Gereizt

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Der Unterricht war nicht so schlimm, wie erwartet. Ich war froh, zum Beginn des Jahres gewechselt zu sein und nicht mitten drin. Viele der Lehrer hatten mir eine Liste der Themen mitgebracht, die sie im letzten Jahr unterrichtet hatten, damit ich überprüfen konnte, ob ich etwas nachholen musste.

Ich freute mich besonders auf den Physikunterricht. Da ich hier nicht zur coolen Clique gehören konnte, war es auch völlig egal, welchen Fächern ich besondere Aufmerksamkeit widmete.

Unser Physiklehrer, Herr Fletcher war noch sehr jung. Er konnte kaum dreißig sein, da war ich mir sicher. Mit seinen grünen Augen und dem kupferroten Haar sah er eher wie ein verwirrter Student, als wie ein Lehrer aus.

"Kassandra." Er kam nach dem Unterricht auf mich zu und mein Herz hüpfte vor Freude, als er mir ein dickes Buch auf den Tisch legte. "Ich will Sie nicht überfordern und Sie müssen auch ganz sicher nicht alles können, was hier drin steht, aber ich dachte, vielleicht wäre es für Sie einfacher, die Zusammenfassung der letzten Themen aus einem Buch zu lernen, als ihre Mitschüler um ihre Mitschriften zu bitten."

Sofort wich meine Freunde einem Stein in meiner Brust. "Ist es sogar schon unter den Lehrern Thema, wie unbeliebt ich bin?" Ich biss mir auf die Lippe und bereute, es gesagt zu haben.

Doch Herr Fletcher ruderte sofort zurück "Oh je! Nein! So war das sicher nicht gemeint. Es ist nur - also." Er hielt inne und räusperte sich. "Ich weiß, dass Sie ein Fuchs sind und ich kenne die Vorurteile gegen Sie. Glauben Sie mir, ich wollte Sie wirklich nicht beleidigen oder mich über Sie lustig machen." Er räusperte sich noch einmal. "Wissen Sie, ich bin eine Schlange und dann nicht mal ein Reinblut. Ich war selber hier auf dieser Schule. Teenager können grausam sein."

"Sie sind eine Schlange?", fragte ich erstaunt. Ich hatte ja mit vielem gerechnet, aber nicht damit.
Beschämt lächelte mein Lehrer. "Wenn Sie es nicht glauben, fragen Sie ruhig jemanden aus diesem Kurs. Wann immer ich Noten vergebe, spielt mindestens eine Person darauf an, dass ich sogar bewerte wie eine Schlange." Er fuhr sich durch sein wildes Haar, als könne er so das Thema abstreifen.

"Also. Wenn Sie irgendwas brauchen und wenn es nur ein bisschen Verständnis ist, meine Tür steht Ihnen immer offen." Er tippte noch mal auf das Buch und ließ mich im leeren Klassenraum zurück.

Wow, dachte ich. Also sind nicht mal Lehrer vor den Gemeinheiten der Schüler sicher? Es hätte mich bedrücken müssen, wie schrecklich sich meine Mitschüler verhielten, aber stattdessen war ich ungemein froh, wenigstens eine Person gefunden zu haben, die nachvollziehen konnte, wie anstrengend es war.

Ich hatte mich die erste Woche ohne Unterricht ausschließlich zwischen meinem Zimmer und dem Wald bewegt. Aber selbst im Wald herrschte eine strenge Hierarchie. Ich roch die Spuren der anderen Tiere. Roch, wo sie ihr Revier markierten und hörte ihre hektischen Schritte hinter mir, wann immer ich ihre Grenzen überschritt. Viele waren heiß darauf, mich zwischen ihre Zähne zu bekommen, denn im Gegensatz zum Schulgelände war der Wald eine gesetzlose Zone.

Offiziell gehörte er noch zum Schulgelände und war damit auch den Schulregeln untergeordnet, aber ich hörte nie von Konsequenzen, wenn sich ein verletzter Schüler ins Krankenzimmer schleppte.

Als ich zum ersten Mal jemanden blutend zwischen den Bäumen entdeckt hatte, war ich sofort hin gerannt. Einem Verletzten hilft man, egal ob man sich mag oder nicht. Doch der Junge, einer aus Nathans Wolfsrudel, hatte mich beschimpft und sogar Erde nach mir geworfen, als er nicht länger stehen konnte.

"Bist du dumm?", hatte ich ihn angeschrien. "Du verblutest lieber im Dreck, als dir von mir helfen zu lassen?"

Doch da war Nathan nur in einer alten, grauen Jogginghose bekleidet aus dem Unterholz gekommen. "Niemand verblutet hier. Ethan musste nur seinen Platz erkennen."

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