»Ich gehe spazieren«, verkündete ich, während ich in meine Chucks schlüpfte. Ich musste hier raus; ich musste etwas tun, um nicht auf ewig in einem Mief aus Selbstmitleid zu versauern. Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, mich für heute im Café krank zu melden. Allerdings hatte ich mich nicht stabil genug gefühlt, um dem Alltag mit all seiner Härte wieder entgegenzutreten, und Samantha hatte mir geraten, Pausen einzulegen, wenn ich sie brauchte.
Seit gestern hatte sich etwas verändert. Obwohl ich den Abend zu den verstörendsten meines Lebens zählte, ging es mir überraschend ... nun ja, gut war wohl das falsche Wort. Aber immerhin fühlte ich mich nicht wie eine zerknautschte Mumie, die gerade von den Toten auferstanden war. Denn auf unerklärliche Weise hatte ich mich tatsächlich ein wenig besser gefühlt, nachdem ich mit Duncan geschrieben hatte. Und auch die fünf neuen Episoden meiner Lieblingsserie hatten einen nicht unerheblichen Beitrag geleistet.
»Wie lange bleibst du weg?« Meine Cousine kam in den Flur gelaufen.
Innerlich musste ich ein tiefes Seufzen unterdrücken. Vor nicht allzu langer Zeit war Chloe noch in meinem Alter gewesen. Hatte sie es nicht selber gehasst, immerzu ausgefragt zu werden?
»Ich weiß noch nicht«, sagte ich unbestimmt. »Aber nicht lange. Ich habe eine Kette verloren und will noch einmal danach suchen gehen.«
Chloe nickte unwillig. Ich wusste nicht, was es war, das ihr tiefe Furchen in die Stirn grub. Natürlich hatte sie die letzten Tage immer wieder schlechte Laune gehabt, aber die war spätestens nach ein, zwei Tagen wieder verflogen. Heute jedoch hatte ihr Messer deutlich lauter auf das Schneidebrett eingeschlagen, als es sonst der Fall war, wenn sie das Mittagessen vorbereitete. Als ich sie möglichst beiläufig darauf ansprach, versicherte sie mir, dass alles in Ordnung sei. Fast den ganzen Vormittag über war sie damit beschäftigt gewesen, Papierblumen zu basteln. Offenbar half ihr das dabei, Stress abzubauen. Allerdings lag heute überall eine beinahe greifbare und doch nicht beschreibbare Anspannung in der Luft. Der sonst immer zuvorkommende und höfliche Postbote beispielsweise hatte es heute gar nicht eilig genug haben können. Meine Unterschrift hatte ich gar nicht zuende schreiben können, da er mir das Gerät mitsamt Stift ungeduldig aus der Hand gerissen und mir stattdessen das Paket in die Hand gedrückt hatte. Und auch Samantha zog mittlerweile fast stündlich mit missmutigen Gesichtsausdruck ihre Runden in der Nachbarschaft, die Augen lauernd zusammengekniffen. Immer wieder beobachtete ich sie dabei, wie sie unsichere Blicke über ihre Schultern hinweg warf, als befürchtete sie, verfolgt zu werden.
Draußen streifte ich einige Zeit lang ziellos durch die Straßen. Obwohl es nahelag, dass ich meine Silberkette auf dem Weg zur Arbeit verloren hatte, brachte ich es nicht über mich, dort zu suchen. Zu groß war die Angst davor, von Erinnerungen überwältigt zu werden, oder gar einen meiner Kollegen anzutreffen. Was mochten sie wohl denken, wenn ich scheinbar wohlbehalten durch die Stadt schlenderte, während ich eigentlich krank war? Außer Duncan wusste schließlich niemand von dem gestrigen Vorfall.
Nach und nach wurde mir bewusst, dass meine Silberkette tatsächlich nur ein Vorwand war, um aus dem Haus zu gehen. Mit der Zeit stellte ich fest, dass ich in diesem Moment gar nicht das Bedürfnis hatte, die Kette zu suchen. Natürlich bedeutete sie mir unglaublich viel, aber die Chance, sie auf offener Straße zu finden, schätzte ich doch als sehr gering ein. Außerdem beherrschten seit gestern Nacht ganz andere Dinge meine Gedanken.
Es mochte komisch klingen, aber seit ich heute Morgen aufgewacht war, fühlte ich mich Duncan in gewisser Weise verbunden. Das rührte nicht nur von gestern Abend, sondern auch von dem Traum, den ich heute Nacht schon wieder von ihm gehabt hatte. Ich wusste gar nicht mehr, was passiert war, aber wenn ich an die Bilder vor meinen Augen zurückdachte, spürte ich ganz deutlich seine Präsenz neben mir. Und dieses Gefühl war geblieben. Meine Gedanken schweiften zu Samantha. Sie hatte mir noch immer nicht erklärt, was es mit all der Magie und der damit verbundenen Traumwelt auf sich hatte. Ob dieses seltsame Gefühl in mir wohl seinen Ursprung in der ... Magie hatte? Vielleicht war etwas passiert, das...
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The Curse - Das Spiel um Hass und Liebe
Paranormal• ᴡᴇɴɴ ᴅᴜ ɪʜɴ ʟɪᴇʙꜱᴛ, ᴡɪʀᴅ ᴅɪᴇ ᴡᴇʟᴛ ꜱɪᴄʜ ʜᴀꜱꜱᴇɴ. • Jules hat keine großen Erwartungen, als sie nach einem Jahr voller Turbulenzen einen Aushilfsjob im Café der Kleinstadt Gloamwood antritt. Doch schon in der Nacht nach ihrem ersten Arbeitstag ereilt...