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Das Dritte

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„Norman Powers", sagt die ältere Dame hinter dem Schreibtisch des Sekretariats. „Hat sich doch herausgestellt, dass du damals bei den Abschlussprüfungen geschummelt hast?"
Mein Dad lacht laut auf und nimmt die angebotene Hand der Frau. „Das sollte doch unser Geheimnis bleiben, Mrs. Grimson", murmelt er geheimniskrämerisch.
Sie wendet sich mir zu und betrachtet mich prüfend. „Und wie du dieses hübsche Bübchen hinbekommen hast, ist mir ein Rätsel. Seine Mutter muss blendend schön sein."

Sofort färben sich meine Wangen rot und ich trete unruhig von einem Fuß auf den anderen.
„Das ist sie auch", antwortet mein Dad verträumt und wie immer bricht es mir ein klein wenig das Herz, ihn so zu sehen. „Das ist mein Sohn Vince."
„Gute Idee, ihn zu uns zu schicken", lacht sie und greift einfach meine Hand, um sie zu schütteln. „Da bekomme ich auf meine alten Tage auch noch was zu sehen."

Ich lächle peinlich berührt und komme mir unsagbar dumm vor. Am liebsten würde ich einen zynischen Kommentar abgeben, aber ein Seitenblick von meinem Dad verrät mir, dass das keine gute Idee wäre.
„Es tut mir leid, Norman", wendet sich Mrs. Grimson wieder an meinen Vater. „Ich konnte ihm leider nicht dein altes Zimmer geben, aber er ist zumindest auf dem gleichen Flur."

„Alles gut", lacht mein Dad. „Er wird es überleben."
„Dann sind hier die Anmeldebögen und der Zimmerschlüssel ist für dich, Vince. Bitte verliere ihn nicht, ansonsten muss dein Vater dafür tief in die Tasche greifen."
Mit einem schiefen Lächeln lasse ich den Schlüssel auf den Boden fallen und sage vollkommen unschuldig: „Oops, verloren."

Mein Vater stößt mir lachend seinen Ellbogen in die Rippen und auch Mrs. Grimson lacht herzlich auf.

„Ich ahne schon, dass ich mit dir ganz ähnliche Freuden haben werde wie mit deinem Vater", kichert sie und tippt etwas in ihrem altertümlich wirkenden Computer.
„Ach, Vince ist mehr der Bücherwurm", erzählt mein Vater, während er den Bogen ausfüllt.
„Das trifft sich gut, wir haben eine hervorragend ausgestattete Bibliothek, aber dein Vater wird dich sicherlich gleich noch herumführen", freut sich Mrs. Grimson. „Hier ist eine Übersicht der möglichen Nachmittagsaktivitäten. Mindestens zwei Kurse sind Pflicht, du kannst aber auch mehr nehmen."

Ich schaue auf den Zettel, den sie mir zuschiebt und verziehe das Gesicht.

𝗕𝗼𝘀𝘁𝗼𝗻 𝗖𝗼𝗹𝗹𝗲𝗴𝗲 𝗣𝗿𝗲𝗽𝗮𝗿𝗮𝘁𝗼𝗿𝘆 𝗔𝗰𝗮𝗱𝗲𝗺𝘆

𝖥𝗈𝗈𝗍𝖻𝖺𝗅𝗅
𝖡𝖺𝗌𝗄𝖾𝗍𝖻𝖺𝗅𝗅
𝖡𝖺𝗌𝖾𝖻𝖺𝗅𝗅
𝖥𝗎𝗌𝗌𝖻𝖺𝗅𝗅
𝖲𝖼𝗁𝗐𝗂𝗆𝗆𝖾𝗇
𝖳𝖾𝗇𝗇𝗂𝗌
𝖳𝖺𝖾𝗄-𝖶𝗈𝗇-𝖣𝗈
𝖥𝖾𝖼𝗁𝗍𝖾𝗇

𝖳𝗂𝗌𝖼𝗁𝗅𝖾𝗋𝗇
𝖤𝗅𝖾𝗄𝗍𝗋𝗈𝗇𝗂𝗄
𝖦𝖺𝗋𝗍𝖾𝗇
𝖯𝗋𝗈𝗀𝗋𝖺𝗆𝗆𝗂𝖾𝗋𝖾𝗇

𝖲𝖼𝗁𝖺𝖼𝗁
𝖱𝗁𝖾𝗍𝗈𝗋𝗂𝗄
𝖥𝗈𝗍𝗈𝗀𝗋𝖺𝖿𝗂𝖾𝗋𝖾𝗇
𝖪𝗈𝖼𝗁𝖾𝗇
𝖡𝗎𝖼𝗁𝖼𝗅𝗎𝖻

Ich hebe verzweifelt meine Augenbrauen. „Zwei?", frage ich sicherheitshalber nochmal nach und Mrs. Grimson lächelt.
„Gern auch mehr. Die Auswahl ist toll, oder?"

Mein Dad schielt mir über die Schulter und grinst. „Vince ist nicht so der ... gesellige Typ", kichert er.
Ich rolle mit den Augen und gebe ihr den Zettel zurück. „Ich nehme den Buchclub und Fotografieren", sage ich und sehe meinen Vater mit einem ‚Zufrieden?'-Blick an.

„Oh", macht Mrs. Grimson bedauernd. „Ich habe die Kurse, die voll sind, gar nicht rausgestrichen, bitte entschuldige. Die anderen Schüler konnten natürlich direkt zu Beginn des Schuljahres wählen." Entsetzt starre ich sie an, wie sie einen Kugelschreiber nimmt und diverse Kurse auf der Liste durchstreicht.

Als sie mir die Liste zurückgibt, sieht diese so aus:

𝗕𝗼𝘀𝘁𝗼𝗻 𝗖𝗼𝗹𝗹𝗲𝗴𝗲 𝗣𝗿𝗲𝗽𝗮𝗿𝗮𝘁𝗼𝗿𝘆 𝗔𝗰𝗮𝗱𝗲𝗺𝘆

𝖥̶𝗈̶𝗈̶𝗍̶𝖻̶𝖺̶𝗅̶𝗅̶
̶𝖡̶𝖺̶𝗌̶𝗄̶𝖾̶𝗍̶𝖻̶𝖺̶𝗅̶𝗅̶
̶𝖡̶𝖺̶𝗌̶𝖾̶𝖻̶𝖺̶𝗅̶𝗅̶
̶𝖥̶𝗎̶𝗌̶𝗌̶𝖻̶𝖺̶𝗅̶𝗅̶
𝖲𝖼𝗁𝗐𝗂𝗆𝗆𝖾𝗇
𝖳𝖾𝗇𝗇𝗂𝗌
̶𝖳̶𝖺̶𝖾̶𝗄̶-̶𝖶̶𝗈̶𝗇̶-̶𝖣̶𝗈̶
𝖥𝖾𝖼𝗁𝗍𝖾𝗇

𝖳𝗂𝗌𝖼𝗁𝗅𝖾𝗋𝗇
̶𝖤̶𝗅̶𝖾̶𝗄̶𝗍̶𝗋̶𝗈̶𝗇̶𝗂̶𝗄̶
𝖦𝖺𝗋𝗍𝖾𝗇
̶𝖯̶𝗋̶𝗈̶𝗀̶𝗋̶𝖺̶𝗆̶𝗆̶𝗂̶𝖾̶𝗋̶𝖾̶𝗇̶

𝖲𝖼𝗁𝖺𝖼𝗁
𝖱𝗁𝖾𝗍𝗈𝗋𝗂𝗄
̶𝖥̶𝗈̶𝗍̶𝗈̶𝗀̶𝗋̶𝖺̶𝖿̶𝗂̶𝖾̶𝗋̶𝖾̶𝗇̶
̶𝖪̶𝗈̶𝖼̶𝗁̶𝖾̶𝗇̶
𝖡𝗎𝖼𝗁𝖼𝗅𝗎𝖻

Ich sehe die ältere Dame geschockt an, während mein Dad wieder auf die Liste schaut.
„Wie wär's mit Tennis?", lacht er und ich bin kurz davor, einen hysterischen Anfall zu bekommen. Stattdessen atme ich tief durch und schaue auf die noch dargebotenen Optionen.

Schwimmen? Im Meer oder See gern. In einem Pool voller Chlor und den nicht sichtbaren Ausscheidungen anderer Menschen, die sich in der gleichen Suppe wie ich befinden? Ungern.

Tennis? Alles, was mit Bällen zu tun hat, ist tödlich für mich oder alle Beteiligten.

Fechten? Noch nie probiert, aber wenn mir Sport mit Bällen schon nicht liegt, bin ich nicht sicher, ob ich etwas mit spitzen Gegenständen probieren sollte.

Tischlern? Ich mag Holz, aber ich habe keine Lust darauf, Briefbeschwerer oder Bilderrahmen zu basteln, die nie jemand verwenden wird.

Garten? Im Dreck wühlen. Eher nicht ...

Schach? Es soll ein Spiel sein, aber wenn man sich nicht an die Regeln und vorgegebene Züge hält, wird man praktisch von seinem Gegenüber gelyncht.

Rhetorik? Reden. Pfft. Nicht so mein Ding.

Buchclub? Ja. Das wollte ich ja ohnehin gern.

Ich werde mich also neben dem Buchclub für eins der anderen Übel entscheiden müssen und so wie mein Dad grinst, wird es ganz bestimmt nicht Tennis sein.

„Tischlern und Buchclub, geht das?", frage ich und Mrs. Grimson nickt.
„Warum nimmst du nicht noch was Sportliches, Vince?", schlägt mein Vater vor.
„Ich muss doch nur zwei", murmle ich zwischen zusammengebissenen Zähnen.
„Ach, das tut dir bestimmt ganz gut", sagt er und klopft mir auf die Schulter. „Vince nimmt auch noch Schwimmen."

Mrs. Grimson lächelt und notiert sich auch dies. Knurrend sehe ich meinen breit grinsenden Vater an und folge ihm kurz darauf aus dem Sekretariat, einen Zimmerschlüssel in meiner Tasche und einen Lageplan in der Hand.

Mein Dad führt mich durch die Flure und zeigt auf wichtige Punkte. Kunstflügel, Aula, Mensa, Naturwissenschaftsflügel. Als könnte ich mir das jetzt alles merken. Aber mein alter Herr schwelgt in Erinnerungen und kann es sich nicht verkneifen, einige Anekdoten aus seiner Schulzeit hier zu erzählen.

Seine Augen leuchten dabei und ich kann sehen, wie viele schöne Erinnerungen er mit diesem Ort verbindet. Ich bin nicht sicher, ob ich ähnliche Erfahrungen machen werde, aber allein die Tatsache, ihm die Hoffnung zu geben, dass ich hier ebenso viel Freude finden und erleben werde, dass ich hier bin und nicht allein in unserem Haus, wenn er tausende Kilometer weit weg ist, macht die Entscheidung für mich um so vieles leichter.

Wir stehen vor dem Gebäude, in dem sich die Zimmer der Schüler befinden, mein Vater seufzt lächelnd und klopft mir auf die Schulter. Ich habe Angst, dass er gleich vor Rührung beginnt zu weinen, also stoße ich fest mit meiner Schulter gegen seine und meine grinsend: „Vielleicht tauschen wir lieber doch, Dad? Merkt doch keiner, wenn du dich als mich ausgibst."

Er lacht nur und schüttelt den Kopf. „Den Schwimmunterricht bei Coach Waters will ich nie wieder erleben. Das kannst du mal schön alleine machen."
Verdutzt sehe ich ihm nach, während er lachend die Stufen zur Eingangstür des Wohnheims nach oben geht.

Geheimnisgeflüster | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt