollten das hier zu zweit erleben, unseren Sohn zu zweit erziehen, sie wäre eine so gute Mutter gewesen.
Es verging kein Tag, an dem ich nicht an Emma denken musste, kein Tag, an dem ich mich nicht fragte, warum es nur einer der beiden wichtigsten Menschen in meinem Leben überleben durften.

Nach dem Unfall ging alles ganz schnell, sie hatten unseren Sohn per Kaiserschnitt auf die Welt geholt, weil sich Emmas Zustand von Stunde zu Stunde verschlechterte, die Ärzte taten ihr Menschenmögliches. Sie schaffte es nicht, Emmi starb viel zu jung, hatte noch so viel vor sich. Aber sie hatte mir das größte Geschenk hinterlassen, dass sie hätte hinterlassen können.
Emil sah ihr jetzt schon so ähnlich, immer wieder erkannte ich in ihm Emmas Gesichtszüge. Ihre Schönheit, die mich von Anfang an fasziniert hatte.
Ich holte tief Luft, füllte meine Lunge, die sich so zusammengeschnürt anfühlte, mit Sauerstoff, straffte meine Schultern, als ich die Stimmen ihrer Geschwister und Mutter vernahm.

"Marten, mein Junge.", Miriam schloss mich in ihre Arme, die sich für mich manchmal anfühlten, wie die meiner eigenen Mutter.
"Mir gehts gut, und euch?", ihre kleinen Geschwister steckten ihre Köpfe in den Kinderwagen und freuten sich über ihren schlafenden Neffen, John unterhielt sich mit ihnen über irgendwelchen Teenagerkram, er würde wohl nie richtig erwachsen werden.
"Sie fehlt.", ihre Haare waren inzwischen grau geworden, auch sie hatte unter dem Tod ihrer Tochter gelitten.
Und wie sehr sie fehlte. Manchmal bildete ich mir ein, sie läge morgens mit mir im Bett, doch wenn ich mich umsah, war der Platz neben mir leer.

Ich hoffte wirklich, dass ich irgendwann wieder jemanden finden würde. Das hätte auch Emma gewollt. Aber jetzt zählte mein Sohn, ich würde ihm das beste Leben ermöglichen, immer für ihn da sein, der Vater sein, den Emma sich für ihre Kinder gewünscht hätte. Und ich würde stark sein, ihm von Emmi erzählen, sie durfte auf keinen Fall in Vergessenheit geraten, denn sie war meine große Liebe gewesen und ich hoffte, dass sie jetzt an einem besseren Ort war.

Freunde, die Geschichte endet hier und ich musste beim Schreiben dieses Kapitels ziemlich heulen. 😅
Ich weiß, es ist auf keinen Fall das Ende, das ihr euch gewünscht oder erhofft habt, aber es kann nicht immer gut enden.
Irgendwie ist es ja trotzdem ein Happy End, zumindest so ein halbes.
Ich hoffe, euch hat die Geschichte trotzdem gefallen. Vielen Dank für eure Votes, Reads und Kommentare.

Ich wünsche euch eine wunderschöne Weihnachtszeit, bleibt mir gesund und schätzt die Zeit mit euren Liebsten! ❤️

Love Me Again | MartenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt