Kapitel 3

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Rückblick

Ich wachte auf, als sich zwei starke Arme um meine Mitte schlangen.
Müde blinzelte ich der Dunkelheit entgegen, sein herber Geruch trat mir in die Nase.
"Emmi...", Marten hauchte sanfte Küsse in meinen Nacken, welche mir eine Gänsehaut über den Rücken jagten.
"Wo warst du?", ich drehte mich in seiner Umarmung zu ihm um, platzierte einen Kuss auf seiner Nasenspitze.
Es war nicht unüblich, dass er nachts nicht nach Hause kam, trotzdem wollte ich wissen, wo er sich herumtrieb.
Seine Hände fanden ihren Weg unter mein Shirt, strichen sanft meinen Rücken auf und ab.
"Kiez.", antwortete er nur einsilbig, beugte sich vor, um meinen Hals zu küssen.
Ich seufzte und schloss meine Augen, genoss kurz seine rauen Lippen auf meiner empfindlichen Haut, legte meine Hände dann auf seine Brust, um ihn wieder von mir zu schieben.

"Du hast gesagt, du hörst damit auf.", ich wusste ganz genau, dass Marten wieder Drogen verkauft hatte.
Ein genervtes Ausatmen seinerseits ließ die entspannte Stimmung schwinden: "Du weißt, warum ich das mache, Emmi."

Natürlich wusste ich das, Marten tat alles dafür, mir meine Zukunft zu sichern.
Er verdiente Geld, ich holte meinen Realschulabschluss nach, um mir meinen Traum, der Ausbildung zur Polizistin, verwirklichen zu können. Wie paradox war das?
Anders hätte ich meinen Abschluss jedoch nie nachholen können, ich hatte nie Zeit gehabt, mich groß mit der Schule zu befassen, diese hatte ich in der achten Klasse verlassen, um für meine Familie arbeiten gehen zu können.
Meine Mutter war damals alleinerziehend mit mir und meinen zwei jüngeren Zwillingsgeschwistern gewesen. Ihr Vater hatte uns einfach links liegen gelassen, ohne Geld, ohne Perspektive. Meinen Vater kannte ich gar nicht.
Mama war damit beschäftigt, sich um die Babys zu kümmern, somit kam kein Geld ins Haus. Ich fühlte mich verantwortlich und begann zu arbeiten, um unser erbärmliches Leben irgendwie zu finanzieren.
Jetzt, wo meine Mutter selbst wieder fähig war zu arbeiten, war ich mit Marten zusammengezogen, welcher diverse Tätigkeiten verrichtete, um an Geld zu kommen.
Ich wusste, dass keine dieser "Arbeiten" legal war, laut ihm kam man aber so am Leichtesten zum schnellen Geld.
Und ich kam meinem Traum näher.

"In zwei Monaten habe ich meinen Abschluss, dann fange ich meine Ausbildung an, dann musst du das nicht mehr machen.", ich sorgte mich um ihn, ich wollte gar nicht wissen, mit welchen zwielichtigen Gestalten er sich herumtrieb, wenn es um die Drogen ging, die er vertickte.
Er strich mir mein vom Schlafen zerwühltes, braunes Haar hinter die Ohren.
"Mach dir keine Sorgen, Baby.", er gab mir einen Kuss auf die Stirn.
Trotz seinen vermeintlich beruhigenden Worten verschwanden die Sorgen nicht.
"Versprich mir, dass du damit aufhörst.", ich griff nach seinen Händen, ich hoffte so sehr, dass wir ein normales Leben führen konnten, sobald auch ich Geld verdienen würde.
Er hob unsere verschränkte Hände zu seinem Mund, um Küsse auf meinen Fingern zu platzieren.
Ich wusste, dass er nur ablenken wollte, ich setzte also ein weiteres Mal an: "Marten, bitte."
Seine Augen suchten meine, selbst in der Dunkelheit des Raumes glänzten Martens blaue Augen.
"Emmi, das ist nicht so einfach, wie du denkst. Da kommt man nicht so leicht wieder raus."
Dieser Satz versetzte mir einen Dämpfer. Ich hatte mir das wirklich einfacher vorgestellt, konnte man diese Dealerei denn wirklich nicht einfach beenden?
Ein tiefes Seufzen entfloh meiner Kehle, wo war er, oder besser gesagt, wo waren wir hineingeraten?

Eine Stille entstand, ich musste über seine Worte nachdenken, über die Konsequenzen, die das alles nach sich ziehen würde.
Als es an der Haustüre unserer kleinen Wohnung polterte, zuckte ich zusammen.

"Herr von Frieling, öffnen Sie sofort die Tür."
Ich riss meine Augen auf.
"Marten, fuck! Das ist die Polizei!", mein Herz klopfte mir plötzlich bis zum Hals, ich richtete mich hastig auf.
Marten tat es mir gleich, er fuhr sich fahrig durch die Haare.
Wieder klopfte es hart gegen die Türe.
"Wenn Sie uns nicht die Tür öffnen, treten wir sie ein.", der Mann vor der Tür klang, als würde er ernst machen.

"Du musst aufmachen, Marten.", schnell schlüpfte ich in eine Jogginghose, die auf dem Boden des dürftig eingerichteten Schlafzimmers lag.
Er seufzte, schwerfällig stand er vom Bett, oder eher der Matratze, die auf dem Boden lag, auf. Er war ruhig, viel zu ruhig. War das die Ruhe vor dem Sturm?
Marten warf mir einen Blick zu: "Du bleibst hier, gibst keinen Laut von dir, verstanden?"
Es kam mir vor, als wäre das nicht das erste Mal, dass er mit der Polizei zu tun hatte. Trotzdem nickte ich, ich war viel zu verängstigt um noch irgendeine Gegenwehr zu leisten.
Ich setzte mich auf die Bettkante, meine Finger zitterten, ich wusste nicht, was jetzt passieren würde.

Meine Ohren vernahmen das Öffnen der Türe.
"Nehmen Sie die Hände hoch!", eine aggressive Stimme kam näher.
Marten schien eine Diskussion mit den Beamten anzufangen, da er die Schlafzimmertür geschlossen hatte, konnte ich aber nicht vernehmen, um was es ging.
Als es still wurde, tappte ich zur Tür, öffnete diese einen Spalt und sah in den Flur unserer Wohnung.
Zwei Polizisten hatten Marten auf dem Boden fixiert, er wehrte sich nicht. Einer der beiden befestigte Handschellen an seinen Gelenken.
"Befindet sich sonst noch jemand in der Wohnung?", die Polizisten nahmen ihre Knie von Martens Rücken und zogen ihn unsanft nach oben.
Er schüttelte den Kopf, hatte seine Zähne fest aufeinandergepresst, ich wusste, dass das eine unglaubliche Schikane für ihn sein musste.
Ich rechnete es ihm hoch an, dass er selbst in dieser Situation versuchte, mich zu schützen.

Einer der Polizisten, die in unserem Flur standen, sah noch sporadisch nach, ob Marten wirklich die Wahrheit sprach, das Schlafzimmer ließen sie, mehr oder weniger zu meinem Glück, aus.
Dann führten sie Marten ab. Mir wurde übel, was machten sie mit ihm? Wo würden sie ihn hinbringen? Warum nahmen sie ihn überhaupt mit?
Ich griff nach meinem kleinen Handy, welches Marten mir gekauft hatte. In Windeseile tippte ich die Nummer seines Cousins ein.
Es dauerte keine fünf Sekunden, bis er abnahm.

"Emma, was los?", John klang nicht, als hätte ich ihn geweckt. Vielleicht war er mit Marten unterwegs gewesen.
"Johnny. Die haben ihn mitgenommen.", meine Stimme klang verzweifelt, erst jetzt merkte ich, dass mir Tränen die Wangen hinabrannen.
Mein Gesprächspartner verstand nicht sofort: "Hä, wer?"
Ich raufte mir die Haare, ich war außer mir.
"Die Polizei, John. Die haben ihn in Handschellen abgeführt."
Eine Stille entstand, ich hörte nur Johns und mein Atmen.
"Fuck.", war das Einzige, was er dann entgegnete, "Ich komme."

Er hatte aufgelegt, in mir zog sich alles zusammen. Ich wusste, dass dieser Tag hatte kommen müssen.

Love Me Again | MartenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt