Hoffnungsvoll

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Ich hatte außerhalb dieser Schule niemals Formwandler in meinem Alter kennengelernt. Die einzigen anderen Formwandler, die ich kannte, waren meine Eltern und einige wenige ihrer Freunde. Das machte es umso schwerer, meinen Brief an jemanden zu adressieren. Wollte ich meinen Eltern die Last aufbürden, dass ich vielleicht meinen Tod vorausgesehen hatte? Ich konnte sie nicht anrufen und ihnen sagen, wie schrecklich diese Schule war - denn eigentlich war sie das gar nicht.

Die Füchsin in mir wollte auf keinen Fall wieder gehen und da sie gleiche Entscheidungsgewalt über uns hatte, wie ich, konnte ich ihr nicht widersprechen. Wenn meine Eltern hörten, dass ich vielleicht von einem Mitglied des Alpharudels bedroht wurde, würden sie keine Einwände gelten lassen und mich sofort hier wegholen. Da war ich mir sicher.

Vor mir auf dem Schreibtisch lag der Brief, den ich als meinen Nachlass geschrieben hatte. Er enthielt nicht viele Sätze. Ich wollte keine Gedanken daran verschwenden, dass ich vielleicht wirklich in Lebensgefahr war. Stattdessen hatte ich kurz umrissen, was in der letzten Nacht im Wald passiert war und was ich daraus schloss. Ich sagte nicht, dass Nathan auf jeden Fall mein Mörder sein würde, aber dass es doch etwas war, was man beachten sollte. Nur für den Fall, dass ich sterben sollte.

Ich hatte zuerst schreiben wollen für den Fall, dass ich während meiner Schulzeit sterben sollte. Aber das war nicht das ganze Bild. Wenn es stimmte, was Eva und Thomas mir erklärt hatten, dann war ich für den Rest meines und seines Lebens eine Bedrohung für Nathan.

Ich faltete den Brief, schob ihn in seinen Umschlag und versiegelte ihn. Es blieb ein Problem. Wem konnte ich den Brief geben?

Eva hatte mich nicht noch einmal auf das angesprochen, was ich ihr gegenüber angedeutet hatte. Vielleicht wollte sie nicht aufdringlich sein, aber -und das flüsterte mir meine Füchsin- wahrscheinlich hatte sie einfach Angst. Auch wenn Eulen besser sahen als rochen, hätte sie schon geruchsblind sein müssen, um nicht mitzubekommen, dass jemand in ihrer Abwesenheit das Zimmer betreten hatte. Jemand, der mich in nackte Panik versetzt hatte, so dass ich mir fast in die Hose gemacht hätte.
Eva hatte sich das Zimmer mit Jennifer geteilt. Eine tote Zimmernachbarin war mehr als genug, da war ich mir sicher.

Es klopfte an der Tür. "Bist du soweit?" Es war Thomas. Wann immer er mit mir gemeinsam Unterricht hatte, kam er, um mich abzuholen. Was ich anfangs für Ablehnung gehalten hatte, war schlicht seine ruhige Art. Auch wenn er gerne den lässigen Musikfan gab, war da doch mehr an ihm, als nur das. Vielleicht war er sogar etwas eingeschüchtert davon, dass ich mich erneut mit dem Alpharudel angelegt hatte.

Ich bat ihn herein und er nahm ganz selbstverständlich meinen Rucksack. "Wie gehts dem Fuß?"
"Besser, denke ich. Danke."Ich schob den Brief in die Schublade meines Schreibtisches. Darüber würde ich mir später Gedanken machen. Ich nahm meine Krücken und folgte Thomas hinaus.

"Tut mir Leid, dass es nicht geklappt hat."
"Hm?" Ich hatte mich voll und ganz darauf konzentriert, mit den Krücken nicht auf dem nassen Laub auf unserem Weg auszurutschen.

"Ich meine, zu den coolen Kids zu gehören. Es ist schon anstrengend genug, auf eine andere Schule zu wechseln. Ich kann mir nicht vorstellen, wie anstrengend es sein muss, auch noch so eine unbegründete Ablehnung zu erfahren." Schüchtern sah er zu mir herüber, unsicher, ob er eine Grenze überschritten hatte.

Zum ersten Mal seit Tagen fühlte sich mein Lächeln nicht gespielt an. "Danke, Tom. Es tut gut, das mal zu hören." Wir schwiegen, während uns eine Gruppe schnatternder Schüler überholte.

"Weißt du. Wir können auch gute Freunde sein. Eva und ich, meine ich. Wenn du willst."
Die Wärme, die sich in meiner Brust ausbreitete, brachte mich um ein Haar zum Weinen. "Das wäre schön", krächzte ich und musste mich räuspern, um meine Fassung zurück zu gewinnen. "Aber ich weiß nicht, ob ich so Evas Typ bin." Seit jener Nacht hatten wir kaum noch mit einander gesprochen.

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