Elf

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Samantha winkte mir schon von Weitem überschwänglich zu. Es war fast ein wenig beängstigend, dass sie mich bereits auf die Entfernung erkannte, wo wir uns doch erst ein einziges Mal gesehen hatten. Als ich mein Fahrrad in der Einfahrt abstellte, kam sie durch ihr Gartentor gelaufen, direkt auf mich zu.

»Hallo«, begrüßte ich sie knapp, in der Hoffnung, dass sie meinen Wink mit dem Zaunpfahl verstand und mich in Frieden ließ.

Kurz vor mir kam sie geheimnisvoll lächelnd zum Stehen. »Einen wunder, wunderschönen Tag, Jules. Wie geht es dir?«

»Gut.« Ich lehnte mein Fahrrad gegen den schwarzen Gartenzaun, dessen spitze Stäbe wie Speere gen Himmel gerichtet waren. Am Tor prangte ein Löwenkopf. Dieses Muster zog sich durch die gesamte Straße entlang der roten Backsteinhäuser.

Obwohl ich wusste, dass meine ausbleibende Nachfrage unhöflich war, verzichtete ich darauf, mich nach ihrem eigenen Befinden zu erkundigen. Zum einen, weil ich nun wirklich nicht zum Smalltalk aufgelegt war, und zum anderen, weil es mich schlicht und ergreifend nicht interessierte.

»So klingst du aber nicht.« Samanthas Stirn war zerknittert wie ein zu oft gefaltetes Papier.

Seufzend schloss ich die Augen, um das Glitzern darin zu verbergen. »Heute war nicht mein bester Tag. Ich würde jetzt gerne einfach nach Hause gehen und mich ein wenig ausruhen, verstehen Sie?« Meine Stimme drohte zu brechen und ich schaffte es nur geradeso, meinen Satz zu beenden. Der Tag hatte an meinen Nerven gezehrt; ich hatte dringend das Bedürfnis, mich ausführlich auszuheulen. Am besten sofort.

Die Frau musterte mich von oben bis unten und nickte dann. »Natürlich, natürlich. Manchmal braucht man einfach mal eine Pause von all den Menschen, was?«

Erleichtert nickte ich. »Genau.«

Und eine Pause vom Leben, fügte ich in Gedanken hinzu. Manchmal malte ich mir tatsächlich aus, wie es wohl wäre, auf einer einsamen Insel zu stranden. Meine Überlebenschancen stünden gegen null und ein wenig einsam würde ich mich nach ein, zwei Wochen vermutlich auch fühlen, aber wenigstens für ein paar Tage wäre ich der ganzen Sache nicht abgeneigt.

»Du weißt ja: wenn du Hilfe brauchst...«, Sie ließ das Ende des Satzes offen und zwinkerte mir vielsagend zu. »In manchen Dingen können einem einfach nur sehr wenige Menschen weiterhelfen.«

Ohne ein Wort des Abschieds drehte sie sich um und schlenderte die Straße entlang, zurück zu ihrem Haus. Kopfschüttelnd sah ich ihr nach. Erst als ich genauer über ihr Angebot nachdachte, kam mir in den Sinn, dass ich Duncans Vorschlag durchaus in die Tat umsetzten könnte. Ich schnaubte leise. Na toll. So wie es aussah, war Samantha bis jetzt meine einzige Möglichkeit, Nachforschungen zu betreiben, um herauszufinden, was es mit meinen Superkräften auf sich hatte.

Kopfschüttelnd wandte ich mich von der Straße ab. Lieber würde ich ein Leben in Unwissenheit verbringen, als freiwillig einen Fuß in das Haus dieser Frau zu setzen. Denn nicht nur ihre unheimliche Art und wie sie stets in Rätseln sprach, machten mir Angst. Was mich am meisten verstörte, waren die Dinge, die sie über mich wusste, ohne mich zu kennen.

***

Den Rest der Woche war das Café geschlossen. Helen schrieb mir, dass die Handwerker damit beschäftigt seien, ein neues Fenster einzubauen, und außerdem der gesamte Lagerraum geleert werden musste, um alle Scherben entfernt zu wissen. Obwohl ich erst drei Tage meiner Arbeit hinter mir hatte, war ich ein wenig froh um die restliche freie Woche. Der soziale Kontakt war anstrengend gewesen, die Erlebnisse jenen Tages, an dem Hemingway Duncan überfallen hatte, noch kräftezehrender – jedenfalls mental.

Trotzdem begann ich nach einiger Zeit, mich einsam zu fühlen. Chloe war den halben Tag bei der Arbeit und obwohl sich ihre Laune merklich besserte, waren unsere Gespräche meist unbeholfen und verkrampft. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie stets meine Krankheit im Hinterkopf hatte, wenn sie auch nur an mich dachte.

The Curse - Das Spiel um Hass und LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt