2. Die ersten Tage

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In den nächsten Tagen bekamen wir unseren Stundenplan und mir fiel auf, dass sogar relativ viele Schüler das letzte Schuljahr wiederholten. Für mich war es eine Selbstverständlichkeit gewesen, Harry und Ron hatten allerdings als Kriegshelden auch ohne Abschluss eine gute Stelle vom Ministerium bekommen. Mir wurde ebenfalls ein Job angeboten, aber mir ging es um's Prinzip. Ein richtiger Schulabschluss war mir wichtig. Aus diesem Grund hatte ich mich auch dieses Jahr wieder in Hogwarts eingefunden.

Seufzend ließ ich mich auf meinen Platz in der Halle neben Ginny fallen und winkte kurz Luna zu, die bei ihren Freunden aus Ravenclaw saß und bereits frühstückte. Strahlend winkte sie mir zurück, dann ließ sie ihren Blick weiter über den Gryffindortisch schweifen, bis sie stockte und ich einen leichten Rosaschimmer auf ihren Wangen zu erkennen meinte. Ich folgte ihrem Blick und lachte kurz wissend auf, als ich die Person fand, auf die so fokussiert war. Schnell stupste ich Ginny an und deutete auf Neville und Luna. Diese kicherte ebenfalls, ihre Augen begannen diebisch zu funkeln und sie rieb sich ihre Hände. "Keine Angst, Luna!", grinste sie, "Ich werde dafür sorgen, dass du deinen Neville bis spätestens Ostern bekommst!" Sofort bekam ich ein ungutes Gefühl, zog eine Augenbraue hoch und erwiderte gedehnt: "Ginnyyy... bei Merlins rechter Ringelsocke! Was hast du schon wieder vor?"
"Iiich? Ich hab gar nichts vor!", meinte sie nur und blinzelte mich unschuldig an. Dann wandte sie sich wieder vergnügt ihrem Müsli zu und ich verdrehte lachend meine Augen.

Nach dem Unterricht stürzte ich mich motiviert in unseren bereits riesigen Hausaufgabenberg. Als ich damit fertig wurde, blickte ich kurz meiner Zimmernachbarin über die Schulter. Ginny schrieb gerade eifrig im Gemeinschaftssaal einen ewig langen Brief an Harry und malte verliebt kleine Herzchen an den Rand. Dabei strich sie sich seufzend eine rote Strähne aus dem Gesicht. Lächelnd betrachtete ich sie. Sie war so glücklich verliebt. Harry war ein toller Freund für sie und sie passten wunderbar zusammen.

Die Beziehung von Ron und mir hatte leider nur eine kurze Zeit gehalten. Sofort schlug meine Stimmung um und ich wurde in eine Wolke aus Wut und Trauer gehüllt. Zwischen uns hatte es einfach nicht geklappt und Ron hatte sich blitzschnell eine Hufflepuff angelacht, mit der er jetzt zusammen war. Auch wenn ich eigentlich kein Recht dazu hatte, war ich immer noch ziemlich eifersüchtig. Bei dem Gedanken an Rons letzte Worte zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen.

"Du, Hermine..ich glaube, das zwischen uns funktioniert so nicht. Ich vertrag' diese Beziehung einfach nicht mehr." Und dann hatte er noch kleinlaut hinzugefügt: "Es tut mir wirklich Leid, aber ich glaube, dass es mit Melanie eher funkt - du weißt schon, die wir in 'Drei Besen' getroffen haben! Du solltest sie mal sehen! Sie ist echt nett!" Dann hatten seine Augen einen ganz verklärten Glanz bekommen und bei mir sind alle Sicherungen durchgebrannt. Ron war noch nie wirklich gut darin gewesen, sich geschickt auszudrücken. Ich hatte ihm eine Ohrfeige verpasst und unter Tränen das Haus verlassen.

Ich lachte kurz bitter auf und verzog mich schnell auf das Zimmer, damit niemand meine aufsteigenden Tränen sehen konnte. War ich ihm nicht gut genug gewesen? Ich hatte ihm jeden Wunsch von den Lippen abgelesen. Ich biss mir auf die Zunge und weitere Gedanken kamen auf. Meine Eltern. Sie konnten sich immer noch nicht an mich erinnern. Mein Herz fühlte sich an, als würden Dolche einzelnd hineingerammt werden. Und mit jedem Stich krümmte ich mich mehr zusammen. Ich drückte meine Hand auf meine schmerzende Brust und mir wurde schlecht vor Trauer. Ich war doch Schuld daran. War ich nicht irgendwie Schuld an allem? Jeder einzelne gute Bekannte, der vor, nach oder im Krieg sein Leben gelassen hatte, huschte an meinem inneren Auge vorbei. Fred, Tonks, Lupin, Sirius...Dumbledore, ja sogar Snape kam mir in den Sinn!

Plötzlich fühlte ich mich unglaublich einsam und mir wurde eiskalt. Ich brach auf dem harten Boden zusammen, eine unglaubliche Last und meine depressive Stimmung, die ich in den letzten Wochen kräftezehrend zurückgehalten hatte, brach über mir ein, zusammen mit einer Welle aus Schuldgefühlen und Einsamkeit. Es drückte mich immer weiter zu Boden. Der Raum kam mir plötzlich viel zu groß vor. Der Damm brach, Tränenbäche rannen mir über beide Wangen und wollten nicht versiegen. Ich wurde von Schluchzern durchgeschüttelt und mich überkamen wieder meine Suizidgedanken, die ich die ganzen Sommerferien mit mir herumgetragen hatte.

Wer brauchte mich denn noch? Wofür lohnte es sich noch zu leben?
Meine Liebe hatte mich verlassen, ich hatte keine Familie mehr, die Leute, die ich liebte, waren tot. Sollte ich nicht einfach zu ihnen kommen? Ich war den anderen doch nur eine Last. Harry und Ginny, Ron und Melanie, bald auch Luna und Neville - sie waren doch alle glücklich. Wer brauchte mich denn? Ich war doch gebrochen...nutzlos. Mit mir konnte man keinen Spaß mehr haben. Ich sollte aufgeben glücklich zu wirken. Was brachte es mir denn? Ich sollte allen aus dem Weg gehen, ihnen nicht mit meinem kläglichen Leben zwischen ihrem Glück stehen.

Geschockt über meine Gedanken presste ich mir eine Hand auf den Mund und ein weiterer Schluchzer entwich mir. Schlimme Kopfschmerzen plagten mich und mein Kopf pochte, wie ein Presslufthammer, gegen meine Schädeldecke. Ich fühlte mich ausgelaugt und verlor jegliche Lebenslust. Eine weitere eiskalte Welle der Einsamkeit überkam mich. Die starke und selbstbewusste Hermine gab es nicht mehr. Wenn Harry und Ginny davon wüssten! Verzweifelt rollte ich mich auf dem Boden zusammen und krallte mich panisch an meinem Pullover fest.
Durch meine unerbittliche Müdigkeit war ich wohl nach einer kleinen Ewigkeit in Selbstmitleid eingeschlafen.

Doch auch im Schlaf konnte ich mich nicht erholen. Albträume, die mich schon seit dem Krieg verfolgten, plagten mich grausam. Immer wieder hörte ich Bellatrix' irres Lachen und hatte das Gefühl, dass ich die Schmerzen der Folterung noch einmal erleben musste. Ich schrie, bis ich heiser war. Ich schrie, bis ich aufgeben wollte. Ich bettelte Bellatrix an, es zu beenden. Was hatte mein Leben denn noch für einen Sinn? Ich war nur Gefangene meiner Selbst, der Krieg hatte mich gebrochen.

Bloody mistletoe - DramioneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt