Nachdem die Kugeln zurück in die Truhe verschwunden sind und die unsichtbare Barriere zwischen dem Rat und mir verschwunden ist, schaue ich unsicher zum Tisch herüber. Eindeutig zu viele Augenpaare starren mich an. Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll, also stehe ich weiterhin ratlos auf der Stelle. Die schwere Kugel löst ein wummern in meiner Hand aus und ich bin mir ihrer Gegenwart mehr als bewusst.
Schon jetzt, ohne dass ich mich entschieden habe die Kraft des Mondes anzunehmen, fühle ich mich bestärkt und bin erstaunt über den Energiestrom, der mich von der Kugel aus durchfließt. Aber ich bin mir auch bewusst, dass ich mir der Macht des Mondes nicht all zu sicher sein kann, denn bestimmt gibt es jemanden, der ein Machtwort dagegen einlegen wird. Ich tippe auf Präsident Opal, aber auch Alex rückt in die nähere Auswahl.
Aber nicht nur die Beiden haben ein Wörtchen mitzureden. Ich muss mir die Worte von Cherridwyn definitiv noch einmal genau durch den Kopf gehen lassen. Will ich die 'Rettung unseres Volkes' wirklich auf meine To-Do-Liste schreiben? Doch jetzt ist nicht der Zeitpunkt, mir den Kopf darüber zu zerbrechen.
Erwartungsvoll schaue ich meinem Publikum entgegen, das deutlich sprachlos wirkt. So vergehen einige Sekunden, bis Präsident Opal das Wort ergreift. „Fräulein Lilith, zunächst möchte ich mich für den Wutausbruch des Ratsmitgliedes entschuldigen. Das war höchst unprofessionell und keines Wegs angebracht. Zumal seine Wut letztendlich unbegründet ist. Nicht die Erde ist es, die sie erwählt hat, sondern der Mond. Der Mond, der als einziger der bedeutsamen Himmelskörper noch nie einen Vafayren erwählt hat. Der Rat und ich müssen diese höchst unerwarteten Vorkommnisse besprechen. Wir bitten Sie, draußen auf unser Urteil zu warten.“ Eine sehr vornehme Art, mir zu sagen, dass ich unerwünscht bin...
„Worüber müssen Sie denn urteilen? Ist die Sache nicht deutlich?“ Da kommt mir in den Sinn, dass der Rat die Worte der Göttin nicht hören konnte und ich die Einzige mit Informationen über die Volk-Rettungs-Sache bin. „Bitte warten Sie vor der Tür, Fräulein Lilith, wir holen Sie gleich wieder zu uns rein. Und vergessen Sie nicht den Eid, den Sie geleistet haben.“ Von dem das Gespräch mit Cherridwyn wohl kaum betroffen sein kann. Ich muss die Message der Göttin dringend mit May besprechen und bin fast froh darüber, dass der Präsident mich vor die Tür setzt.
Mit dem noch immer vor Energie wummernden Mond in der Hand verlasse ich erleichtert den großen Saal und renne May fast über den Haufen, die noch immer auf mich wartet.
„Hey Lili! Erzähl! Also natürlich weiß ich, dass du nichts erzählen darfst, aber ich habe das meiste ja gehört. Du musst also nur nicken.“ Ich erkenne den Eifer in ihren Augen und kann nachvollziehen, dass sie heiß auf jede neue Info ist, die ich ihr bieten kann. Doch der Vorraum ist wohl nicht der geeignete Ort dafür. Auch wenn ich davon ausgehe, dass die dicken Steinmauern und die Türen nicht gerade einer Pappwand gleichen, May hat mir bewiesen, dass man immer etwas hören kann, wenn man denn nur will.
„Wir sollten dieses 'Gespräch'“ Ich forme die typischen Gänsefüßchen, „lieber zu Hause führen, denkst du nicht? Ich muss hier aber noch kurz auf ein Urteil warten. Worüber sie auch immer urteilen.“ Beleidigt verschränkt May die Arme und schaut mich böse an. „Es gibt eine Sache, Lili, die du mir jetzt und auf der Stelle und absolut sofort sagen musst! Sonst platze ich auf dem Weg nach Hause. Und ich denke nicht, dass du mich tot sehen willst. Oder etwa doch?!“ Herausfordernd zieht sie ihre berühmte Schnute und schaut mich überlegen an.
Ich kenne ihre Starrköpfigkeit und ich weiß, dass sie mich so lange nerven wird, bis ich ihr diese eine Frage gewähre. „Okay, was ist denn so dringend, dass du nicht bis zu Hause darauf warten kannst?“ „Das fragst du noch???“ Tatsächlich ist in diesem Raum so viel abstruses und unglaublich spannendes passiert, dass mir nicht in den Sinn kommt, was Mayra wohl am meisten interessieren könnte. „Na, was ist denn nun raus gekommen? Bei dem 'Verfahren'? Was bist du?“ Hätte ich mir doch denken können, dass es gerade das ist. „Darüber darf ich doch nichts sagen, May... Aber ich denke, ich kann es dir zeigen. Und wenn nicht... Die Strafe wird schon nicht so schlimm sein oder? Es merkt bestimmt nicht mal jemand.“
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Lilith - Nachtdämon
ParanormalDieser eine Moment, der sie zu etwas macht, dass sie nicht sein will, aber sein muss. Sein muss, um die zu retten, die sie liebt - und die sie noch lieben könnte. Lilith Kincaid besteht ihr Abitur, zieht in eine andere Stadt um zu studieren. Sie ler...