Am kommenden Tag begrüßte Helen mich bereits mit einem freudestrahlenden Lächeln, bevor ich überhaupt durch die Ladentür getreten war. Hinter ihr stand Duncan vor der Kaffeemaschine – wo sonst.
»Hey, Jules! Hast du Dienstagabend schon was vor?« Sie wedelte aufgeregt mit dem Handy zwischen ihren schmalen Fingern, wobei die zierlichen Silberarmbänder an ihrem Handgelenk klimpernd aneinander schlugen, als versuchten sie sich verzweifelt an einer Melodie.
Ich nahm mir Zeit, näher zu kommen, um meine Antwort nicht durchs gesamte Café schreien zu müssen und in Gedanken meinen spärlichen Terminkalender durchzugehen. »Ich glaube nicht.« Bevor jemand nachhaken konnte, fügte ich hinzu: »Da habe ich einen Termin.« Bei meiner neuen Psychologin. Ich wollte noch ein »Warum?« nachschieben, doch mein Mund wollte das Wort einfach nicht laut aussprechen.
Jetzt drehte sich auch Duncan zu uns um. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände; die Kaffeemaschine musste ihn mal wieder den letzten Nerv kosten. Er bemühte sich um ein einigermaßen freundliches, wenn auch verkrampftes Lächeln. Heute zog ich sogar in Erwägung, es zu erwidern, doch mein Gesicht war wie erstarrt. Mir war einfach nicht nach Lächeln zumute. Nicht nachdem Chloe sich gestern wieder aufgeführt hatte wie die Mutter einer Zwölfjährigen, und nicht nachdem ich heute Morgen in der Dusche hatte feststellen müssen, dass meine Silberkette verschwunden war. Schon wieder. Vor der Arbeit hatte ich noch einen Abstecher in den Wald gemacht, allerdings war das Glück diesmal nicht auf meiner Seite und die Kette unauffindbar geblieben.
»Oh, okay«, riss Helen mich aus meinen Gedanken. Sie klang ein wenig enttäuscht. »Da macht nämlich ein neues Schwimmbad im nächsten Ort am Montag auf und Duncan und ein paar andere Freunde und ich wollten dort zusammen hingehen. Ich hab gedacht, du hast vielleicht Lust mitzukommen? Aber wir könnten es auch auf Montag verschieben. Da ist zwar die Eröffnung und es ist wahrscheinlich mehr los, aber wir können es ja versuchen.«
Ich überlegte fieberhaft, wie ich mich aus der ganzen Sache herausreden sollte, ohne Helen vor den Kopf zu stoßen. Wie von selbst wanderte mein Blick zu meinem linken Arm, der sicher unter dem schwarzen Rollkragenpullover verborgen lag. »Das ist echt nett von euch, aber ich bin sowieso keine Wasserratte. Ich gehe nicht so gerne ins Schwimmbad. Geht ihr lieber alleine.«
Obwohl Helens Gesichtszüge immer weiter nach unten sackten, gab sie nicht auf. »Wir könnten auch etwas anderes unternehmen, oder Duncan?«
Von der Kaffeemaschine kam ein wenig begeistertes, aber zustimmendes Grummeln.
»Ins Schwimmbad können wir am Dienstag ja trotzdem gehen, aber am Montag könnten wir was mit Jules machen. Was haltet ihr davon?« Erwartungsvoll blickte sie uns nacheinander an.
»Können wir machen«, nuschelte Duncan.
Augenblicklich beschleunigte sich mein Herzschlag. Alles in mir sträubte sich dagegen, meinen Abend mit einer Gruppe Fremder zu verbringen. Andererseits hatte ich mir als Ziel gesetzt, neue Kontakte zu knüpfen. Freunde zu finden. Meine Angst zu überwinden. Und wie sollte mir das gelingen, wenn ich immer wieder zurück in alte Muster verfiel? Wie, wenn ich meine Komfortzone, mein Schneckenhaus nicht verließ?
Schließlich rang ich mir ein Lächeln ab. Wie es auf Außenstehende wirkte, wollte ich lieber gar nicht wissen. »Das wäre cool.«
»Okay, perfekt! Ich erstelle eine Gruppe und dann können wir besprechen, was wir machen«, beschloss Helen und klatschte motiviert in die Hände.
Eine Gruppe. Auf WhatsApp. Meine Erinnerungen daran waren nur noch verblichene Fotos in einem Album, verdeckt von der milchig-weißen Schutzfolie.
»Dann lasse ich euch beiden mal alleine und hopse in meinen wohlverdienten Feierabend«, verkündigte sie fröhlich und schulterte ihre Handtasche. Ich sah ihr zu, wie sie die Tür öffnete und anstatt normal über die Schwelle zu treten, einen kleinen Hüpfer machte. Diesmal konnte ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Bevor die Tür ins Schloss fiel, drehte Helen sich noch einmal um und schenkte mir ein unbeschwertes Grinsen.
DU LIEST GERADE
The Curse - Das Spiel um Hass und Liebe
Paranormal• ᴡᴇɴɴ ᴅᴜ ɪʜɴ ʟɪᴇʙꜱᴛ, ᴡɪʀᴅ ᴅɪᴇ ᴡᴇʟᴛ ꜱɪᴄʜ ʜᴀꜱꜱᴇɴ. • Jules hat keine großen Erwartungen, als sie nach einem Jahr voller Turbulenzen einen Aushilfsjob im Café der Kleinstadt Gloamwood antritt. Doch schon in der Nacht nach ihrem ersten Arbeitstag ereilt...