Kapitel 43: In mir

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Gewidmet meiner lieben Mami, weil wir trotz unserer Differenzen immer wieder eine schöne Zeit miteinander haben ❤ Ich liebe dich, Mama :)

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Auf dem Weg zur Küche wird mir bewusst, dass ich mal wieder wertvolle Zeit meines Lebens verloren habe. All die Studenten um mich herum, die lachen, sich mit ihren Freunden unterhalten und auf dem Weg zu Bibliothek, der Mensa oder ins Studentenwohnheim sind, haben diese Zeit nicht verloren.

Sie lagen keine Woche im Koma, haben nicht 3 Tage geschlafen. Sie sind unbeschwert und frei und machen sich sicherlich keine Gedanken über die Zeit, die ihnen noch bleibt. Ich hingegen, mache mir diese Gedanken schon. Besonders nachdem ich schmerzlich darauf hingewiesen wurde, dass ich eine besondere Rolle zu spielen scheine, die ein jähes Ende haben kann. Und das in einem Stück, das mir nicht bekannt ist.

Aber bin ich für 'Impro-Theater' überhaupt geeignet? Wie will ich damit umgehen, der 'Nachtdämon' zu sein? Werde ich für den Rest meines Lebens, oder zumindest die nächsten Tage, Angst vor jedem Schritt haben?

Ich weiß, dass mir hier, auf dem Uni-Campus, nichts passieren wird, oder zumindest hoffe ich das. Ich weiß auch, dass Mayra, die neben mir läuft und auf der einen Seite mich und auf der anderen Seite Jamia eingehakt hat, immer für mich da sein wird und alles in ihrer Macht stehende tun wird, damit mir nichts geschieht. Auch Tom, den ich jetzt in einem anderen, schwummerigen Licht sehe, wird immer hinter mir stehen.

Bei dem Gedanken an ihn, kribbelt es leicht in meiner Magengegend, aber ich versuche, das Gefühl sofort zu unterdrücken. Die Art, wie er Alex in der Nacht angegriffen hat, als er dachte, er hätte mir etwas getan, hat mich fast weich werden lassen, hat mich verzeihen lassen, dass er mich so wild geküsst hat.

Aber gibt es da überhaupt etwas zu verzeihen? Er hat meine Signale falsch gedeutet und seiner Leidenschaft nachgegeben. So gesehen, ist das nichts verwerfliches, denn gegen seine Gefühle kann man bekannter weise ja nichts tun. Ich glaube ihm wirklich, dass er etwas für mich empfindet und in gewisser Weise erwidere ich diese Gefühle.

Er hat mir so gefehlt, dieses eine Jahr, indem ich nicht wusste, wo er steckte, ob ich ihn jemals wieder sehen würde. Und als ich ihn dann endlich wieder hatte, da waren meine Gefühle nicht die, einer guten Freundin... Ich wusste immer, dass zwischen uns etwas ist. Und jetzt, da er im Begriff ist, es laut auszusprechen, zu fordern, was ich mich nie getraut hätte, fühlt es sich so verwirrt, aber trotzdem irgendwie... heiß an!

Das einzige, was mich davon abhält, mich diesen Gefühlen hinzugeben ist mein Kopf. Die Vernunft, die mir immer wieder laut zuruft: Er hat eine Freundin, er würde sie mit dir betrügen! Will ich wirklich mit jemandem zusammen sein, der einen Betrug in Betracht zieht? Natürlich weiß ich kaum etwas über ihre Beziehung und vielleicht ist es mit mir dann alles anders, aber redet sich das nicht jede Frau ein? Dass der Traummann nur die andere betrügen würde, niemals einen selbst.

Die Vernunft jedoch sagt: Einmal Betrüger, immer Betrüger! Und irgendwie muss ich ihr Recht geben. Aber es ist Tom, über den ich hier nachdenke. Der tollste, liebevollste, Kerl, dem ich je so nahe gestanden habe. Ist es nicht genau das, was ich brauche? Einen Kerl, der hinter mir steht, mich immer auffängt, wenn ich falle? Oder bin ich doch eher der Typ Mädchen, der das Abenteuer braucht? Klar, bin ich immer für Action zu haben, aber die Wahrscheinlichkeit ist höher, sich an einem wild lodernden Feuer zu verbrennen.

Und in letzter Zeit habe ich echt genug Verbrennungen erlitten. Mir fehlt die Ruhe, die Tage, an denen man nicht weiß, was man tun soll und vor lauter Langeweile shoppen geht. Ich brauche Urlaub! An das letzte Mal im Urlaub, habe ich nicht die besten Erinnerungen.

Lilith - NachtdämonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt