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Das Elfte

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Am Mittwoch bin ich noch immer schlecht gelaunt, weil ich diesen dummen Vortrag tatsächlich noch einmal wiederholen muss. Als wäre das erste Mal nicht schon demütigend genug gewesen. Den Stoff beherrsche ich problemlos, nur wie soll man so langweilige Sachen wie die Metaphase interessant erklären und wer wird das jemals später im Leben brauchen?

Mürrisch sitze ich in der Mensa und sehe diesen Noah wieder selbstbewusst an einen der Tische schlendern und mit ein paar Jungs plaudern. Was hatte Albert gesagt? Er gibt Nachhilfe in Rhetorik? So viel wie der Typ zu quatschen scheint, kann der vielleicht auch trockene Themen besser rüberbringen.

Aber wird er mir helfen wollen, wenn ich ihn vorher so angegiftet habe? Mit Albert ist wieder alles beim Alten, wir beide haben das Thema für uns beendet und gehen ganz normal miteinander um.

Mir ist nicht bewusst, dass ich Noah während meiner Gedankengänge offenbar anstarre, und ich zucke schuldbewusst zusammen, als er plötzlich vor mir steht und grinst.
„Dein Shampoo ist super, aber ich benutze auch noch etwas Haargel."

„W-Was?", stottere ich.
„Du starrst mich so an, darum dachte ich, du willst vielleicht wissen, wie ich meine Haare so gut hinbekomme", erklärt er selbstsicher.
„Nein, sorry", murmle ich und sehe auf den Tisch. „Ich hab nur über die Nachhilfe nachgedacht."
„Oh", macht Noah interessiert und gleitet galant auf den Stuhl mir gegenüber. „Ist heute etwa schon niemals, Vincent?"
Ich ignoriere seine versteckte Andeutung und frage: „Albert sagte, du ... du bist ganz gut in Rhetorik?"

Ein verschmitztes Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. „Kann man so sagen", säuselt er. „Hast du Interesse?"
Ich zucke mit den Schultern. Schaden kann es vielleicht nicht, wenn er mir ein paar Tipps geben würde.
„Ich denke schon", antworte ich.

„Fünfzig für eine Stunde", sagt er und ich reiße entsetzt die Augen auf.
„Fünfzig?", schreie ich schon fast.
Noah legt seinen langen Zeigefinger über seine Lippen und schaut sich verdächtig um.
„Nicht so laut, okay?", flüstert er. „Gut, weil es deine erste Stunde ist, biete ich dir einen Willkommensrabatt. Zwanzig und eine Hausaufgabe."

„Was für eine Hausaufgabe?", will ich wissen.
„Buchrezension."
„Welches Buch?"
„Der Untertan."
„Nur die Rezension, dafür eine Ausführliche."
„Wer sagt, dass du das gut kannst, Vincent?", schmunzelt er.
„Wer sagt, dass du gut in Nachhilfe bist, Noah?", gebe ich zurück.

Seine Augenbraue hebt sich und er lehnt sich breit grinsend zurück. „Nun, ich habe einen vollen Terminkalender und jede Menge zufriedene Kunden."

„Dann vergessen wir das Ganze wohl besser, viel Spaß noch mit deinen Kunden", meckere ich und stehe auf. Noah erhebt sich ebenfalls und lehnt sich zu mir herüber.
„In Ordnung", sagt er. „Nur die Rezension, aber du garantierst mir eine Eins, sonst krieg ich den Zwanziger trotzdem noch."

„Ich garantiere dir eine Zwei plus, damit es nicht auffällt und wenn du die nicht bekommst, kriegst du zehn", handele ich und er lacht auf.
„Spannend, ein eiskalter Geschäftsmann. Das gefällt mir. Abgemacht."
„Wann hast du Zeit?", frage ich kühl.
„Wie wäre es mit jetzt? Blumberg ist gerade beim Programmieren, dein Zimmer ist also frei."

Verwirrt mustere ich seine funkelnden braunen Augen.
„Ich hab meine Kunden gut im Blick", grinst er. „Macht mindestens die Hälfte meines Erfolges aus."
Ich schnaube abfällig und mache mich auf den Weg zu meinem Zimmer, ohne darauf zu achten, ob Noah mir folgt oder nicht.

In meinem Zimmer suche ich meine Unterlagen für das Biologiereferat heraus und lege alles ordentlich auf meinem Schreibtisch zurecht. Hatte er nicht gesagt jetzt gleich? Wo bleibt er denn? Gerade, als ich nachsehen will, ob Noah noch kommt, klopft es leise an der Tür. Ich öffne sie und er schlüpft ins Zimmer.

„Bis wann brauchst du die Rezension?", frage ich und er überlegt.
„Freitag reicht, ich muss sie am Montag abgeben."
Ich nicke zustimmend und suche mir das Buch aus meinem Bücherregal heraus, um mich gleich später daran zu setzen. Ich habe es bereits vor einiger Zeit gelesen, es dürfte mir also nicht allzu schwerfallen, eine ausführliche Rezension zu verfassen.

„Okay, das schaffe ich", kündige ich an. „Ich hab am Dienstag mein Bio-Referat. Mitose Phasen."
„Aha", macht Noah desinteressiert und setzt sich auf Alberts Bett. Verwundert mustere ich ihn, sage aber nichts. Stattdessen setze ich mich an meinen Schreibtisch und wühle in meinen Unterlagen.

„Du willst am Schreibtisch sitzen?", fragt Noah verblüfft und ich hebe die Augenbrauen.
„Ja", sage ich langsam.
„Okay", macht Noah und sieht sich um. „Der Kunde ist König."

Er nimmt sich wie selbstverständlich den Bilderrahmen mit dem Selfie von Lauren und mir von meinem Nachttisch und fragt: „Wie heißt sie?"
„Lauren", antworte ich und ziehe die Notizen zur Prophase hervor.
„Passt auch besser als Belinda", murmelt Noah.
„Was?", frage ich verwirrt.

„Nichts, nichts", winkt er ab und dreht sich mit dem Rücken zu mir. „Also, Vincent ..."
„Ja?"
„Entspann dich und schließe am besten deine Augen."

Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen und frage mich, was das soll. Aber gut, er ist derjenige, der Ahnung hat. Wenn irgendsoein Hypnosetrick mir dabei hilft, besser vor Leuten reden zu können, soll mir das recht sein. Also lehne ich mich auf meinem Schreibtischstuhl zurück und schließe wie befohlen meine Augen.

„Du bist zu Hause in deinem Zimmer, liegst auf deinem Bett ...", säuselt Noahs Stimme beruhigend und ich atme tief durch.
„Deine Eltern sind nicht zu Hause, aber Lauren ist da, damit ihr gemeinsam für dein Biologie-Referat lernen könnt."

Ich lächle und denke an meine liebste Schwester, die vermutlich in ihrem ganzen Leben noch keinen Gedanken an Mitose verschwendet hat, es sei denn, es gibt einen Nagellack, der so heißt.

„Lauren steht im Türrahmen deines Zimmers und fährt mit ihrer Zunge über ihre vollen Lippen. ‚Ich hätte ja lieber Lust, nochmal die Reproduktionsphase mit dir zu üben, Vincent', flüstert sie verführerisch und löst dabei die Knöpfe ihrer viel zu engen Bluse", flüstert Noah. „Ihr durchsichtiger Spitzen-BH lässt dich bereits ihre harten–"

„Warte, was?", rufe ich und reiße meine Augen entsetzt auf.
„Was ist?", fragt Noah verwirrt.
„Hast du sie noch alle? Du redest von meiner Schwester!", schreie ich ihn an.

Noahs Augen sind entsetzt geweitet und er schlägt sich grinsend eine Hand vor den Mund.
„Oh, das tut mir leid", nuschelt er.
„Was laberst du da bitte?", fordere ich wütend und schüttle mich angeekelt, um die Gedanken an Lauren und enge BHs loszuwerden.

„Sorry, sorry", sagt Noah entschuldigend und stellt das Bild schnell zurück auf meinen Nachttisch. „Vergessen wir Lauren. Was ist dann dein Typ? Trotzdem dunkelhaarig? Blond? Rothaarig?"
„Wovon redest du?", frage ich entsetzt.
Noah runzelt verwirrt die Stirn. „Äh ... von unserer Vereinbarung", erwidert er. „Ich erzähle dir, was du hören willst, du kommst, du zahlst, alle sind zufrieden."

Mit riesigen Augen starre ich Noah an und kann nicht glauben, dass es sowas ist, was er unter ‚Nachhilfe' versteht.

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von Hᥲⲍᥱᥣ Kᥣᥱιᥒ
@crazytastyhazel
Als sein Vater geschäftlich für ein Jahr nach Indien muss, wird der z...
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