Kapitel 28: Die Bestimmung

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Ich merke, wie mein Puls immer schneller wird und mein Herz fast aus meiner Brust springt. Ich fixiere die Truhe auf dem Tisch vor mir und zittere in Erwartung dessen, was wohl gleich daraus hervorkommen wird. Schrecken Sie nicht zurück hallen mir die Worte des Präsidenten in meinem Kopf nach und ich frage mich, was er damit wohl gemeint hat.

Ich versuche, mir meine Angst und die Aufregung nicht anmerken zu lassen und stehe so ruhig wie möglich auf dem Stern. Meine Wahrnehmung ist geschärft, seit ich ihn betreten habe und ich fühle mich so, als wären meine Sinne meinem Körper entrückt. Ich spüre, höre, sehe so viel mehr als gewöhnlich, aber ich habe keine Zeit, mich darüber zu wundern. Mein Herz wummert so laut, wie ich es noch nie gehört habe und mein Blut rauscht in meinen Ohren, es übertönt jedoch nicht den Atem, der im Raum Anwesenden. Ich höre es so deutlich, als wären Sie an meinem Ohr und ich kann spüren, wie ihre Blicke auf mir liegen. Jetzt reiß dich verdammt nochmal zusammen! So schlimm wird es schon nicht sein! „Bitte sammeln Sie sich ganz in ihrer Mitte, Fräulein Lilith. Es ist ganz normal, dass ihre Wahrnehmung erweitert ist, haben Sie keine Angst. Ihre Aura wird geöffnet, damit die Magick des Universums sie prüfen und bestimmen kann. Versuchen Sie, an nichts zu denken, gehen Sie in sich. Konzentrieren Sie sich auf ihren Atem, lassen Sie ihn langsam fließen. Und noch einmal, lassen Sie sich von nichts beirren. Sind Sie soweit?“ Was soll ich darauf antworten? Nein verdammt, natürlich nicht! Wie kann man bereit für etwas sein, von dem man nicht einmal weiß, was es ist? „Da... da... das bin ich. Ja.“

Ich lasse die Eindrücke einfach in mich fließen, lasse mich nicht ablenken von all den Wahrnehmungen. Präsident Opal steht vor der Truhe, hebt seinen Arm, um das gewaltige Schloss zu öffnen. Ich höre, wie jemand vor der großen Tür den Atem anhält. Das ist May! Ich war noch nie so froh, ihre Anwesenheit zu spüren. Als würde sie mir all ihre Gelassenheit schicken, werde ich ganz ruhig und merke, wie sich mein Puls wieder verlangsamt. Mein Herz ist nicht mehr ganz so laut und auch das Rauschen in meinen Ohren lässt nach. Ich spüre den Atem leicht durch meine Nase in meine Lunge fließen und halte meinen Blick auf die Truhe gerichtete, dessen Deckel sich nun langsam öffnet. Ich sehe nicht, was darin liegt, nehme nur die schnellen Schritte des Präsidenten wahr, der sich eilig von der Truhe entfernt. Eigentlich müsste mir das Sorgen bereiten, doch durch May's Gelassenheit gestärkt, bleibe ich ganz bei mir selbst und meinem Atem.

Jetzt ganz alleine, stehe ich in der fast quadratischen Raumhälfte. Ich schaue auf den Bode, sehe Linien, die von meinem Stern aus in jede Ecke verlaufen. Nur kurz vor dem Konferenztisch machen sie halt, als seien sie nicht für die andere Hälfte des Raumes bestimmt. Ich fühle mich ausgeliefert, wie eine Zielscheibe, immer noch wartend auf das große Ereignis. Ich weiß, dass es gleich beginnen muss, denn die Spannung unter den Anwesenden ist kaum auszuhalten. Ich spüre ihre Atmung, ihren Puls ihre erwartende Haltung. Aber ich versuche, mich nicht davon beirren zu lassen. Ich konzentriere mich nur auf mich.

Und auf die Truhe, aus der jetzt Kugeln empor steigen. Sie schweben, in unterschiedlichen Größen und Farben heraus und verteilen sich im Raum über mir. Die Decke ist so wie so schon höher als üblich, doch jetzt scheint sie sich zu weiten, den Kugeln mehr Platz zu geben, sodass sie vor einem dunkelblauen Firmament zu schweben scheinen. Die größte der Kugeln, sie ist gelb, positioniert sich genau in der Mitte des Raumes, die restlichen beginnen sich um sie herum zu verteilen.

So langsam dämmert mir, dass diese Kugeln unser Sonnensystem darstellen sollen. Peinlich berührt fällt mir auf, dass ich meinen Mund vor staunen weit geöffnet habe und schließe ihn ruckartig. Ich habe selten etwas so wunderschönes und anmutiges gesehen, wie das Schauspiel, dass sich mir vor meinen Augen bietet. Die einzelnen, kleineren Kugeln bewegen sich in ihren elliptischen Bahnen um die Sonne herum und ich erkenne außer den Planeten viele Kometen und kleinere Himmelskörper, die ich so noch nie gesehen habe. Ich fühle mich wie in einem Planetarium, nur dass es viel herrlicher anzusehen ist. Die Magick ist greifbar. Dieser Moment ist so magisch, dass ich kaum wage zu Atmen. Ich frage mich, ob ich jemals etwas so wundervolles und atemberaubendes gesehen habe. So spontan fällt mir da absolut nichts ein.

Lilith - NachtdämonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt