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Zu Beginn der Autofahrt erzählt Harry mir ein bisschen was von seiner Familie. Auch verrät er mir, dass wir in Holmes Chapel seine Mutter besuchen und auch seine Schwester da sein wird, da sie das Wochenende dort verbringt. Zugegeben, beim Gedanken daran, in wenigen Stunden zwei der wichtigsten Menschen in Harrys Leben kennenzulernen, wird mir ein wenig mulmig. Was, wenn sie mich total komisch finden? Was, wenn ich mich nicht mit ihnen verstehe? 'Dann wäre das halt so. Blöd, aber überleg mal, morgen kommt doch auch schon Mary, also stress dich nicht so', ermahne ich mich dann.

-"Und bei dir so? Erzähl doch auch mal ein bisschen was von deiner Familie!", fordert Harry mich schließlich auf.

"Uff... so viel gibt es da gar nicht zu erzählen. Ich bin Einzelkind, habe meine Kindheit in einem kleinen Dorf verbracht, was echt schön war, aber als ich auf die weiterführende Schule gekommen bin, sind wir in eine Kleinstadt umgezogen..." Und so erzähle ich ein bisschen von meiner Familie und meiner Kindheit.

Nach anderthalb Stunden erstirbt unser Gespräch langsam und Harry dreht das Radio lauter. Ironischerweise kündigt der Moderator gerade das nächste Lied an: Watermelon Sugar.

-"Stört's dich, wenn ich mitsinge?", fragt Harry mich, während der Sender noch einen Werbespot spielt.

"Was? Nein, natürlich nicht. Ich würde ja auch mitsingen, aber das klingt dann echt schief", antworte ich und grinse ihn an.

-"Ach Quatsch, sing ruhig mit. Machen wir unsere eigene Carpool Karaoke", meint der Sänger ebenfalls grinsend und ich gebe ein begeistertes "Oh ja!" von mir, während die ersten Noten von Watermelon Sugar aus den Lautsprechern kommen.

Zum wiederholten Mal stelle ich fest, was für ein unglaublich talentierter Sänger Harry ist. Ich summe leicht befangen mit. Nachdem Watermelon Sugar zu Ende ist lacht Harry leise.

-"Ich hab dich ja kaum gehört!", neckt er mich und wirft mir einen amüsierten Seitenblick zu, bevor er seinen Blick wieder auf die Straße richtet.

"Jaah, das klang so gut bei dir, da wollte ich nicht... stören?", versuche ich, mich zu rechtfertigen, muss dann aber selber lachen.

-"He, danke, aber ein bisschen mehr Selbstbewusstsein hier bitte!", erwidert Harry, "mach doch einfach mal deine Musik an, dann haben wir auch keine ständigen Werbeunterbrechungen darin", schlägt er anschließend vor. "Okay." Damit stelle ich auf Bluetooth um und verbinde mein Handy mit Harrys Auto.

"Irgendwelche Wünsche?", frage ich.

-"Mach doch einfach Zufallswiedergabe", schlägt Harry vor.

"Okay", stimme ich zu und muss lachen, während ich auf die beiden verschlungenen Pfeile tippe.

-"Was ist?"

"Mein Musikgeschmack ist... na ja, durchmixt. Du musst Bescheid sagen, wenn ich was überspringen soll."

-"Okay, kein Thema. Ich melde mich sonst schon."

Und damit dreht er die Lautstärke hoch.

"Tired of being what you want me to be"

Linkin Parks Numb schallt aus den Lautsprechern. Ich kann ein Grinsen nicht unterdrücken, während ich leise anfange, mitzusingen. Als der Refrain kommt setzt auch Harry mit ein - immerhin ist der ja auch ziemlich bekannt. Ermutigt von Harrys Enthusiasmus traue ich mich schließlich auch nach und nach, immer lauter mitzusingen. Nach Numb kommt Guns for Hands von Twenty One Pilots, anschließend das Cover von Wicked Game von HIM. Harry und ich singen bei beiden Liedern so gut wir können mit und ich spüre, wie ich immer entspannter werde. Nachdem der letzte Ton von Wicked Game verklungen ist, setzt bereits das nächste Lied ein: Zusammen von den Fantastischen Vier. Harry runzelt die Stirn und ich muss lachen. Natürlich kennt er es nicht, immerhin ist es ein deutsches Lied. Umso mehr Spaß macht es mir, mitzusingen und zu rappen, auf einer Sprache, die Harry nicht versteht.

Als das Lied langsam verklingt, wirft er mir einen Seitenblick zu.

-"Das war unfair, da hatte ich ja gar keine Chance, miteinzusteigen!", beschwert er sich und schmollt gespielt beleidigt. Ich muss lachen.

"Ohh, wie schade. Dafür müsstest du das Lied jetzt aber kennen", erwidere ich, als der Songtitel auf dem Display sich von Zusammen zu Best Song Ever ändert. Mit gerunzelter Stirn wirft Harry ebenfalls einen Blick auf das Display und gibt ein amüsiertes Geräusch von sich.

-"Mal schauen, ob ich mich noch an den Text erinnere", scherzt er dann, nur um kurz darauf kraftvoll einzusetzen:

Maybe it's the way she walks

Ich gebe mein bestes, ein halbwegs passables "Ouh" dazwischenzuwerfen. Harry geht nicht direkt darauf ein, doch das Grinsen in seiner Stimme, als er die nächste Zeile singt, verrät mir, dass er es gehört hat. Und so geht das dann noch eine ganze Weile, die Zufallswiedergabe sorgt dafür, dass sich Rock mit Pop abwechselt, langsam mit schnell und mitsingbar mit weniger mitsingbar. Als auf einmal die ersten Takte von Louis Tomlinsons Miss You aus den Lautsprechern schallen, zucke ich zusammen. Ich überlege, das Lied zu überspringen, aber dann realisiere ich, wie blödsinnig das wäre, da Harry zum einen den Anfang jetzt ja eh schon gehört hatte und zum anderen meinte er ja auch, dass sie sich noch verstehen würden, also kein Grund zur Aufregung. Und tatsächlich, über Harrys Gesicht huscht ein leichtes Lächeln, als er den Song erkennt und kurz darauf singen wir beide wieder begeistert mit.

Alles in allem haben wir also wirklich großen Spaß auf der Autofahrt und ich bin fast ein bisschen traurig, als wir die Abfahrt nach Holmes Chapel nehmen.
Kurz darauf dreht Harry die Lautstärke ein wenig runter.

-"Mom und Gemma sind echt herzensgute Menschen, ihr werdet euch bestimmt gut verstehen", meint er, während wir bereits an einigen Häusern vorbeifahren.

"Jaah, das glaube ich dir. Wird bestimmt schön", stimme ich ihm zu, während meine Anspannung trotzdem steigt. Neue Menschen kennenlernen war noch nie so ganz meins gewesen und immerhin sind das zwei der wichtigsten Menschen in Harrys Leben. Was, wenn ich meinen ersten Eindruck total verkacke?

Meine Gedanken werden jäh unterbrochen, als Harry parkt und den Motor abstellt. Er dreht sich nochmal zu mir und schaut mich an. Unsicher lächle ich.

-"Hey, du brauchst dir wirklich keine Gedanken zu machen. Sei einfach du selbst", sagt er daraufhin, als hätte er meine Anspannung bemerkt und meine Gedanken erraten. Ich nicke.

Und damit steigen wir aus. Als wir gerade klingeln wollen, öffnet sich die Haustür bereits und eine Frau mit glatten braunen Haaren stürzt sich in Harrys Arme. Er erwidert lachend die stürmische Umarmung seiner Schwester und auch seine Mutter taucht kurz darauf in der Tür auf. Unsicher trete ich einen Schritt zurück, schließlich will ich die Familie nicht stören, doch sie bemerkt es und lächelt mich herzlich ein.

-"Hey, du musst Luna sein. Ich bin Anne, Harrys Mutter und das hier ist, wie du dir sicher schon denken konntest, Gemma, meine Tochter. Schön, dich kennenzulernen!"

Eine unerwartete BegegnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt