Natürlich lässt May es sich nicht nehmen, mich auf dem Heimweg auszufragen. Und ich lasse es mir nicht nehmen ihr alles zu erzählen. Vor allem der Part mit Cerridwyn macht May stutzig. „Du sollst also das Volk der Vafayren vor dem Untergang, oder besser vor Lügen und Gier retten? Kannst du dir denn überhaupt sicher sein, dass das Cerridwyn war, die mit dir geredet hat?“ Diese Frage stelle ich mir bereits seit Stunden „Immerhin heißt es in der Geschichte, dass Cerridwyn sich noch nie zu erkennen gegeben hat. Und wir haben ja auch herausgefunden, dass Niwena die Göttin ist, durch die Cerridwyn Kontakt zu ihrem Volk aufnimmt. Wahrscheinlich hast du eher sie gehört. Immerhin hattest du ja schon an deinem ersten Tag hier Kontakt zu ihr. Und auch, wenn du ein schlechtes Gefühl dabei hattest, kann es ja sein, dass es auch dieses mal Niwena war und dein Gefühl sich einfach geändert hat. Ich meine, warum sollte die Sprecherin der Obergöttin dir böses wollen?“
Sie kann es nicht verstehen, natürlich nicht, sie hat ja auch nicht gespürt, was ich gespürt habe. „Ich bin mir beide Male sicher, was ich gefühlt habe. Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll... Das ist wie, wenn man träumt und dann genau weiß, dass es Abend ist, oder man in der Schule ist, oder dass man nur ein Bein hat, oder so. Es ist eben eine Gewissheit. Beim ersten Mal, am Baum, da war das Gefühl durchweg schlecht, obwohl ich bemerkt habe, dass Niwena wollte, dass es gut für mich ist. Aber alles in allem, war es negativ. Aber jetzt ist es ganz anders! Ich glaube der Stimme, dass sie Cerridwyn war. Mein Gefühl war so gut und einfach herrlich! Und zudem spüre ich diese Kraft in mir. Als könnte ich Bäume ausreißen! Das ist der helle Wahnsinn!“
Ich sehe rüber zu May, die plötzlich sehr ruhig wirkt. „Na, vielleicht kannst du das ja sogar.“ Bedrückt schaut sie zu Boden und öffnet wortlos die Tür ihrer Wohnung. Ich vermisse ihr 'Willkommen im Haus der Träume' oder 'Kommste rein, kannste raus gucken' oder all die anderen Sprüche, die sie jedes Mal los lässt, wenn wir nach Hause kommen.
Eigentlich wollte ich ihr gerade von Alex' Gedanken erzählen und dass Niwena auch da eine große Rolle zu haben scheint. Aber ich merke, dass sie irgendetwas hat und ich kann sie einfach nicht traurig sehen. „Was ist los mit dir, May? Hab' ich was falsch gemacht?“ Sie ist nicht die Person, die einem auf den Kopf zu sagt, wenn man sie verletzt hat. Sie frisst es in sich rein, bis sie explodiert. Und das ist wirklich unschön. Das will ich wirklich verhindern.
Ich halte sie am Arm zurück, als sie im Badezimmer verschwinden will und schaue sie eindringlich an. Ihre Augen sind so groß und schokoladenbraun, dass es mich immer wieder überrascht, dass sie damit nicht überall durchkommt. „Ist schon okay, Lili, ich komm damit klar.“ „Womit kommt du klar?“ Ich verstehe nicht, worauf sie anspielt. Darauf, dass sie mich vermissen wird, wenn ich im Studentenwohnheim wohne? Etwas anderes fällt mir partout nicht ein, egal wie sehr ich nachdenke. Ich sitze auf unserem, auf May's Bett und warte, dass sie wieder aus dem Bad herauskommt. Aber das tut sie nicht. Es vergehen 5 Minuten, in denen ich nur den Wasserhahn höre und mich frage, was May da drinnen macht.
Doch mein Geduldsfaden reißt schneller als geplant und ich hämmere ungeduldig gegen die Badezimmertür. „May, bitte komm da raus und sag mir, was mit dir los ist! Wenn du traurig darüber bist, dass wir nicht mehr zusammenwohnen, dann verstehe ich das! Aber wir sollten die restliche gemeinsame Zeit hier draußen doch nutzen! Lass uns in ein Café gehen, oder so!“ Ich lege mein Ohr an das Holz und lausche nach einem Lebenszeichen von May.
Mit einem unerwarteten Schwung wird die Tür aufgezogen und ich falle beinahe in May hinein, als sie aus dem Bad heraustreten will. Ihr Gesicht ist verquollen und es scheint, als habe sie die letzten Minuten geweint. Erschrocken starre ich sie an. Ich wusste nicht, dass es sie so traurig machen würde, wenn sie ihr Zimmer wieder für sich hat. Doch es ist nicht nur Trauer, die sich in ihren glasigen Augen widerspiegelt. Da ist noch etwas anderes. Sie scheint wütend zu sein. Wütend auf mich.
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Lilith - Nachtdämon
ParanormalDieser eine Moment, der sie zu etwas macht, dass sie nicht sein will, aber sein muss. Sein muss, um die zu retten, die sie liebt - und die sie noch lieben könnte. Lilith Kincaid besteht ihr Abitur, zieht in eine andere Stadt um zu studieren. Sie ler...