Planend

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Meine Eltern wussten, dass sie mehr Erfolg damit hatten, wenn sie mich nicht bedrängten, aber ich wusste auch, dass es sie um den Schlaf bringen würde, wenn ich nicht bald erklären würde, warum ich das Alpharudel zerstören wollte.
Ich hatte mich die ersten Tage mit Freunden von der alten Schule getroffen und nicht viel Zeit für meine Eltern gehabt, doch irgendwann hatten meine Gedanken endlich einen roten Faden gefunden. Ich war bereit, meinen Eltern zu schildern, was mir Sorgen bereitete.

Während die beiden Einkäufe fürs Abendessen einräumten, schlich ich mich hinter ihnen in die Küche. Der Anfang war immer das Schwerste.
"Liegt dir etwas auf dem Herzen, Prinzessin?" Mein Vater hatte einige Minuten verstreichen lassen, ehe er mir diesen Einstieg bot.
"Irgendwie schon, ja."
Meine Mutter legte die Dosenravioli ab. "Willst du unsere volle Aufmerksamkeit oder ist es einfacher, wenn wir hier weiter machen?" Sie kannte mich zu gut.
"Macht ruhig weiter." Also räumten die beiden weiter, während ich meinen Mut sammelte. "Ich habe nie wirklich rebelliert. Obwohl es mir schon immer im Blut liegt, wie ich auf dieser Heimfahrt gelernt habe, gegen dumme Regeln zu verstoßen." Ich sah das Grinsen meines Vaters. Er wusste, dass ich auf das anspielte, was er mir erzählt hatte. "Und anfangs war es wohl nur Trotz. Und Angst", gestand ich leise. "Ich hatte Angst, nicht dazu gehören zu können. Ich hatte Angst, eine Außenseiterin zu sein und als erst Rebecca und dann Helena mich abgelehnt haben, ist mir irgendwie ne Sicherung durchgebrannt." Ich stieß mich von der Wand ab und nahm mir die Papiertüte mit dem Obst vor. "Ich war so wütend auf alles. Auf jeden. Auf diese blöden Regeln." Ich seufzte. "Auf mich selbst, weil ich dachte, dass ich mir falsche Hoffnungen gemacht habe. Freiheit ist das höchste Gut." Ich warf meiner Mutter einen Blick zu. Sie hatte einst genau diese Worte benutzt, um es mir zu erklären. "Und die größte Last. Ich musste erst lernen, dass nicht jeder frei sein will - oder kann. Aber auch, dass das nichts Verwerfliches ist." Ich seufzte und legte die Bananen in die Schale auf dem Esstisch. Das hier war schwerer, als ich es mir vorgestellt hatte. "Ich habe mich mit dem Alpharudel angelegt, weil ich Freiheit wollte. Aber jetzt, da sie zum Greifen nahe ist, verstehe ich, die Last, die damit kommt. Ihr habt von den Angriffen ja gehört." Ein fragender Blick zu meinen Eltern, die mit ernstem Blick nickten. "Die Schüler haben ihren Glauben in das Alpharudel verloren." Ich setzte mich auf den Esstisch. "Und ich habe erst nicht verstanden, warum mich das wütend gemacht hat. Ich wollte das Alpharudel doch eh los werden. Diese strengen Regeln und dummen Rechte und Pflichten abschaffen - aber genau da ist der Groschen gefallen. Meine Mitschüler machen es sich leicht, sie machen die anderen Alphas für ihre Sicherheit verantwortlich. Sie laden die ganze Last auf den Schultern von anderen ab, die teilweise sogar jünger als sie selbst sind. Als könnte eine Hand voll Teenager einen Mörder aufhalten." Ich zerknitterte die Tischdecke.
"Du willst das Alpharudel immer noch auflösen", stellte mein Vater fest und lehnte sich gegen den Kühlschrank. "Aber aus anderen Gründen."
Ich traute mich nicht, ihm in die Augen zu sehen. Meine Eltern hatten mir nie wirklich etwas verboten, aber diese Idee war so verrückt, dass es vielleicht das erste Mal sein würde. "Ich ertrage es nicht, dass alle sich auf den Schultern der Alphas ausruhen. Ich habe gesehen, was das mit ihnen macht." Ich konnte nicht verhindern, dass mir vor Wut die Tränen kamen. Ich dachte an Nathan, der von seinen Eltern herumgeschoben wurde, wie eine Spielfigur. Ich dachte an Kyle und Helena, die einfach auf einen komplett anderen Kontinent verschifft wurden, weil ihre Eltern ihre Zukunft geplant hatten. Ich dachte an Jenna, die nicht mal um ihre verlorene Partnerin trauern durfte, weil alle von ihr erwarteten die perfekte, immer starke Alpha zu sein.
"Willst du, dass ich dir die Konsequenzen erkläre, die ich befürchte?" Meine Mutter schob die letzte Packung Nudeln in den Schrank und faltete die Einkaufstaschen.
"Ich bin nicht sicher. Wird es mir den Mut nehmen? Dann vielleicht besser nicht."
Mama lachte leise, ehe sie sich an meinen Vater lehnte. "Nicht jeder wird Verständnis für das haben, was du da vor hast. Du sagst es ja selbst. Wenn man die Last abgeben kann, dann ist das schon sehr bequem. Du hast einen Einblick in das bekommen, was es bedeutet ein Alpha zu sein und sogar was es bedeutet, zum Alpharudel zu gehören. Die Wenigsten können oder wollen sich vorstellen, wie hart das sein kann. Sie stellen das Alpharudel auf ein Podest, dass so hoch ist, das niemand da heile runter kommen kann. Verstehst du?"
Ich war nicht sicher. "Du meinst, weil viele in mir schon ein Teil des Alpharudels sehen, werden diese Leute enttäuscht von mir sein?"
"Sie werden wütend auf dich sein", verdeutlichte meine Mutter.
"Das waren sie schon die ganze Zeit."
Aber Mama schüttelte den Kopf. "Das war Nichts im Verhältnis zu dem, was da kommen wird. Ich rede hier aus meiner eigenen Erfahrung. Die Leute werden dich dafür hassen, dass sie sich falsche Hoffnungen gemacht haben. Genau wie du es am Anfang getan hast. Aber der Unterschied ist der, dass diese Fremden bereit waren, dir ihr Leben anzuvertrauen und du wirst ihnen des Gefühl geben, dass du dieses Geschenk einfach weg wirfst. Verstehst du, was ich sagen will? Ich unterstütze absolut deinen Gedanken, dass das Alpharudel zu etwas geworden ist, dass es nicht sein sollte. Wenn ich mit den Fingerschnipsen könnte und es würde sich auflösen - ich würde mir die Finger brechen so hart und schnell würde ich schnipsen."
Papa legte seinen Arm um Mamas Schultern. "Ich denke, du wirst dir erstmal selber eine Gruppe suchen müssen, die unterstützt, was du planst. Alleine ist das kaum zu bewältigen."
Ich nickte und fragte mich, ob Thomas und Eva bereit waren, für mich so weit zu gehen.
"Du solltest vielleicht auch mal mit den Alphas reden. Nur weil sie unter ihrer Rolle leiden, heißt das nicht, dass sie sie freiwillig aufgeben würden." Mein Vater sah wieder zu Mama. Die beiden mussten damals bestimmt auch Wut auf das Alpharudel gehabt haben. Aber nicht genug, um es zerstören zu wollen? Oder hatten sie nicht genug Verbündete gehabt? Wenn Olivia Mamas beste Freundin gewesen war, hatte sie vielleicht viele Freunde durch diese Spaltung verloren?
"Ich werde versuchen, mit ihnen zu sprechen. Bevor noch jemand zu Schaden kommt."

Ich hatte mehr Zeit an meinem Handy verbracht, als ich geplant hatte, aber Eva war rund um die Uhr online und wenn ich ehrlich war, hatte ich in den wenigen Wochen eine engere Beziehung zu ihr aufgebaut, als ich je zu den Freunden von hier gehabt hatte. Gemeinsame Geheimnisse zu haben, konnte einen doch schnell sehr eng verbinden. Ich hatte am Abend zuvor mit ihr und Thomas besprochen, was ich meinen Eltern erzählen würde. Zu meinem Erstaunen hatten sie ähnlich wie meine Eltern reagiert.
E: "Wie ist es gelaufen?"
K: "Eigentlich ganz gut. Aber meine Mam hat Sorgen, dass ich am Ende die Aussätzige bin."
E: "Ja, da hat sie schon n Punkt."
K: "Aber das war ich vorher eh schon. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es noch schlimmer werden kann?"
T: "Oooooh doch. Das kann es!!"
E: "Hast du mal Verschnaufspause, ja? Wie wird das nur an Weihnachten bei euch."
T: "Wunderbar" Es folgte ein Berg an weihnachtlichen Emojis.

Aus den beiden war gerade keine Vernünftige Diskussion heraus zu bringen. Ich saß im Garten auf der alten Schaukel, die ich zusammen mit meiner Mutter vor Jahren aufgehängt hatte. Es gab jemanden, den ich fragen wollte. Jenna. Sie war der Auslöser für meinen Wandel gewesen. Aber wäre ich damit nicht auch wie alle anderen? Würde ich damit nicht noch mehr Last auf ihre Schultern laden?
Ich starte auf meinen Nachrichtenverlauf. Nathan und ich hatten uns nach der ersten Nacht nicht wieder geschrieben, obwohl es mir unter den Fingern brannte. Konnte ich ihn fragen? Aber er durfte mir nicht zustimmen. Seine Eltern wollten, dass er als perfekter Alpha durchging, damit man sie nicht entlarven konnte. Er würde alles verlieren, wenn er auf meiner Seite war.
Ob ich Kyle und Helena fragen konnte? Aber wenn Helena mich als Bedrohung wahrnehmen würde, würde sie mich am ersten Tag nach den Ferien in der Luft zerreißen.
Resignierend schob ich das Handy in meine Jackentasche.
Ich musste mehr Informationen sammeln, ehe ich mir einen richtigen Schlachtplan machen konnte.

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