Zersplittert - MMFF

EINS - RegenClan

Die Welt um Lehmpfote herum schlummerte gehüllt in Dunkelheit. Kühle Windböen wirbelten durch seinen Pelz und trugen den Geruch nach Salzwasser und Algen von der wenige Katzensprünge entfernten Klippe mit sich. Die anderen - das waren sein älterer Bruder und Mentor Möwenschrei, sowie die Heiler des FelsenClans - waren schon hinter einem Felsbrocken direkt am Abhang verschwunden. Dahinter begann der schmale Pfad, der an der Felswand entlang hinab zum Meer führte. 

Seit ihrem Treffen an der Grenze hatte sich der junge Heilerschüler des RegenClans hinter ihnen zurückfallen lassen, bis Möwenschreis unbeschwertes Geplauder, Schwalbenfeders gelegentliche Zwischenbemerkungen und Kaltpfotes hier und da getätigten Einwände in den Geräuschen der Nacht untergegangen waren. Er lauschte lieber dem Rauschen der Wellen weit unter ihm, dem gelegentlichen Rascheln von Beute im Gras und dem Heulen des Windes, betrachtete die Silhouette der Steilfelsen, die sich von dem Meer und dem Leuchten des Halbmondes am Himmel abhob. Für einen Moment vergaß er die Erwartungen seiner Clangefährten, sowie all die anderen Herausforderungen, die in seinem neuen Alltag als Heilerschüler auf ihn warteten.

»Lehmpfote!« Das war Kaltpfotes Miauen gewesen. »Alles in Ordnung bei dir? Du bist so langsam.«

»Ich bin sofort bei euch«, beeilte sich Lehmpfote zu antworten und sprang das letzte Stück zur Klippe hinüber.

Er bog um den Felsbrocken, darauf vorbereitet, möglichst schnell zu den anderen aufzuschließen. Langer, hellgrauer Pelz versperrte ihm die Sicht und er stolperte. Eine seiner Pfoten trat ins Leere. Er schwankte, Kieselsteine bohrten sich in seine Ballen, als er versuchte, Halt zu finden. Er erhaschte einen Blick über den Rand der Klippe, sah die dunkle Felswand herab. Weit, weit unter ihm die Wellen, die gegen das Gestein donnerten. Kalte Angst durchzuckte ihn, lähmte seine Gedanken. Er würde fallen! In die Tiefe hinab stürzen.

Zähne bohrten sich in sein Nackenfell und er wurde zurückgerissen. »Nicht so stürmisch, kleiner Bruder«, hörte Lehmpfote Möwenschreis Schnurren. »Wir laufen dir schon nicht weg.«

Wider Erwarten waren die anderen Heiler am oberen Rand der Klippe direkt hinter dem Felsen stehen geblieben und starrten auf die Wellen weit unter ihren Pfoten, statt zur Meereshöhle hinab zu klettern. Fast wäre es zu spät gewesen, Möwenschrei hatte ihn im letzten Moment gerettet, nachdem Lehmpfote in ihn hinein gerannt war. Das Herz des jungen Schülers raste noch immer wegen des Schreckens, als er sich neben seinen Mentor stellte und ihm ein leises »Danke!« zuflüsterte.

Bevor Möwenschrei antworten konnte, meldete sich Schwalbenfeder zu Wort: »Sieht ganz so aus, als könnten wir uns heute nicht mit dem SternenClan die Zunge geben.«

Lehmpfote betrachtete den Heiler des FelsenClans nachdenklich. Er traf den hageren, Kater mit dem in allen möglichen Brauntönen gefleckten Fell heute zwar schon zum dritten mal, doch viel hatte er noch nicht mit Kaltpfotes Mentor geredet. Seine hochgewachsene Erscheinung hatte Lehmpfote immer ein wenig eingeschüchtert, obwohl der FelsenClan-Heiler stets eine geduckte Haltung einzunehmen schien. Kaltpfote hingegen hatte er schon etwas besser kennengelernt. Die schiefergraue Kätzin, die aufgrund einer alten Verletzung meist auf nur drei Beinen lief, schien ganz nett zu sein.

Lehmpfote senkte betreten den Kopf. Möwenschreis Miauen war zwar freundlich gewesen, doch hätte er nicht ahnen müssen, dass die anderen hier auf ihn warteten, statt so schnell um den Gesteinsbrocken an der Klippe zu biegen, dass es beinahe ein schreckliches Unglück gegeben hätte? Erst jetzt fiel ihm auf, wie hoch das Wasser stand. Immer wieder verschluckten die Wellen den Felsen unweit des Ufers, der normalerweise sogar bei Flut mehr als eine Fuchslänge aus dem Meer aufragte. Und auch der Pfad zur Meereshöhle wurde beinahe überspült.

»Das heißt, unsere Wege trennen sich hier schon wieder?«, wollte Kaltpfote wissen.

»Ja. Wir sehen uns dann spätestens nächsten Halbmond wieder.« Schwalbenfeder schnurrte. »Und ihr wisst ja: Egal wie oft ein Heilertreffen wegen der Flut ausfallen muss, solange wir nur die Hoffnung nicht verlieren, überstehen die Clans alles.«