Zerstörerisch

209 16 1
                                    

Bevor ich meine ambitionierten Pläne in die Tat umsetzen konnte, standen die Herbstferien vor der Tür.

Normalerweise war es den Schülern erlaubt, kurze Ferien auf dem Gelände zu verbringen, aber nach allem, was geschehen war, hielt der Schulleiter es für besser, uns nach Hause zu schicken.

"Du weißt, dass du immer noch mit zu uns kommen kannst? Meine Eltern haben wirklich kein Problem damit", bot ich Eva bestimmt zum hundertsten Mal an.

"Das ist ein großzügiges Angebot, aber meine Mutter ist eh nicht da. Zwei Wochen mit meinem Vater sind kein schlechter Deal. Aber frag mich nochmal wenn die Winterferien anstehen. Feiertage ertrage ich wirklich nicht mehr mit den beiden."

Thomas hingegen freute sich auf jede Ferien. Er hatte vier leibliche Geschwister und drei, die die neue Lebensgefährtin seiner Mutter mitbrachte. "Ich weiß, das klingt überhaupt nicht nach mir. Aber ich genieße das Chaos, das immer um uns herum entsteht. Es ist pure Anarchie", lachte er und zwinkerte uns zu. Wir bahnten uns gemeinsam mit allen anderen Schülern den Weg zum großen Eingangstor.

Meine Eltern standen in der ersten Reihe und winkten, wie Cheerleader beim letzten Spiel des Jahres. Glücklich fiel ich ihnen in die Arme.
"Du musst uns so viel erzählen", trällerte mein Vater, während er meinen Koffer schnappte. "Es ist so lange her, dass wir so jung waren." Der Blick, den er meiner Mutter zuwarf, strafte ihn lügen. Im Herzen waren beide nie wirklich gealtert.

Ich sah über den großen Platz und fragte mich, ob sie vielleicht auch im Verstand nie über die Pubertät hinaus gekommen waren, denn sie hatten den Honda so blöd geparkt, dass wir jetzt von mindestens einem Dutzend anderer Wagen zugeparkt waren.

Da wir eh nicht weg kamen, stellte ich meinen Eltern noch Thomas und Eva vor, ehe ein absolut identisches Zwillingspaar hinter Thomas auftauchten und ihn zu Tode erschreckten.

"Ihr schrecklichen, kleinen Dämonen", lachte er und stellte sie als seine neuen Schwestern vor. Sie waren gekommen, damit er sich beeilte. Alle waren schon hungrig. Wir winkten ihm hinterher und er versprach, mir nächstes Mal seine Mütter vorzustellen.

Die größte Überraschung war wahrscheinlich Evas Vater. Er schwebte herbei, wie Gott höchst persönlich.
"Das ist dein Vater!", glitt es mir über die Lippen und der Mann lächelte breit. Eva hatte erwähnt, dass ihr Vater Schauspieler und manchmal Model war. Aber ich hatte eher an Theater oder so gedacht, als die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass er bekannt sein könnte. Ein Formwandler in Blockbustern! Wie aufregend! Er schüttelte uns die Hand, blieb aber auf Distanz und nötigte Eva, sich zu beeilen. Sie müssten einen Flug bekommen.

"Annabell. James." Die tiefe Stimme löste in mir sofort Spannung aus. Ich musste mich zwingen, die Schultern nicht bis zu den Ohren hoch zu ziehen.

"Arthur." Meine Mutter schien den großen Mann in seinem maßgeschneiderten Anzug zu kennen. "Hast du Olivia nicht mitgebracht?" Meine Mutter lächelte ehrlich und ich lehnte mich an meinen Vater. Auch er empfand keine Bedrohung. Wie konnten meine Eltern nur so gelassen sein? Der Fremde war uns eindeutig nicht freundlich gesonnen.

"Natürlich. Sie hat offenbar unseren Sohn vor mir entdeckt." Er blickte an uns vorbei und ich folgte seinem Blick mit Neugier. Oh, war der einzige Gedanke, der mir kam. Die Frau, die ebenso elegant wie Evas Vater zu uns herüber kam, hatte ihre perfekt manikürten Finger auf einer Schulter, die ich zu gut kannte. "Nathaniel. Da bist du ja endlich."
"Hi, Dad", murmelte er und mied meinen Blick.

Seit unserer Nacht in dem kleinen Haus hatten wir keine Gelegenheit gefunden zu reden. Oder... eigentlich waren wir uns einvernehmlich aus dem Weg gegangen, weil wir beide immer noch nicht wussten, wie wir miteinander umgehen sollten.

The FoxWo Geschichten leben. Entdecke jetzt